Reinhard Wolff sprach mit dem Pressure Magazine über Arbeit, Langeweile, sein neues Buch „Shitsingle“ und das kreative Spiel des Lebens.

„Arbeit ist das Feuer der Gestaltung.“ (Karl Marx) „Arbeit ist scheiße.“ (APPD-Wahlslogan) Welches der beiden Zitate entspricht deiner persönlichen Meinung zum Thema Arbeit?

Glücklicherweise gehe ich mittlerweile einer Arbeit nach, die ich weitestgehend gern tue. Ich bin schon lange in einem offenen Jugendtreff tätig. Aber ich kenn es natürlich auch andersrum. Siehe meine Geschichte über die Handwerksausbildung. Deshalb will ich mich nicht festlegen. Ich formuliere es mal so: Arbeit ist bisweilen scheiße, kann aber genauso Feuer der Gestaltung sein.

Arbeit bedeutet aber meines Erachtens aber auch oft, keine Zeit für kreative Dinge zu haben. Und in der Zeit, in der nicht gearbeitet wird, schaut man sich Katzenvideos auf YouTube an oder schreibt oftmals belanglose Kurznachrichten. Welche Rolle spielt dabei überhaupt noch die von dir geschätzte Langeweile? Und welche Rolle sollte sie deines Erachtens nach in Zukunft spielen?

Arbeit raubt uns kostbare Zeit, die wir schön kreativ nutzen könnten. Das nervt mich auch oft.

Ich füge mal ein paar Zeilen aus dem letzten Shitsingle-Kapitel ein:
„…Hier am Gemeindezentrum hatten sie aus Langeweile mit dem Rauchen und dem Saufen angefangen. Langeweile war ebenfalls der Motor für sie, eine Punkband zu gründen. Langeweile kann sicher zu hirnverbrannten Handlungen führen, für die Kreativität ist sie jedoch von Vorteil. Heutzutage wird Langeweile allzu oft mit Smartphones, Spielekonsolen oder Ähnlichem im Keim erstickt…“

Dementsprechend glaube ich, dass man Langeweile ruhig zulassen und nicht gleich unterbinden sollte. Aus Langeweile kann durchaus kreatives entspringen. Vielleicht, weil wir durch sie in andere Sphären vordringen. Schick gereimt.

Ist es korrekt zu behaupten, dass Punkrock die „kreative Spielwiese“ deines Lebens ist?

Punkrock ist ein wichtiger Grundstein meiner musikalischen Sozialisation.

Punk hat mich zudem ideologisch, politisch geprägt. Beispielsweise lehrte er mich, auch als Nicht-Musiker Krach machen zu dürfen oder als bekennender Schriftumsteller ein Buch zu schreiben.

Aber ich möchte mich nicht nur auf Punkrock beschränken. Musikalisch rühren wir mit Zwakkelmann ja in diversen Töpfen. So handhabe ich es auch mit dem Schreiben. Der Kreativität ist dienlich, breit zu sein, nein, breit aufgestellt zu sein.

Apropos „Spiel“: Hatte deiner Ansicht Schiller recht, als er sinngemäß behauptete, dass der Mensch nur da Mensch sei, wo er spiele?

Da mag der werte Friedrich recht haben. Wobei Spiel auf höherem Niveau auch wieder mit Arbeit, Fleiß und Disziplin zu tun hat, wo wir wieder bei Frage 1. wären. Um einen Text fertig zu stellen, bedarf es schon einer gewissen Disziplin. Es ist nicht nur Spiel, Spaß, Spannung und Tourette.

Welche Unterschiede und welche Gemeinsamkeiten siehst du, wenn du vor deinem geistigen Auge 30 Jahre zurückblickst und dich selbst auf der Bühne stehen und spielen siehst?

Mit Schließmuskel aufzutreten war natürlich was anderes als mit Zwakkelmann. Bei Schließmuskel standen gleich drei Entertainer auf der Bühne und ich musste „nur“ singen. Bei Zwakkelmann singe und spiele ich gleichzeitig Gitarre, stehe also noch mehr im Lokus, äh, Fokus. Durch meine Bühnenerfahrung bin ich schon gelassener geworden. Ich habe auch, man mag kaum glauben, an der Gitarre dazugelernt. Außerdem kann ich, das möchte ich hiermit nicht verschweigen, mittlerweile sogar nüchtern eine Bühne besteigen. Toll gereimt.

Seit vielen Jahren bist du nun als Solokünstler bzw. auch manchmal mit Band unterwegs. Welche Vor- und Nachteile hat das Touren als Solokünstler Zwakkelmann?

Wenn ich ohne Bigband spiele, hat das u.a. den Vorteil, dass der Krach vom Schlagzeug und der Bassgitarre wegfällt, was in kleinen Räumlichkeiten durchaus vorteilhaft sein kann. Allerdings hört man bei Solo-Auftritten jeden kleinen Fehler. Und diese Fehler können nur von einem selbst stammen. Demnach kann man sie nicht seinen Bandkollegen in die Schuhe schieben.

Andererseits fehlt bei Solo-Gigs auch wieder der Rhythmus, bei dem ich immer mit muss. Deshalb bedient neuerdings eine junge Dame ein Krach on, Pardon, Cachon, was nebenbei noch die Frauenquote erhöht.

Jetzt, wo das Buch draußen ist, lese ich häufiger auf der Bühne aus Shitsingle und spiele dann im Wechsel mit kleinem Besteck meine Lieder. Das ist eine super Mischung, kurzweilig und unterhaltsam. Ich bin froh, dass ich bei Lesungen auch zur Gitarre greifen kann. Nur Lesen wäre mir, glaube ich, zu langweilig.

Seit 2020 ist es bekanntermaßen schwer, live aufzutreten. Manche Menschen haben in dieser Zeit stricken gelernt, du hast das Buch „Shitsingle. Anekdoten eines Vollidioten“ geschrieben. War das von dir sowieso irgendwann geplant und hat sich durch die Zwangspause ganz gut ergeben oder war das Ganze eher ein „kreativer Lückenfüller“?

Apropos stricken, ich hatte lange schon im Hinterstübchen, ein Buch aus meinen Anekdoten zu stricken. Das Schreiben war für mich also weitaus mehr als ein „kreativer Lückenfüller“. Ich hab mir ja auch jede Menge Zeit damit gelassen. Der gesamte Prozess dauerte nämlich knapp 18 Jahre. Also genauso lang wie Schließmuskel existierte und Zwakkelmann jetzt auch schon auf`m Buckel hat, wie mir letztens auffiel. Einige Geschichten begann ich bereits 2003 zu schreiben. Ich hab sie aber im Laufe der Zeit häufig überarbeitet und dann liegen und reifen lassen. Es gab also immer wieder lange Schreibpausen dazwischen, weil ich Musik und Job den Vortritt ließ. Erst in den vergangenen Jahren wurde es ernst mit dem Buchprojekt. 

Kurz vorm ersten Lockdown besuchte ich einen Vortrag von Klaus Farin, dem Hirnkost-Macher. Wir kamen ins Gespräch, ich schickte ihm meine Geschichten und so entwickelte sich die Zusammenarbeit. Da uns durch den Lockdown mehr Zeit blieb, nahm die Sache endlich Fahrt auf. Insofern war Corona mitverantwortlich, dass das Buchprojekt letztendlich abgeschlossen wurde.

Du schreibst in der dritten Person Singular. Warst du durch diese Erzählperspektive eine gewisse Distanz zu den erlebten Geschichten oder ist das deine Methode der geistigen Verarbeitung?

Gut erkannt. Ja, ich wollte etwas Distanz zu meiner Person. Auch kann es gut sein, dass es mir bei der Verarbeitung half. Ich zieh ja ganz schön blank im Buch.

Shitsingle ist zu 77,77 Prozent autobiografisch. Das ist auch ein Grund, weshalb mir die dritte Person passender erschien.

An welche Anekdote, die du im Buch erwähnt, erinnerst du dich besonders gerne?

Zum Beispiel an die legendäre Flugscheißer-Geschichte. Vielleicht, weil ich dort nur eine Nebenrolle spiele und sie nicht schmerzhaft für mich ausgeht. Aber ich mag alle Geschichten gern.

„Erfolg ist die Fähigkeit von einem Misserfolg zum anderen zu gehen, ohne dabei die Begeisterung zu verlieren.“ (Winston Churchill) Dieses Zitat ist meiner Meinung nach auch als Fazit deines Buches geeignet. Ist es vielleicht sogar dein Lebensmotto?

Yeah, das trifft es schon irgendwie. Man sollte sich seine Naivität bewahren und nicht am Spaße sparen. Und ist die Frage erlaubt, was ist Erfolg überhaupt? Ich reim hier wie bekloppt dumm rum. Jedenfalls sind Verlierer-Storys doch weitaus lustiger und lehrreicher, als irgendwelche glamourösen Gewinner-Geschichten. Ich denke, damit stehe ich nicht alleine da.

Wie dem auch sei, Sven, vielen Dank für Dein Interesse, Deine Fragen und beste Grüße an alle hier…

Interview von Sven für Pressure Magazine im September 2021

>> Tipp: Lest auch unsere Buchkritik zu „Shitsingle“

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