Der große Traum jedes Musikers, immer auf Tour zu sein im großen Nightliner, eine Stunde auf die Bühne und dann jeden Abend Party. Wie die Realität aussieht, erzählen 30 Punk-, Oi- und Hardcorebands aus 14 Ländern in Tim Hackemacks neuem zweisprachigen Buch „Hit the Stage“.

Von Südkorea über Argentinien bis Polen berichten Musiker über Langeweile auf Tour, Probleme, Auftritte zu finden, das Musikbusiness im Großen wie im Kleinen, und erzählen Geschichten aus ihrem Tourleben. Dazu ist Hirnkost-Autor Tim Hackemack auch auf Tour gegangen, um Konzerte von allen Bands zu besuchen und das Buch mit über 1.000 Fotos aus großen Hallen, Festivals und vielen kleinen Clubs zu bestücken. Stagehands, Tourfotografen, Booker und Mercher berichten über ihre Arbeit neben der Bühne. Tim Hackemack wiederum sprach mit Sven vom Pressure Magazine über sein Interview-Fotobuch.

Ist die Fotografie ein konservatives Handwerk? Immerhin konserviert, also erhält der Fotograf den Augenblick für die Ewigkeit.

Tim Hackemack: Ich finde, dass die Fotografie insgesamt total spannend ist. Nicht nur die Fotos, die im Punk-Bereich gemacht wurden und werden, sondern alle gesamtgesellschaftlich relevanten Abbildungen der letzten 150 oder 160 Jahre, seit es dieses Handwerk gibt. Ich selbst bin erst seit 10 – 12 Jahren als Fotograf aktiv und für mich bedeutet die Fotografie weniger das „Festhalten“ besonderer Konzerte, Menschen und Augenblicke, sondern vor allem pure Entspannung. Vor der Fotografie habe ich bei Konzerten etwas getrunken und gefeiert und dann habe ich irgendwann mit dem Trinken aufgehört und habe ein neues Hobby gebraucht, da nur vor der Bühne zu stehen mir zu langweilig gewesen ist. Und dann hat das mit der Fotografie bei mir angefangen. Ich habe mir viel selbst beigebracht, aber ich bin kein gelernter Fotograf. Wenn ich heute auf Konzerten fotografiere, bin ich nüchtern und habe auch bessere Erinnerungen als früher. 

Übrigens kaufe ich seitdem nach den Konzerten viel weniger Platten als früher im berauschten Zustand. Jetzt kaufe ich nur noch die Platten, deren Kauf ich am nächsten Morgen nicht bereue.

Im privaten Bereich allerdings möchte ich durchaus die Augenblicke mit meinen Kindern mithilfe der Fotografie festhalten. 

Wie gehst du als nicht gelernter Fotograf mit der Kritik zu deinen Werken um?

Tim Hackemack: Ich bin der Überzeugung das, egal was du machst, eine Mehrheit von 52% es scheiße findet. Wenn man das weiß, kann man viel freier arbeiten und sich im Zweifel auf die anderen 48% konzentrieren. Und im Fotografie-Bereich gilt das besonders, weil es viele Leute gibt, die auf bestimmte Techniken schwören. Andere kritisieren, dass ich bei „Hit the stage“ mich komplett nur auf die Bands fokussiere und das Publikum immer hinter mir habe. Viele Bilder wirken dann vielleicht ein wenig wie Punkrock-Stillleben.

Mir gefällt es aber so am besten, mich auf die Bands zu konzentrieren, unabhängig davon, was das Publikum macht. Ich habe es oft erlebt, dass bekackte Bands ihre Freunde dabeihatten, dann gab es zwar eine riesige Party, aber die Band war immer noch scheiße.

„52% finden meine Arbeit scheiße!“ 

Punkrock ist im Vergleich zur konservativen Fotografie Rebellion im Hier und Jetzt. Beißt oder ergänzt sich das?

Tim Hackemack: Fotografieren gehört zum Zeitgeschehen, egal ob bei Punk Konzerten oder sonst wo. Heute hat doch jeder ein Handy dabei und es werden viel mehr Fotos als früher gemacht. Außerdem wird die Qualität der Bilder durch die Technik immer besser. Braucht es da überhaupt noch den Konzertfotografen? Ich glaube eher nicht. Ich glaube sogar, dass man ihn auch in der Vergangenheit nie wirklich gebraucht hat.   

Aber…?

Tim Hackemack: Na ja, wenn heute jemand ein Konzert der Broilers oder der Toten Hosen besucht und zehn Fotos macht, wird er mehr Applaus und  Likes bekommen, als wenn ein guter Fotograf exzellente Fotos einer unbekannten Band wie „Gum Bleed“ macht. Das liegt daran, dass das was fotografiert wird für die meisten Leute wichtiger als der künstlerische Aspekt ist. Bei großen Bands erlebt man das ganz oft. Und deswegen finde ich es wichtig, dass es gute, hochwertige Fotografien auch von unbekannteren Bands gibt, auch wenn es für die wenig bis keinen Applaus gibt. Aber da stehe ich drüber. 

Aber es scheint doch gar nicht mal wenige Menschen zu geben, die deine Bücher kaufen und sich an den Fotos erfreuen.

Tim Hackemack: Es gibt wirklich Leute, die auch auf Konzerten auf mich zukommen und mir mitteilen, dass sie sich über die Fotos freuen. Andere Besucher nehmen mich und meine Arbeit als „Störfaktoren“ wahr, da sie weniger sehen können und sich teilweise dadurch provoziert fühlen. Das erlebte ich schon bei einem Punkkonzert, aber auch bei einem Konzert der Band „BAP“, deren Publikum nicht unbedingt für seine Aggressivität bekannt ist. Bei einem „Agnostic Front“-Konzert im Kölner Underground stand ein Teenager vor mir in der ersten Reihe und stieg irgendwann auf die Bühne, um einen extrem traurigen Stagediving-Versuch zu unternehmen. Die dadurch entstandene Lücke vor der Bühne nutzte ich für meine Fotografien. Zwei Minuten später tippte mir der junge Mann auf die Schulter und bat höflich um die „Rückgabe“ seines Stehplatzes (lacht).

Tim Hackemack Porträt Foto Credits: Michael Raadts

Ich kann gut nachvollziehen, warum man mich als störendes Element wahrnimmt und versuche deswegen, niemandem im Weg zu stehen.

Das klappt nicht immer, da ich groß und breit bin, aber ich versuche es wenigstens und nehme mich und meine Arbeit nicht ganz so ernst. Ich leiste für die Arbeit nichts für die Gesellschaft, ich mache sie in erster Linie für mich und habe Glück, dass mich Klaus Farin vom „Hirnkost“-Verlag dabei unterstützt.

War das auch dein Masterplan für dein neuestes Werk „Hit the Stage“? Du hast genau die Bands porträtiert, auf die du Lust hattest?

Tim Hackmack: Das sind wirklich alles Bands, die ich mag. Das ist meine Auswahl an Bildern, die ich seit 2016 erstellt habe. Dafür habe ich im Vorfeld die Bands oder den Veranstalter wegen der Akkreditierung angeschrieben und dann auf den Konzerten fotografiert. 

Hatte der erste Lockdown 2020 direkte Auswirkungen auf „Hit the stage“?

Tim Hackemack: Ich hatte noch einige Konzerte im Kalender stehen, die dann leider ausfallen mussten. Als irgendwann feststand, dass 2020 nur sehr wenige Shows stattfinden können, wurde ich zum Glück von einigen befreundeten Fotografen unterstützt und konnte ihre Bilder für mein Buch nutzen.

Welche Bands haben dich bei der Arbeit für „Hit the stage“ persönlich am meisten begeistert?

Tim Hackemack: Musikalisch auf jeden Fall „Discharge“. Bei einer Show fehlte der Bassist, aber der Sound war aber der gleiche, weil der zweite Gitarrist einfach den Bass ohne hörbaren Unterschied übernommen hat. Das war wirklich beeindruckend. Außerdem finde ich die Texte von „Friedemann“ und „COR“ immer wieder von Neuem ergreifend, da sie eine unheimliche Tiefe haben, authentisch Gefühle wie Schmerz beschreiben und insgesamt kompromisslos sind. Da muss man sich manchmal als Hörer ein wenig durchkämpfen…Das finde ich richtig cool, nicht nur oberflächliche Geschichten zu erzählen. 

Oder die „Veggers“ aus Südkorea, die trotz finanziellem Tour Desaster und abgesagten Terminen richtige „Mega Shows“ in Deutschland abgeliefert haben. Das ist Punk! Die beste Geschichte in dem Buch ist allerdings die von „The Outcasts“ aus Irland. So ist es mittlerweile historisch unstrittig, dass der Friedensprozess in Nordirland in den siebziger Jahren maßgeblich durch die Punkszene in Gang gesetzt wurde, da auf Konzerten Protestanten und Katholiken gemeinsam gefeiert haben. Punk als Friedensstifter – das ist doch eine geile Geschichte! Oder TV Smith, der seit 45 Jahren auf Tour geht!

Hattest du mit den Bands auch während der Pandemie Kontakt?

Tim Hackemack: Über Social Media konnte ich ganz gut nachverfolgen, was die Bands so gemacht haben. Die Personen, mit denen ich von Anfang an viel Kontakt hatte, mit denen habe ich jetzt immer noch viel Kontakt. Mit „Zona 84“ aus Argentinien fiebere ich gemeinsam, wann sie wieder auf Tournee gehen können. Erschwert wird dieses Vorhaben durch die hohe Inflation in Argentinien, die allein den Preis für die Flugtickets in den letzten drei Jahren sehr verteuert hat. Das macht es sehr schwer.

Na ja, und dann gab es ja noch den einen oder anderen Livestream, aber die sind nichts für mich. Da habe ich mir keinen angehört. Zwei DJ-Livestreams habe ich auch selbst gemacht und bin dankbar, für die 20+ Personen, die das, warum auch immer, interessant fanden (lacht)

Was oder wen fotografierst du eigentlich, wenn Pandemie bedingt keine Konzerte stattfinden können?

Tim Hackemack: Ich habe 1-2 Fotoshootings gemacht, aber sonst ist alles sehr wenig geworden. Momentan rattert es bei mir, wie ich den „kommenden“ Lockdown nutzen möchte. 2012 habe ich mal eine Fotoausstellung über die Orang Utans im Münsteraner Zoo gemacht. Mal schauen…

Vielleicht ein Bildband über Punkrock im Regenwald/Indonesien?

Tim Hackemack: Ich war 2011 in Indonesien und habe einige Punks kennengelernt. Es gibt wirklich deutsche Crust Bands, die durch Indonesien touren. Aber eigentlich ist das „Tourding“ gerade bei mir abgeschlossen. Mal schauen, was kommt.

Das Interview führte Svenni für das Pressure Magazine im August 2021

Konzertfotos von Tim Hackemack

„Hit the stage“ (Tim Hackemack): Punk war, ist und bleibt…

Rebellion, Energie und Ablehnung gesellschaftlicher Normen. Verkörpert wird diese Lebenseinstellung durch einen nonkonformistischen Lebensstil, der zugegebenermaßen im 21. Jahrhundert nicht mehr wie im letzten Jahrtausend provozieren kann, und natürlich durch die Musik. Nach Angaben von mehreren Journalisten ist die musikalische Punkszene heute größer und vielfältiger als jemals zuvor. Einen breiten Einblick in diese subkulturelle Welt bietet der Konzertband „Hit the stage“ des Fotografen Tim Hackemack. Hackemack porträtiert die Konzerte zahlreicher nationaler Bands wie „Rantanplan“, „Slime“, „Die Mimmis“ und „Die Lokalmatadore“ sowie internationaler Bands wie „Agnostic Front“, „The Peacocks“ und „The Generators“. Er fotografierte dabei ausschließlich die Bands und nicht die Fans. Ergänzt werden diese Fotografien durch Interviews mit den Künstlern, sowohl in deutscher als auch in englischer Sprache.

Fazit: Wer in Pandemie Zeiten Livekonzerte im alternativen Genre vermisst, wird durch den Hackemacks qualitativ hochwertigen Bildband entschädigt. Die Interviews können mich hingegen nicht immer begeistern.

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  • Herausgeber: ‎ Hirnkost (30. November 2020)
  • Sprache: ‎ Englisch, Deutsch
  • Gebundene Ausgabe: ‎ 400 Seiten
  • ISBN-10: ‎ 3948675775
  • ISBN-13: ‎ 978-3948675776

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