Ein Interview von Svenni

Ich merke immer mal wieder, dass auch ich anscheinend älter werde. Verrückt, oder? Erst neulich hat sich mein siebenjähriger Sohn die Bosso-CD „Nie wieder Kirmesmusik“ ausgeliehen, um sie in voller Lautstärke in seinem Zimmer anzuhören. Meine Gedankengänge kreisten u.a. um die Frage, warum ich als Mitvierziger mittlerweile die etwas ruhigeren Bosso-Songs, die mit den Ping Pongs aufgenommen wurden, bevorzuge. Kurz danach dachte ich, wie man überhaupt in einer solchen Lautstärke Musik konsumieren kann, ohne das Gehör und gleichzeitig den Verstand zu verlieren. Aber über den zuletzt genannten Punkt bin ich wahrscheinlich auch schon hinaus…aber genug von mir.

Wie war das eigentlich bei dir? Wann hast du gemerkt, dass der „Zahn der Zeit“ auch an dir nagt?

El Bosso: Klar ist es schön, jung und kräftig zu sein. Und wenn ich mir heute auf YouTube Videos anschaue, wie ich 1987 aussah, ist das beinahe unfassbar. Aber konkret merkte ich wahrscheinlich 1997 zum ersten Mal wirklich das Alter, als sich bei mir Bandscheibenprobleme bemerkbar machten. Und ich dachte: „Oh Mist, jetzt werde ich wohl alt!“ Dabei war ich noch nicht mal 30! Irgendwann merkte ich auch, dass ich nicht mehr so viel Alkohol vertrage und durchzechte Nächte nicht mehr so leicht wie früher wegstecke. Aber das ist eine Erfahrung, die wohl jeder von uns macht.

Ist das Alter für dich eigentlich auch eine Chance, dich „neu“ zu erfinden und neue Projekte anzugehen?

El Bosso: Man wird weiser und milder, auch wenn das zugegebenermaßen ziemlich ausgelutscht klingt. Früher dachte ich wirklich, dass ABBA der letzte Scheiß sei, aber heute gebe ich gerne zu, dass da doch der eine oder andere Song ganz geil ist. Wobei ich die Musik nie wirklich so schlimm fand.

Ein Freund brachte das mal vor einiger Zeit treffend auf den Punkt, als er sagte, dass das Schlimme an ABBA nicht die Musik gewesen sei, sondern die Fans.

Ich bin generell entspannter geworden und habe mittlerweile mehr Verständnis für meine Mitmenschen, sogar für ABBA-Fans. Musikalisch war ich allerdings noch nie auf ein Genre festgelegt und schon immer von vielen Bands aus verschiedenen Musikrichtungen fasziniert. Deswegen habe ich mich aus musikalischer Sicht im Laufe des Lebens eigentlich gar nicht so sehr verändert.

Das erklärt, warum Eure Songs auf vielen „alternativen“ Samplern vertreten sind. Mir ist da gerade gestern der Sampler „Wir warten auf die Lindenstraße“ von 1989 in die Hände gefallen, auf dem ihr als blutjunge Musiker neben den Abstürzenden Brieftauben, den Goldenen Zitronen und den Ärzten vertreten seid…

El Bosso: Ja, die musikalische Schnittmenge von Ska und Punk ist wirklich sehr groß, da liegt es nah, dass sich beide Szenen überschneiden und sich im ständigen Austausch befinden. Mein musikalisches Projekt mit den „Skadiolas“ vor einigen Jahren war von Anfang an als Ska-Punk Projekt gedacht, die Musik mit den „Ping Pongs“ war immer schon viel poppiger ausgerichtet, da gab es sogar „Schmusesongs“.

Apropos „El Bosso meets the Skadiolas“: Für den investigativen Pressure-Leser dürfte an dieser Stelle noch noch von Interesse sein, dass der Szenefotograf Tim Hackemack (Autor von „Hit the Stage“, Anmerk. Pressure) mit dieser Projektidee an mich herangetreten ist. Aus ursprünglich einem geplanten Song entstanden dann letzten Endes zwei Platten, weil zwischen uns allen die Chemie gestimmt hat.

Im 2018 erschienen Buch „Ska im Transit“, an dem du mitgewirkt hast, werden die Anfänge der Ska-Szene vor über 30 Jahren im noch geteilten Deutschland dokumentiert. Kannst du kurz über die Entstehungsgeschichte berichten und in welcher Gestalt du bei der Realisierung mitgewirkt hast?

El Bosso: Ich bin von Matzke von unserem Label „Pork Pie“ angesprochen worden, da wir als Band bereits Mitte der 80er Jahre in der SKA-Szene mitgewirkt haben und einige Konzerte in der damals noch existierenden DDR gaben. 

Ein immer wieder gelesener Kritikpunkt an „Ska im Transit“ lautet, dass der inhaltliche Schwerpunkt auf Berlin liege und andere deutsche Großstädte mit Ska-affinen Szenen nahezu ausgeklammert würden. Was entgegnest du diesen Kritikern?

El Bosso: Ich kann diese Kritik nicht so ganz teilen. Das Label Vielklang, heute Pork Pie, hatte und hat nun einmal seinen Sitz in Berlin. Berlin hatte damals natürlich auch eine beachtliche Ska-Szene. In der DDR gab es ebenfalls eine Riesenszene. Das war für uns Neuland und wir waren von diesem Enthusiasmus, dieser Aufbruchstimmung und der Lebensfreude der Menschen begeistert. Die Leute feierten uns auf den Konzerten ziemlich ab, wohl auch deshalb, weil unsere deutschen Texte von ihnen gleich verstanden wurden. 

Liegt die Gefahr an solchen Werken darin, die eigene Vergangenheit zu verklären?

El Bosso: Die Gefahr besteht schon, aber „Ska im Transit“ wollte bewusst diese Zeit aus der Sicht der Leute, die das damals miterlebt haben, abfeiern. Es hat nicht den Anspruch, objektive Sachinformationen zu transportieren. Ich denke, dass beides gut gelungen ist. 

Wie erlebst du die „Ska-Szene“ bzw. die dir sympathischen Subkulturen nach fast zwei Jahren der Pandemie?

El Bosso: Ich glaube, dass der eine oder andere Live-Club an den Folgen „zu knabbern“ haben wird.

Meine Befürchtung ist, dass die Pandemie noch tiefe Schneisen der Verwüstung in die Kulturschaffenden-Szene schlagen wird. Es ist eine harte Zeit für viele Leute, gerade in der freien Szene, die von den Gagen abhängig sind.

Zum Glück bin ich als fest angestellter Theaterschauspieler davon nicht betroffen und erhalte auch ohne Auftritte jeden Monat pünktlich meinen Lohn. Dieses Privileg weiß ich sehr zu schätzen und bin unheimlich dankbar dafür!

Welche Bedeutung werden deines Erachtens in Zukunft kleinere Club-Konzerte im Vergleich zu großen Festivals haben?

El Bosso: Vermutlich wird es im kommenden Jahr in der wärmeren Zeit wahrscheinlich wieder viele Konzertveranstaltungen unter freiem Himmel geben. Möglicherweise werden kleine Clubs auf „Nummer sicher“ gehen und wenigstens Open-Air-Events stattfinden lassen, um nicht so ganz auf die Einnahmen der Indoor-Veranstaltungen angewiesen zu sein.

Wie wird „El Bosso“ als Privatmann und als Musiker das (hoffentlich baldige) Ende der Pandemie „zelebrieren“?

El Bosso: Wir hatten geplant, dass mit dem Weihnachtsauftritt in Münster das Gröbste der Pandemie vorbei wäre. Das war der Plan, der durch den Impfstoff und die Impfkampagne seinen Ursprung und seine Berechtigung hatte. Die Wirklichkeit sieht anders aus. In Sachsen gibt es bereits faktisch schon wieder einen Lockdown, der möglicherweise auch den Westen des Landes demnächst ereilt. Sollte es dennoch möglich sein, das Konzert stattfinden zu lassen, dann nur mithilfe der 2G bzw. der 2G+-Regelung. 

Für mich als Privatmann gibt es wahrscheinlich kein Datum, an dem ich das Ende von Corona offiziell feiere. Ich versuche wie die meisten anderen auch das Beste aus der Situation zu machen und die Regeln einzuhalten. An manche Maßnahmen hat man sich mittlerweile nach 20 Monaten Pandemie schon gewöhnt. Vielleicht wird es eine schrittweise Rückkehr zur Normalität geben.

Bonusfrage: Welche „musikalischen Verbrechen“ (=subjektiv schlechte Songs und Alben) der letzten 30 Jahre sollten angesichts der Pandemie und deren weitreichenden Folgen milder beurteilt werden?

El Bosso: Wir sprachen gerade über die Milde des Alters, deswegen liegt es mir fern, über Künstler, Alben oder Songs herzuziehen oder sie zu zerreißen. Es würde mir wahrscheinlich auch gar nichts dazu einfallen, selbst wenn ich wollte. 

Einen Fehler machen meiner Meinung nach manche Künstler allerdings darin, alte Alben neu abzumischen oder gar ganz neu aufzunehmen, nur weil der Sound im Original nicht ganz so perfekt gewesen ist, oder ihren aktuellen Ansprüchen nicht mehr genügt. Das ist sehr „gefährlich“, denn unabhängig, wie scheiße aus heutiger Sicht die damalige Aufnahme war, sind es dochoft genau diese alten Aufnahmen, die die Fanslieben; sie lieben das Original, mit dem sie persönliche Erinnerungen (…) verbinden.

Soundtechnischer Perfektionismus spielt aus meiner Sicht bei den meisten Fans eine weniger wichtige Rolle, aber natürlich hat auch jeder Künstler ein Recht an seinem Werk zu „werkeln“… Wenn ich es genau bedenke gibt es auch auf unserern ganz alten Aufnahmen die ein oder andere Sache…

Interview von Sven im Dezember 2021

Achtung: Das geplante El Bosso Weihnachtskonzert 2021 fällt leider aus!

Foto mit freundlicher Genehmigung über El Bosso von Amory Salzmann (aufgenommen am 03.09.2021 beim This is Ska Festival)

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