Das perfekte Paralleluniversum. Was die Gesellschaft von Metalheads lernen kann.
Ein Buch über die Liebenswürdigkeit der Metalheads und den sozialen Aspekt der Metalszene. Sven vom Pressure Magazine sprach mit Dr. Lydia Polwin-Plass und Dr. Michael Gläser über ihr Buch, das im Oktober 2022 im Hirnhost Verlag erschienen ist. Das Wacken Buch kann bei Amazon.de oder bei Hirnkost Verlag gekauft werden. Hier lest ihr ebenfalls unsere Buchkritik.
Bitte beendet den Satz: „Wenn alle Menschen Metalheads wären, wäre…“
Dr. Lydia Polwin-Plass: …die Welt in Ordnung und die Menschen würden zusammenhalten egal welcher Hautfarbe, Religion sie angehören, egal ob sie arm oder reich sind, dick oder dünn , alt oder jung, männlich, weiblich oder divers sind.
Dr. Michael Gläser: … die Welt friedlicher. Und lauter.
Aber eigentlich ist das gar nicht so erstrebenswert, weil die Welt ja von ihrer Diversität lebt.
Und „Wenn ich einen Tag der König der metallisierten Welt wäre, würde ich…“
Dr. Lydia Polwin-Plass: …dafür sorgen, dass Frauen auf dieser Welt ohne Angst vor Gewalt und Unterdrückung leben können, dass alle Menschen genug zum Essen, Trinken und ein warmes Zuhause haben, dass Tiere nicht mehr als Sache gehandelt werden und Massentierhaltung abgeschafft wird, und dass Metal nicht mehr fälschlicherweise dem Pop zugeordnet wird (lacht). Dr. Michael Gläser: Das geht überhaupt nicht, weil ein wichtiger Aspekt der Metalszene ja der ist, dass alle gleich sind und es keinen König, Kaiser, Präsidenten oder Anführer gibt. Die einzigen Könige, die ich im Metal kenne sind King Diamond und Kerry King. Das muss an Königen genügen.
Welche Erinnerungen habt ihr konkret, als ihr durch euer Äußeres der Umwelt zum ersten Mal gezeigt habt, dass ihre Metalheads seid?
Dr. Lydia Polwin-Plass: Als Jugendliche gar keine, aber kürzlich wurden wir bei einer Pension, in der wir ein Zimmer gebucht hatten, unhöflich behandelt und abgewiesen.
Dr. Michael Gläser: Das weiß ich gar nicht mehr. Ich weiß nur, dass mein erstes Metal-Shirt (Metallica – And justice for all) für meine Eltern auch nur ein weiteres T-Shirt war. Für meine Mutter war nur wichtig, dass es auf Links gewaschen werden musste. Im Lauf meines Metalhead-Lebens habe ich aber immer wieder gemerkt, dass ich in denselben Läden anders bedient werde, wenn ich mit Kutte oder Metal-Shirt daherkam oder businessmäßig im Anzug und mit Krawatte. Unterschwellig gibt es da leider immer noch Vorurteile.
Wie unterscheidet sich euer Alltag von dem eines Menschen, der gerne auf der Fahrt zur Arbeit Helene Fischer hört und sich feiertags das Traumschiff anschaut?
Dr. Lydia Polwin-Plass: Gar nicht was meine Fernsehpräferenzen betrifft – da muss ich mich jetzt outen, denn ich liebe Realitysoaps wie „Bauer sucht Frau“ oder „Big Brother“. In meinem stressigen Alltag als Journalistin und Autorin ist das eine willkommene seichte Abwechslung zum Kopf frei kriegen. Ansonsten ist mein Alltag – alleine schon durch mein Metalmagazin METALOGY – von Metal geprägt. Ich besuche auch durchschnittlich 2-3 Mal wöchentlich ein Metalkonzert und bin dann auch immer in den Fotogräben zu finden.
Dr. Michael Gläser: Ich glaube, dass sich der Alltag gar nicht so sehr unterscheidet. Nur spielt in meinem Alltag die Musik eine deutlich wichtigere Rolle. Metal begleitet mich den ganzen Tag, ob im Ohr oder im Kopf. Vielleicht ist auch meine Grundeinstellung eine andere. Wir haben in unserem Buch ja über die selbstentwickelten Werte der Metal-Szene geschrieben. Und genau diese Einstellung ist es meiner Meinung nach, die uns von vielen Helene Fischer-Hörern unterscheidet.
Sind Metalheads sozial kompatibler als andere Subkulturen? Und warum ist das eures Erachtens der Fall?
Dr. Lydia Polwin-Plass: Metalheads haben irgendwann einmal, ganz ohne Dogmen, Vorschriften oder Gesetze beschlossen, lieb miteinander umzugehen. Inklusion, Friedfertigkeit, Zusammenhalt, Hilfsbereitschaft und ein liebvoller Umgang miteinander sind heute in der Szene Selbstverständlichkeiten. Und die ethischen Wertmaßstäbe – nicht nur im Umgang miteinander – sondern auch gegenüber der Umwelt, Nicht-Metalheads, Ressourcen und Tieren – sind mittlerweile sehr hoch. Mein jüngerer Sohn hat sich eine Zeit lang in der HIP-HOP-Szene bewegt und kannte durch mich jede Menge Metalheads. Sogar ihm fiel auf, dass sich in der Metalszene auffällig viele liebe Menschen bewegen. Und wir Metalheads wissen das ja seit vielen Jahren (lacht).
Dr. Michael Gläser: Ich denke, da Metal-Fans anfänglich Außenseiter waren, hat sich ein starker Zusammenhalt entwickelt. Damals stand schlicht Metal im Mittelpunkt. Mit jedem Metalhead – egal wo auf dieser Welt – kannst du dich heutzutage sofort über deine Lieblingsbands oder die Metalszene generell unterhalten. Das verbindet. So hat die diese Offenheit über die Jahrzehnte entwickelt.
Ich selbst habe es erlebt, dass in einem Hotel in Malaysia der Koch darauf bestand mir alle gewünschten Gerichte umsonst zuzubereiten, weil ich in einem „Big4“-T-Shirt rumlief und er auch Metalhead war. Wir haben uns nachher ausgiebig über Metal in allen Facetten unterhalten.
In eurem Buch werden Begriffe wie Inklusion, Nächstenliebe (…) mehrfach verwendet. Wie gelingt Inklusion beim Festival „Wacken“ konkret?
Dr. Lydia Polwin-Plass: Da wurde schon viel getan und trotzdem gibt es noch Optimierungsbedarf. Wir haben zwei Freundinnen, die auch in unserem Buch zu Wort kommen, die haben ein Unternehmen gegründet, das Veranstalter aus Sicht der Betroffenen berät. Denn welchen Sinn macht eine Behindertenrampe, die zu niedrig ist, oder ein Campground für Menschen mit Handicap, dessen Zufahrtswege mit dem Rolli kaum erreichbar sind. Das sind nur zwei Beispiele.
Festivals sollten sich also beraten lassen, damit die Maßnahmen, die sie implementieren, auch wirklich Sinn für die Betroffenen machen. Wir haben diesem Thema in unserem Buch viel Platz gewidmet. Und Festivals sollten alles Erdenkliche dazu tun, dass ALLE Menschen sie besuchen und genießen können.
Dr. Michael Gläser: Erst einmal ist zu betonen, dass Inklusion für Holger Hübner und Thomas Jensen ein sehr wichtiges Thema ist und sie immer wieder nach neuen Ideen und Lösungen suchen und diese auch – wenn möglich – umsetzen. So gibt es mittlerweile befestigte Bereiche für Rollstuhlfahrer und eine Spezialwerkstatt, wenn etwas kaputtgegangen ist.
Aber nicht nur Rollstuhlfahrer, sondern alle Personen mit einer Einschränkung finden hier ein offenes Ohr. Wenn man überlegt, dass knapp 100.000 Menschen jedes Jahr in Wacken unterwegs sind und eine ganze Großstadt auf dem Acker errichtet wird, ist es erstaunlich, dass hierbei versucht wird, wirklich allen gerecht zu werden.
Konnte ein Festival wie „Wacken“ nur durch die Nähe zur Metalszene so wachsen und trotzdem ursprünglich, familiär und „dörflich“, bleiben?
Dr. Lydia Polwin-Plass: All das ist das W:O:A tatsächlich trotz seinen Größe geblieben und das liegt nicht zuletzt an den Veranstaltern Thomas und Holger, die trotz des Erfolgs immer noch auf dem Boden und Metalheads mit Leib, Herz und Seele geblieben sind. Aber natürlich auch an uns Mertalheads, denn wir sind einfach ein cooler Haufen (lacht).
Dr. Michael Gläser: Ich glaube, dass der Erfolg des W:O:A insbesondere in der gegenseitigen Akzeptanz liegt, die über die Jahre gewachsen ist. Ein Vorteil war sicherlich, dass das Festival von „Jungs aus dem Dorf“ gegründet wurde und mit Bauern Uwe Trede einen großen Fürsprecher im Dorf hatte. Die Offenheit und Friedfertigkeit der Metalheads auf der anderen Seite machte es den Dorfbewohnern sicherlich einfach, die anfänglich befremdlich wirkenden Schwarzgewandeten ins Herz zu schließen.
Es wird den Wacken-Veranstaltern immer vorgeworfen, dass das Festival zu kommerziell sei. Genau das Gegenteil ist der Fall. Wenn man ein kommerzielles Festival sehen möchte, kann man direkt zu Rock am Ring gehen. Die Wacken-Veranstalter haben ganz andere Ziele als Geld zu verdienen. So suchen sie zum Beispiel nach Wegen, das Festival absolut nachhaltig zu machen. Auch liegt ihnen so etwas am Herzen, dass für jeden Ernährungstypen (Veganer, Vegetarier oder Fleischesser) ausreichend Vielfalt geboten wird. Und besonders liegt den beiden das Dorf am Herzen. Ein großer Teil des Festivals wird durch Freunde und Anwohner der umliegenden Dörfer gestemmt. Auch die Beziehung zu den örtlichen Behörden ist vorbildlich. Das Festival ist unglaublich tief in der Region verankert.
Kann man auch ohne den „Wacken“-Besuch ein erfülltes Leben als Metalhead führen?
Dr. Lydia Polwin-Plass: Natürlich kann man das, aber wir halten das W:O:A immer noch für etwas ganz Besonderes, deshalb haben wir genau dieses Festival auch als Beispiel gewählt, um zu zeigen wie Metalheads ticken.
Dr. Michael Gläser: Natürlich. Es gibt so viele andere tolle Festivals und so viele Konzerte, die für jeden Metalhead ein tolles Erlebnis sind. Jeder Metalhead kann Metal so genießen, wie er es möchte. Das ist von Wacken vollkommen unabhängig. Es hat auch nicht jeder die Möglichkeit nach Wacken zu kommen. Ich habe zwar immer wieder in fernen Ländern von Metalheads gehört, dass sie einmal im Leben nach Wacken wollen und dafür seit Jahren sparen, ihre Glückseligkeit hing davon aber nicht ab. Wie ein Metalhead seine Erfüllung findet, wird er selber am besten wissen, ob es nun in Syrien bei einem Auftritt im Keller ist, während draußen Bomben fallen oder in Büttelborn bei einer Metal-Grillfete mit Freunden und viel Bier. Ich selber liebe zum Beispiel auch das ROCKHARZ-Festival.
Gibt es dennoch Dinge, die ihr euch für das Wacken Festival wünscht und wo ihr Verbesserungspotenzial seht?
Dr. Lydia Polwin-Plass: Was Inklusion betrifft, gibt es – auch wenn schon sehr viel getan wurde – immer noch Luft nach oben, ansonsten, fühlen wir uns in Wacken immer pudelwohl.
Dr. Michael Gläser: Zunächst wünsche ich mir, dass es das W:O:A noch sehr lange geben wird. Und hoffentlich wieder jährlich.
Ich bin nun schon 21 Mal auf dem W:O:A gewesen und jedes Jahr hat sich immer wieder etwas geändert und vieles verbessert. Ich vertraue den Veranstaltern hundertprozentig, dass sie Änderungen, die sie vornehmen nach dem Festival auch genau analysieren, und immer wieder aus den Festivals lernen. Dieses Jahr (2022) gab es durch die Umstellung auf bargeldlose Zahlung ja so manche Probleme beim Einchecken und mit den Trinkgeldern. Das ist den Veranstaltern sehr bewusst und da wird sich sicherlich etwas ändern. Für mich selbst war es dagegen sehr angenehm, dass es deutlich mehr Sitzgelegenheiten gab.
Und zum Schluss, die Metal-Klischee-Umfrage: Schreibt eure sechs liebsten Metal-Alben, die sechs liebsten Metal-Songs und (zum diabolischen Schluss) eure sechs besten Metal-Acts auf.
Dr. Lydia Polwin-Plass: Meine Präferenzen wechseln wöchentlich (lacht), aber diese Woche sind es:
Meine besten Metal-Alben
The Roundhouse Tapes von Opeth
Paradise Lost von Symphony X
Roots von Sepultura
Halo von Amorphis
Best of the Beast Iron Maiden
Symphony & Metal von Metallica
Meine besten Metal-Songs
Mother Earth von Within Temptation
Roots von Sepultura
Demon of the Fall von Opeth
The Sacrifice von Symphony X
Vamphyri von Adagio
Painkiller von Judas Priest
Meine besten Metal-Acts
Die Antwort würde sich natürlich auch jährlich ändern.
Aber zur Zeit sind es:
Opeth im Schlachthof Wiesbaden 2022
Billy Talent in der Festhalle Frankfurt 2022
Parkway Drive in der Festhalle Frankfurt 2022
Blind Guardian imn der Bastchkapp Frankfurt 2022
Igorrr auf dem Summer Breeze 2022
Dark Tranquilillity in der Szene Wien 2022
Dr. Michael Gläser:
Nur sechs? Das ist echt schwer. Hier sind die, die mich am meisten beeinflusst haben.
Meine besten Metal-Alben
In Flames – Reroute To Remain
Queensryche – Operation Mindcrime
Brainstorm – Metus Mortis
Amon Amarth – With Oden On Our Side
Parkway Drive – Ire (Gleichauf mit Arch Enemy – War Eternal)
Aktuell ist mein Favorit: Long Distance Calling – Eraser
Huch, jetzt sind es doch acht geworden.
Meine besten Metal-Songs
Blind Guardian – Bards Song (Gänsehaut)
Nevermore – Born
Annihilator – Kind Of The Kill
Heaven Shall Burn – Endzeit
Brothers Of Metal – Defenders Of Valhalla (Unser Familien-Metal-Song)
Yngwie Malmsteen – Icarus´ Dream Suite Op. 4
Meine besten Metal-Acts
Leider weiß ich gar nicht mehr die Jahre.
Brainstorm – überall und immer
Parkway Drive – Ballsporthalle Frankfurt
Long Distance Calling – ColosSaal Aschaffenburg, Boundless-Tour
Amon Amarth – Alte Batschkapp Frankfurt, With Oden On Our Side-Tour (Bester Gig meines Lebens)
Stratovarius – Jedes Mal (nur einmal hatten sie zu viel davor gefeiert)
Heaven Shall Burn – Immer wieder beeindruckend – besonders in Wacken
Zuletzt hat mich The Halo Effect sehr beeindruckt.
Unser Buch-Tipp:
WACKEN – Das perfekte Paralleluniversum: Was die Gesellschaft von den Metalheads lernen kann
von Dr. Lydia Polwin-Plass und Dr. Michael Gläser
Sachbuch | Hardcover mit Lesebändchen und zahlreichen Illustrationen
Preis: 29,00 € – Jetzt bestellen bei Amazon.de oder bei Hirnkost Verlag
Hier lest ihr ebenfalls unsere Buchkritik.