„Ihr nehmt doch alle Drogen…“ (aus dem Lied „Junge“, Die Ärzte)

Sie waren nie „Kinder von Traurigkeit“, der Totengräber Volker Langenbein und Gerre, Sänger der Trashmetalband „Tankard“ und galten gemeinhin als „trinkfest“. Welche Erfahrungen sie mit anderen Drogen gemacht haben und wie sie zur Entkriminalisierung von Cannabis stehen, verraten sie im folgenden Interview.

Hintergrund und Themenanlass für diesen Artikel sind der in Portugal implementierte innovative Ansatz für die Drogenprävention. In Portugal wurde im Jahr 2001 eine neue Drogenpolitik eingeführt, bei der die Behandlung von Drogensucht als Gesundheitsproblem und nicht als Strafverbrechen betrachtet wird. Es wurden Kliniken und Behandlungsprogramme eingerichtet, um Abhängigen zu helfen, und Strafen für den Besitz von Drogen für den Eigenbedarf wurden abgeschafft. Das Ziel dieser Politik ist es, Drogensüchtige zu rehabilitieren und zu reintegrieren, anstatt sie zu bestrafen.

Die aktuelle Reportage „Therapie statt Gefängnis“ im Deutschlandfunk haben unseren Pressure-Redakteur Sven beschäftigt und somit kam er zu der Erkenntnis, dass die Drogenpolitik in Deutschland in den letzten Jahrzehnten größtenteils wirkungs- und erfolglos blieb und nicht zu weniger, sondern zu mehr Abhängigen und Missbrauchsfällen führte.

Aber wie sehen das andere, die Sven bei diesem Thema als Experten bezeichnen möchte? Im Doppel-Interview diskutieren Volker Langenbein, der als Totengräber immer wieder mit den Folgen extremen Drogenmissbrauchs („Überdosis“) konfrontiert wurde und Tankard-Sänger Gerre, der beruflich mit Schwerstabhängigen arbeitet. Miteinander wurde über die Vor- und Nachteile des portugiesischen Drogenpräventionsansatzes diskutiert und wie sie zur Entkriminalisierung von Cannabis stehen.

Warum nehmen Menschen Drogen?

Gerre: Das kann vielschichtige Gründe haben und zudem müsste man erst einmal definieren, was eine Droge ist. Da gibt es die unterschiedlichsten Drogen, von weichen Drogen wie Nikotin, Alkohol, bis hin zu harten Drogen wie Heroin und Kokain. Und wer nimmt die Drogen? Eigentlich erst einmal alle, keine Gruppe kann von sich behaupten, vollkommen drogenfrei zu leben. Die „straight-edge“-Szene, die von sich behauptet, drogenfrei zu sein, nutzt ihre Musik als Droge. Sogar Nerds können Drogenmissbrauchserfahrungen machen, indem sie sich wirklich alles von einer Sache, einer Obsession, kaufen. Vielleicht sogar alle Platten ihrer Lieblingsmetalband. Und nun zu deiner Frage, warum Menschen Drogen nehmen: Die wenigsten Menschen nehmen sie, um lustig zu sein, also aus reinem Spaß. Meistens sind die Gründe vielschichtiger, viele Abhängige nehmen Drogen, weil sie ohne sie ihr Leben nicht mehr auf die Reihe bekommen.

Volker: Das ganze Leben besteht aus Sucht und Drogen. Sie sind eine uralte Möglichkeit, in andere Dimension einzutauchen. Und das gelingt mit allen Drogen, ob sie weich oder hart sind, mal mehr und mal weniger gut. Manche kommen mit diesen Erfahrungen besser als andere zurecht, die nur teilweise aus diesen Dimensionen wiederauftauchen und „hängen bleiben“.

Was war eure erste Begegnung mit Drogenkonsum, jenseits von Alkohol und Nikotin?

Gerre: In den 70er Jahren bin ich mit meinem Vater immer ins Hallenbad Stadtbad Mitte gegangen, da gab es im angrenzenden Park eine Kiffer-Szene. An die kann ich mich gut erinnern. Meinen ersten Vollrausch durch Alkohol hatte ich mit 13, das war 1980. Eintracht Frankfurt gewann den UEFA-Cup und auf dem Römer wurde gefeiert. Es gab, aus heutiger Sicht unglaublich, Freibier für alle! Also sind wir nach der Schule gemeinsam dorthin gegangen und abends irgendwie wieder nach Hause gekommen…

Volker: Bei mir war die Geschichte leider weniger lustig. Meine ersten Heroinjunkies habe ich in den 80er-Jahren auf dem Bolzplatz erlebt. Während wir Kinder bzw. angehende Jugendliche Fußball gespielt haben, setzten sich die Junkies daneben ihren Schuss. Daneben saßen einige Ex-Knackis, die sich massiv dem Alkohol hingaben. Als wir älter wurden, haben wir für sie Alkohol in den benachbarten Geschäften gekauft, in denen sie Hausverbot hatten. Dafür haben wir dann auch mal ein bisschen Geld von ihnen bekommen. Das war für uns normal. Heftig war dann, dass sich eines Tages einer der Junkies unter einer Eisendachvorrichtung auf dem Bolzplatz erhängte.

Gerre, wie hast du den Drogenkonsum innerhalb der Metal-Szene erlebt?

Gerre: Alkohol war immer in unserer Band, gerade in den Anfangstagen, als wir 19 und 20 Jahre alt waren, omnipräsent. Durch die ersten beiden Alben haben wir uns einen Ruf erworben, der uns teilweise heute noch anhängt. Natürlich haben wir auch während unserer Shows immer wieder etwas dafür getan, diesem Ruf gerecht zu werden, aber insgesamt schauen wir auf diese Zeit eher mit einem lachenden Auge. Man soll das bitte nicht so bierernst nehmen. Das machen wir selbst auch nicht und können es gut verkraften, wenn wir heute im Ausland vielerorts wieder einmal als „Alcoholic Metal Band“ auf Festivals (…) angekündigt werden. (lacht)

Natürlich gab es hier und da auch Metalheads, die Kokain konsumierten, aber für uns als Band war das nie ein Thema. Und Haschisch war immer präsent, in den 80er-Jahren bis heute, mal mehr, mal weniger, allerdings auch nicht bei uns.

Und bei dir Volker? Hattest du Freunde, die nach eurer Zeit auf dem Bolzplatz selbst Drogen konsumierten?

Volker: Ja, das waren aber eher weitläufige Bekannte. Die haben sich Kokain und Pep reingeballert. Viele sind hängen geblieben. Leider. Ich habe die Beziehung zu den meisten dieser Menschen relativ schnell reduziert, mit anderen hatte ich weiterhin Kontakt. Aber harte Drogen waren in dieser Lebensphase nicht meine Welt. Alkohol und Nikotin waren für mich eher die Drogen, mit denen ich mich anfreunden konnte. Haschisch hingegen war immer uninteressant, weil ich davon jedes Mal „die Scheißerei“ bekam.

Gerre: Das ist doch wirkungsvoll. Bei mir sah die Nikotinprävention meines Vaters für mich folgendermaßen aus: Er gab mir mit 14 Jahren eine Packung Pall-Mall-Zigaretten und die körperlichen Reaktionen waren so heftig, dass ich heute von einer erfolgreichen Präventionsarbeit sprechen möchte.

Ihr erwähnt beide Haschisch. Ist die Zeit reif für eine Entkriminalisierung bzw. Legalisierung dieser weichen Droge?

Gerre: Die jetzige Drogenpolitik ist gescheitert. Wenn du 10 Minuten am Frankfurter Hauptbahnhof stehst, bekommst du alles an Drogen, was du willst oder brauchst. Meines Erachtens ist die Legalisierung von weichen Drogen, dazu zählt auch Haschisch, vollkommen überfällig. Nur so lässt sich der Schwarzmarkt zurückdrängen und die Qualität des Stoffes kontrollieren. Was harte Stoffe betrifft, da bin ich gegen eine komplette Freigabe. Diese Drogen müssen reguliert werden. Mal ganz nebenbei: Wie viele Tausende von Drogentoten in Bezug auf Alkohol und Nikotin haben wir eigentlich pro Jahr in Deutschland? Und diese Stoffe sind legal…

Volker: Ich sehe das genauso. Meine ganzen Kumpels waren schon in den 80er-Jahren in Holland, um sich mit qualitativ gutem Haschisch einzudecken. Es ist doch Wahnsinn, dass selbst beim Gras mittlerweile gestreckt wird und die Qualität durch den Schwarzmarkt miserabel und gefährlich ist. Mir ist bewusst, dass der gesamte Schwarzmarkt selbst durch eine Legalisierung von weichen Drogen nicht trockengelegt werden kann, aber ein Anfang wäre es.

Warum lässt sich der Staat, diese Chance entgehen, Milliarden zu verdienen und gleichzeitig für die Konsumenten etwas Gutes zu tun?

Apropos, etwas Gutes tun: Wie steht ihr zum portugiesischen Ansatz der Entkriminalisierung von Drogenkonsumenten?

Gerre: Dieser Ansatz ist deshalb so erfolgreich, weil Konsumenten nicht bestraft werden sollten. In Deutschland erleben wir, dass aktuell beim Besitz von Kleinstmengen an weichen Drogen die Verfahren eingestellt werden, aber im Vorfeld die Polizei und Justiz lähmen.

Volker: Konsumenten sollten nicht verfolgt werden. Was ist das für ein Ansatz, den Süchtigen für seine Sucht noch zusätzlich mit Gefängnis zu bestrafen?  

Wie sollte eine erfolgreiche Drogenprävention aussehen?

Gerre: Aufklärungsarbeit ist das A und O. Warum lässt man in Deutschland keine Drug-Checking-Busse wie in anderen Ländern zu? Dann könnten die Konsumenten im Vorfeld kontrollieren, was sie sich später reinpfeifen wollen. Ich bin in der Drogenhilfe tätig. Das ist ein weiterer Baustein bei der Drogenprävention. Und so gibt es viele Dinge, die wichtig sind bei der Aufklärungsarbeit. Und manche sind ganz simpel.

So reicht es manchmal, einfach die Menschen zu informieren, wo sie sich Hilfe holen können, also Adressen und Ansprechpartner zu kommunizieren. Das ist schon enorm wichtig.

Volker: Aufklärung ist für mich auch der richtige Ansatz, Bekehrung der falsche. Strikte Verbote führen oftmals zu dem genauen Gegenteil dessen, was man erreichen will. Viele müssen eigene Erfahrungen machen, um aus ihnen zu lernen. Und dabei brauchen sie Menschen, die sie unterstützen, sie begleiten und nicht über sie herfallen und sie verurteilen. Aufklärung kann und sollte mehr über soziale Medien geschehen, denn da halten sich gerade Jugendliche häufig auf.

Unter uns, Hand aufs Herz: Könntet ihr euch selbst ein Leben in Abstinenz vorstellen oder habt Ihr schon einmal probiert, eine Zeit lang z.B. ganz ohne Alkohol zu leben?

Gerre: Wir haben lustigerweise vor einiger Zeit auf einem Festival in Mexiko gespielt und da habe ich vor und insbesondere nach dem Auftritt einfach mal nichts getrunken. Da kamen die Jungs von „Grave Digger“ auf mich zu und fragten, ob ich krank sei und dass ich unserem Bandnamen keine Schande machen solle. Darauf habe ich sie nur gefragt, ob sie als „Grave Digger“ heute schon ein paar Leichen beerdigt hätten (lacht). Das war dann fortan der Running-Gag unter uns.

Volker: Apropos Totengräber: Wann wird eigentlich der „Tankard-Song“ über den Totengräber, also mich, veröffentlicht? (lacht)

Aber zurück zum Thema: Ich habe immer mal wieder Phasen, in denen ich gar keinen Alkohol trinke. Das mache ich dann manchmal bis zu vier Wochen und das ist für mich kein Problem. Aber ganz ohne Bier und Co. möchte ich dann doch nicht leben.

Das Interview führte Pressure-Redakteur Sven D. im Januar 2023

Weitere Inhalte von Volker Langenbein und Tankard-Sänger im Pressure Magazine:

Interview mit Volker Langenbein über sein „Totengräber“ Buch

Interview mit Gerre über physische Musik im Streaming Zeitalter

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