Ausverkaufte Konzerte, tosender Applaus, und nach dem Gig – Leere?

Musiker schenken ihren Fans Glück nach Noten. Sie selbst zahlen dafür allerdings häufiger als unmusikalische Menschen einen Preis in Form von Depressionen.

Die Krankheit, die an der Seele nagt, kann zu weitaus schwereren Begleiterscheinungen führen als nur erektiler Dysfunktion, die meist mit Viagra kaufen therapiert werden kann.

Billie Eilish, Bruce Springsteen, Katy Perry, Miley Cyrus, Justin Bieber – die Liste von Pop- und Rockstars, die sich offen zu ihren Problemen mit mentaler Gesundheit bekennen, wächst ständig an. Laut einer neuen Studie aus Australien neigen verstärkt Menschen mit hoher künstlerischer Sensibilität an psychischen Störungen.

Wer ein Talent dafür besitzt, Emotionen und Schwingungen im Zeitgeist auszuloten und in Töne und Worte umzusetzen, muss diese zunächst einmal selbst tief empfinden können. „No tears in the writer, no tears in the reader“, heißt ein Zitat des US-amerikanischen Poeten Robert Frost. Wer als Künstler nicht emotional auf sein eigenes Werk reagiert, kann auch vom Publikum keine Gefühlsregung erwarten.

Dieser Ansturm an Eindrücken kann allerdings überwältigend werden.

Das heißt nicht, dass Musizieren Depressionen auslöst. Es erklärt allerdings, warum Menschen mit dieser zweischneidigen Begabung für Empathie und Schaffenskraft oft anfälliger als der Durchschnittsbürger für psychische Störungen sind.

Die Musik kann auch Rettung sein. Bruce Springsteen hat seine Kunst als Anker und Therapie genutzt, die ihm neben medikamentösen Behandlungen helfen, Traumen zu verarbeiten.

Die in den Songs mitschwingende Authentizität trägt dazu bei, eine geballte Ladung Emotionen auszulösen, die lange nachklingen. Keine anderen Sinnesreize wirken so auf den Menschen wie Musik, bewusst oder unbewusst.

Die Töne werden im limbischen System registriert, wo unter anderem Glückshormone produziert werden. Zudem sind in diesem Teil des Gehirns unter anderem die mit Emotionen zusammenhängende Amygdala und der für das Gedächtnis mitzuständige Hippocampus zu finden. Manche Melodien können sich so tief ins Gehirn einarbeiten, dass sie selbst bei Alzheimer-Patienten, die mit längst verschütteten Ereignissen verknüpften Gefühle wachrufen.

Der Rhythmus, bei dem man mitmuss, ist eine Reaktion auf die Aktivierung des Bewegungszentrums. Vom Mitwippen bis zu Head-Banging, Luftgitarre spielen oder auf der Straße tanzen reicht die Palette der unbewusst ausgelösten Aktionen, wenn einem die Musik gefällt.

Wer sich auf die Ästhetik in einen Song oder gar einer Symphonie konzentrieren will, taucht mit Glück in die gefühlte Welt ein und verliert den Sinn für Zeit und Umgebung. Herzschlag und Atmung ändern sich.

In der medizinischen Therapie wird Musik inzwischen eingesetzt, um Spannungen zu lösen, beruhigend oder motivierend zu wirken oder positive Erinnerungen wachzurufen.

Vielfach sind nämlich Songs untrennbar mit Stimmungen oder sogar spezifischen Momenten in unserem Leben verbunden. Der Hochzeitstanz zu „I Don’t Want To Miss A Thing“ von Aerosmith oder John Legends “All Of Me”? Lauthals beim Fußballsieg mit dem gesamten Stadionpublikum “We Are The Champions“ von Queen gesungen? Sich nach einem schwierigen Tag mit „Born To Die“ von Lana Del Ray noch melancholischer gestimmt? Lieder können Empfindungen verstärken, aber auch gezielt eingesetzt werden, um Stimmungen wieder zu erleben.

Wenn die Playlist ausgesucht wird, um seine Emotionen auf eine gewünschte Frequenz zu verändern, nennen Psychologen dieses das Kompensationsprinzip. Ob es darum geht, sich vor der Gehaltsverhandlung mit dem Chef auf positiv einzustimmen, vor der Klausur die Nerven zu beruhigen und an Erfolgserlebnisse zu erinnern, oder den inneren Kämpfer zu aktivieren – Musik hilft dabei.

Wer seine Grundstimmung durch Songs verstärken will, geht nach dem Isoprinzip vor. Wer gute Laune hat, kann durch frohgestimmte Musik noch glücklicher werden. Herzzerreißende Balladen vergrößern die Traurigkeit.

Bei Depressionen ist von Experten geführte Musiktherapie eine Möglichkeit, die eigenen Gefühle und deren Auslöser besser zu verstehen. Nicht alle Lieder wirken auf alle Menschen, aber kalt lässt Musik fast niemanden.

In Filmen und Videospielen wird gezielt auf die größtmögliche emotionale Wirkung gesetzt. Die Handlungen werden nicht nur mit Melodien untermalt. Soundtracks und Kompositionen sind ein integraler Bestandteil, um das Geschehen auf dem Bildschirm zu verstehen und zu erleben. Das gilt für Thriller und Liebesfilme genauso wie für Strategiespiele oder entspannende Games ohne vorgegebene Aufgaben.

Kaum ein Genre setzt stärker auf die Macht der Töne als der Horror. Die im Kinosessel oder auf dem Sofa erlebte Angst ist zwar nicht für alle Leute geeignet, aber gruselige Filme können die Psyche sogar stärken. Die Zuschauer erleben furchterregende Situationen in einer sicheren Umgebung. Sie lernen unbewusst, dass Kontrolle möglich ist. Manchen Leuten hilft das anschließend, besser mit Stress oder Ängsten umzugehen. Statt Teile der Seele oder Persönlichkeit abzuriegeln, öffnet Musik die Pforten, auch wenn es manchmal ein Stück zu weit sein mag.

Foto von averie woodard auf Unsplash

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