Die Band Kärbholz hat in den letzten Jahren eine beeindruckende Karriere hingelegt und gehört heute zu den bekanntesten Gruppen in der deutschen Rockszene. Nach einer Pause von der Musik und dem Touren sind die Jungs jetzt zurück mit ihrem neuesten Album „Kapitel 11: Barrikaden“ (zum Review), das am 24. März 2023 veröffentlicht wird.

Im Interview mit dem Pressure Magazine spricht Bandmitglied Adrian Kühn über das neue Album, den Einfluss von Metal und Crossover auf ihre Musik und die Bedeutung der Lyrik für ihre Songs. Dabei gibt er auch Einblick in die Entstehung des Songs „Der Zug“ und wie ein Karton voller Gedichte von einer fremden Frau ihn und die Band inspiriert hat.

Wie habt ihr die zwei Jahre Zwangspause genutzt und wie hat dies eure Kreativität beeinflusst?

Adrian: Anfangs haben wir tatsächlich Pause gemacht. Pause vom Touren, Pause von der Musik… Pause davon, uns hauptsächlich als Band zu begegnen. Wir sind so viele Jahre nonstop unterwegs gewesen, da hatten wir vorher schon überlegt, ob es nicht mal an der Zeit sei, ein Jahr oder so etwas kürzer zu treten.

Diese Entscheidung wurde uns bekanntermaßen abgenommen. Wir haben alle mal Zeit für die Dinge abseits der Band gehabt. Haben uns als Freunde getroffen und tatsächlich ganz andere Gesprächsthemen gehabt. Das war gar nicht so schlecht. Aber das alles hatte am Ende doch nur eine recht kurze Halbwertszeit. Es war recht schnell klar, wie sehr wir alle das Musik machen, das auf Tour gehen… ja, dieses Band-sein vermissen. Das ist nun mal eines der wichtigsten Aspekte in unserem Leben. Für die Kreativität war das alles aber rückblickend ein ganz schöner Booster. Nach den Monaten musikalischen Stillstands sind neue Songs geradezu aus mir herausgebrochen.

Wie denkt ihr, dass die Zuhörer auf das Album „Barrikaden“ als Ganzes
 reagieren werden und wie unterscheidet es sich von eurem bisherigen Material?

Adrian: Ich glaube, es müsste mit dem Teufel zugehen, wenn die Leute das Album nicht lieben sollten. Ich finde, es hat eine solche Energie von vorne bis hinten… ich kann mich dem jedenfalls nicht entziehen. Und auch die Rückmeldungen von Freunden, die es bereits hören konnten, sind überwältigend. Das freut uns natürlich sehr! Das Album versprüht diese Unbedarftheit wie vor zehn Jahren, ist dabei aber dennoch komplexer, stringenter und vielleicht ein bisschen metallischer. Wir wollten ein schnelles, energetischer Album machen… das ist uns aus dem Bauch heraus ganz gut gelungen, denke ich.

Auf dem Album sind deutlich stärkere Metal- und Crossover-Einflüsse zu
 hören. Welche Bands haben euch in den frühen Jahren beeinflusst und welche Songs gebt ihr euch auch heute noch auf die Ohren?

Ich persönlich mag zum Beispiel Killswitch Engage und solche Bands sehr. Das ist für mich auch ein großer Quell der Inspiration. Übersetzt in unsere musikalische Sprache, kann man da an einigen Stellen wohl was hören bei den Songs. Auf der anderen Seite sind es so Bands wie Caamp, die ich sehr gerne höre und die mein Kreativzentrum ansprechen. Das ist etwas ganz Anderes. Aber wenn Musik eine Sprache ist, dann reden wir hier über verschiedene Akzente. Und wo du Crossover sagst… das ist ja genau unsere Generation. Damals Limp Bizkit oder auch Staind… das war und ist schon sehr geil.

Wie würdet ihr das Album „Kapitel 11: Barrikaden“ in drei Worten
 beschreiben?

Energie. Enthusiasmus. Selbstreflexion.

Wie wichtig ist die Lyrik in eurer Musik, und wie beeinflusst sie die
 Art und Weise, wie ihr eure Musik schreibt und aufnehmt?

Wir schreiben unsere Texte nicht in Deutsch, weil wir kein Englisch können. Wir schreiben in unserer Muttersprache, weil wir hier viel mehr sprachliche Ebenen haben, die wir nutzen können. Viel mehr, die Zwischenzeilen einbeziehen können. Die Texte sind für uns ein essenzieller Teil unserer Musik. Damit beginnt auch jeder Schreibprozess: Eine Akustikgitarre auf dem Schoß, ein Zettel, ein Stift… und oft ein Glas Wein. Ich finde, Musik und Text sind untrennbar voneinander, bedingen sich gegenseitig. Jeder Song von uns beginnt seine Reise also stets als… vertontes Gedicht, mag man sagen.

Wie habt ihr das Gedicht „DER ZUG“ auf eurem neuen Album „Barrikaden“ vertont, und wie habt ihr versucht, die Stimmung und Atmosphäre des Gedichts in der Musik einzufangen?

Der Song hat eine interessante Geschichte: Torben hat mir einen Karton voll mit Gedichten gegeben. Eine Bekannte von ihm gab ihm die Box. Ihre verstorbene Mutter habe immer Gedichte geschrieben. Niemand wüsste, was man damit anfangen soll. Aber vielleicht hätten wir dafür Verwendung.

Ich las mich durch die Gedichte einer Frau, die ich nie kennengelernt habe. Und ich hatte dabei das Gefühl, diese Frau wirklich kennenzulernen.

Da stand so viel drin. Über ihr Leben, ihre Ängste, über die Dinge, die sie gerne anders gemacht hätte. Das war verrückt. Und da war dann dieses eine Gedicht. Es fing an mit: Das Leben, ein Zug, der durch die Wirklichkeit fährt. Genau dem ersten Satz des Songs. Das Gedicht ging dann ganz anders weiter, aber dieser erste Satz hat mich so inspiriert, dass der Song einfach rausgeflossen ist.

Welchen Einfluss hat das Gedicht „DER ZUG“ auf das Gesamtkonzept des
 Albums „Barrikaden“ und wie denkt ihr, dass es sich in die anderen Songs auf dem Album einfügt?

Der Song ist so eine Art Insel auf dem Album. Eine Verschnaufpause. Der nötige, dynamische Tiefpunkt. Die restlichen Songs auf dem Album gehen schon ordentlich nach vorn und auch DER ZUG wird ja hinten raus lauter. Aber genau an der Stelle im Album hatten wir das Gefühl, dass es einen solchen Moment geben muss. Wir wissen auch: Die meisten Leute (ausgenommen Vinylfetischisten) hören heutzutage ein Album vielleicht einmal von Anfang bis Ende durch, danach landen die Favoriten in der Playlist. Aber wir denken eben noch in Alben und finden es wichtig, in welcher Reihenfolge die Songs auf dem Album sind. Das kann das Gefühl beim Hören total verändern.

Der Song „Eins gegen Eins“ scheint eine sehr persönliche und intime
 Auseinandersetzung mit sich selbst zu sein. Der Text des Songs handelt davon, sich mit seinen eigenen inneren Dämonen auseinandersetzen zu müssen. Was hat euch inspiriert, diesen Song zu schreiben und wie wichtig ist es eurer Meinung nach, sich mit den eigenen Schwächen und Ängsten zu konfrontieren?

Viele unserer Songs handeln davon. Von diesem Kampf, der ständigen Auseinandersetzung mit sich selbst. Das ist kein Thema, das mich erst seit dem Durchblättern der Cosmopolitan interessiert hat. Das ist ein wichtiger Teil von mir. Ich weiß, wie sehr mein Denken mein Leben beeinflusst. Ich habe erfahren, wie sich mein geistiger Zustand, meine mentale Gesundheit auf meinen Körper und mein Wohlbefinden auswirkt.

Ich habe akzeptiert, dass ich ungelösten Konflikten nicht entkommen kann und dass diese Einsicht aber auch eine ganze Menge Arbeit mit sich bringt. Ängste, Depressionen, Panikattacken, Unsicherheit, Zweifel und vermeintliche emotionale Schwäche…das sind alles Themen über die meisten Menschen nicht gerne sprechen. Und das ist ein großer Fehler in meinen Augen! Ja, all das trage ich in mir und es war ein großer Schritt, das zu erkennen und anzunehmen. Und ich spreche darüber. Mit jedem, den es interessiert und in ganz vielen Songs von uns.

Die Auseinandersetzung mit mir selbst, dass auf den Punkt bringen von wirren Gedanken und das Kanalisieren in Songtexte… das ist ganz oft meine eigene Therapie, meine Art, innere Konflikte zu benennen und letzten Endes zu lösen.

Ich bin dankbar für diese Möglichkeit. Ich weiß, wenn ich sie nicht hätte…es würde mich oft zerreißen. Und es ist spannend, wie oftmals die Fassade aus Stärke bröckelt, wenn man mit Menschen mal darüber spricht. Wenn klar wird, das ist OK und nichts, wofür man sich schämen muss. Und wie gut das dann tut. Wenn ich von Leuten höre: Hey, Euer Song hat etwas in mir in Gang gesetzt, einen Knoten gelöst, mir ermöglicht, mir meine eigene vermeintliche Schwäche einzugestehen und daran zu arbeiten… das ist doch etwas ganz Tolles!

Könnt ihr uns weitere Einblicke in den Schreibprozess dieses Songs
 geben? Gab es Schwierigkeiten oder Herausforderungen beim Schreiben und Komponieren?

EINS GEGEN EINS ist mit Abstand der kürzeste Song auf der Platte. Inhaltlich hat er aber eine gigantische Aussage in meinen Augen. Ja, vordergründig erzählt er vom Kampf mit seinen eigenen Dämonen. In nur einem kurzen Satz am Ende aber schlägt er die Brücke zu einer ganz klaren Aussage: wir Menschen. Wir sind eigentlich Eins. Und jeder Schlag, der den anderen trifft, trifft uns am Ende selbst. Rassismus, religiöser Fanatismus, Krieg… all das ist ein wutentbrannter Blick und ein Schlag ins eigene Spiegelbild. Dieser wütende Song, gefüllt mit Gewalt und Konflikt, ist wahrscheinlich der größte Song für den Frieden, den wir je geschrieben haben.

Wie wichtig ist es eurer Meinung nach, dass Musik als Kunstform dazu
 genutzt wird, gesellschaftliche Themen anzusprechen und auf Missstände hinzuweisen?

Das sollte immer ein fester und wichtiger Bestandteil der Musik bleiben, der Kunst als Ganzes. Da steckt eine solch große Kraft drin, Menschen zum Denken und Sprechen zu bewegen…oder davon abzuhalten. Dem muss man sich bewusst sein und damit auch seiner Verantwortung als Schaffender.

Was sind eure Lieblingssongs auf dem neuen Album und warum?

Diese Einschätzung überlassen wir gerne dem geneigten Hörer. Wenn wir nicht der Meinung wären, dass sie alle der absolute Wahnsinn sind, dann wären sie nicht auf dem Album.

Wie verlief die Zusammenarbeit mit den Produzenten Eike Freese und
 Alexander Dietz?

Wir sind mittlerweile sehr enge Freunde geworden. Und genau so haben wir die Platte auch aufgenommen. Das Allermeiste haben wir bei uns im Proberaum/Studio aufgenommen. So konnten wir einfach so viel Zeit wie möglich alle zusammen verbringen und gemeinsam an den Songs arbeiten. Alex war für viele Wochen mein Mitbewohner, Eike kam für eine lange Zeit dazu… wir waren so eine Musiker-WG… das war der Wahnsinn! Die beiden kennen uns nun schon seit einigen Jahren und wir alle zusammen sind einfach ein super Team. Nicht nur auf persönlicher Ebene, sondern eben, auch wenn es um kreatives Arbeiten geht.

Wir sind nicht immer einer Meinung, jedoch sehr gut darin, das bei ein paar Flaschen Rotwein zu ändern. Wenn also ein Kärbholz-Album auch nur annähernd so Hippie-mäßig in wirwohnenundrecordenundhabennegeilezeit-Manier, wie in den alten Tagen des Rock´n´Roll aufgenommen wurde…dann dieses hier!

Wie schwierig war es, die verschiedenen musikalischen Einflüsse auf dem
 Album zu vereinen?

Das war überhaupt nicht schwierig, weil dahinter kein Plan steht! Wir haben losgelegt, waren kreativ. Unser Kredo war: Im Zweifel machen wir es ein bisschen schneller. Und das hier ist dabei herausgekommen. Wir hatten selbst keinerlei Grundkonzept, noch mussten wir Erwartungen von irgendwem anderen gerecht werden. Musikalische Einflüsse… da hatten wir die Tage noch ein Gespräch drüber. Wenn du manchmal mit anderen Musikern sprichst, dann fallen so Sätze wie: Hey, ich hab’ hier das oder das Lied gemacht, ich will, dass das so kling wie XY … da denke ich mir immer…hä? Warum? Warum soll etwas, was ich mache, so klingen wie jemand anderes? Natürlich, wir hören auch sehr viel Musik.

Und ja, es gibt viele Dinge, viele Songs und Künstler und Spielarten, die inspirierend sind. Aber letzten Endes sollte man sich so gut es geht frei und sein Zeug aus dem Bauch heraus machen. Da wird sich dann schon etwas draus formen ohne, dass man versuchen muss, LEGO- auf Duplosteine zu stecken.

Zum Abschluss möchte ich gerne wissen: Was sind eure Pläne für die
 Zukunft? Könnt ihr uns einen kleinen Ausblick darauf geben, was wir als Nächstes von Kärbholz erwarten können?

Am 24.03. kommt das Album und dann dürfen wir ENDLICH wieder auf Tour gehen. Das ist so ein Meilenstein, auf den wir uns seit langer Zeit am meisten freuen! Wir werden im Sommer neben unserem eigenen Heimspiel-Festival einige schöne Festival-Auftritte spielen können… dafür wird es so sehr Zeit und ich glaube, die neuen Songs sind wie gemacht für die Bühne. Und dann… wird es da noch eine kleine Überraschung geben. Aber, wie bei Überraschungen so üblich… da redet keiner drüber.

Das Kärbholz Interview mit Adrian Kühn führte Marcus Liprecht im März 2023

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