Roland Kaiser Presse Foto: Frank Embacher
Roland Kaiser Presse Foto: Frank Embacher

Wie Roland Kaiser mein Kinderzimmer eroberte, um dann Platz für Sodom und die Toten Hosen zu machen.

Hallo, ich bin Sveni - der Redakteur mit dem Hang zur Nostalgie und dem Herz für Rockmusik der 90er Jahre und von heute. Als Teil des Teams beim Pressure Musikmagazin kümmere ich mich um lustige und interessante Berichte zu unkonventionellen Themen.

Svenis Kolumne – Als in meinen Kindertagen Roland Kaiser mit seiner Santa Maria in unserem Wohnzimmer Stammgast war, fühlte ich mich himmlisch. Geborgen, ein Stück heiler Welt, ermöglicht durch die ZDF-Hitparade, die wir Kinder nur deswegen schauen durften, weil meine Mutter sie ebenfalls sehen wollte… und uns -nebenbei bemerkt- lediglich drei Fernsehprogramme zur Verfügung standen.

Und ich, ich wollte so sein wie Roland Kaiser, mit wallendem Haupthaar, Flaum auf der Brust und begehrt von hübschen Mädchen, die ihm regelmäßig während seiner Vollplayback-Aufführungen wunderschöne Blumen überreichten. Nicht dass ich zu der Zeit viel Lust auf bunte Blumensträuße gehabt hätte, aber berühmt und begehrt zu sein, das hatte schon damals seinen Reiz. 

Kurze Zeit später wurde Herr Kaiser in meiner Beliebtheitsskala allerdings durch den noch jüngeren Nino de Angelo abgelöst, der mit seinem „Jenseits von Eden“ für große Emotionen, auch bei meiner Mutter sorgte. Eine nette Anekdote zwischendurch: Jahre später habe ich mir den Tonträger „Die Ärzte“ der gleichnamigen Band auch wegen der Coverversion von „Jenseits von Eden“ zugelegt, ohne dass ich mich vor meinen Kumpels deswegen hätte schämen oder rechtfertigen müssen. Im Gegenteil, denn das Album der Berliner stand bekanntlich auf der Liste der indizierten Tonträger der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften und das machte es für Jugendliche meines Alters erst recht interessant. Aber das nur am Rande…

Nach Nino de Angelo folgte meine erste persönliche Begegnung mit einem Schlagerstar, der einzigartigen Nicole, die Mitte der 80er Jahre in einem Mannheimer Kaufhaus zur Weihnachtszeit Autogramme verteilte. Im vorweihnachtlichen geschmückten Ambiente sah sie mit ihrer Lockenmähne wie ein „Rauscheengel“ oder eben wie die feminine Version von Wolfgang Petry aus. Berühmt war sie damals bereits durch „Ein bisschen Frieden“, ein Stück, das zu jener Zeit von intellektuellen Kreisen aufgrund seiner textlichen Naivität in Stücke zerrissen wurde, aber von vielen Menschen geliebt wurde. 

Schlager und Punk: mehr Gemeinsamkeiten als man denkt

Vielleicht ist dieses Lied ein besonders gutes Beispiel, warum Schlager und Punk mehr miteinander gemein haben, als man auf den ersten Blick wahrnimmt und die Vertreter beider Seiten wahrhaben wollen. Ich bin zwar weder Musikwissenschaftler noch Soziologe, aber ich meine, einige Überschneidungen auch ohne die genannten Professionen zu erkennen: Beide Musik-Genres kommen locker mit 3-4 Akkorden aus, Soli sind überflüssig und textlich kann man noch so komplexe Themen sowohl im Schlager als auch im Punkrock in wenigen Strophen allumfassend und kurzweilig „abarbeiten“, ohne zu sehr in die „Tiefe“ gehen zu müssen. 

Und dennoch sind beide Genres alles andere als oberflächlich, wenn es um Themen „von Belang“ geht. Dann werden Schlagersänger zu furchtlosen Kämpfern der Liebe und Punkrocker zu Verfechtern einer besseren Welt. Beides wird millionenfach mantrahaft in den- zumeist eingängigen- eingängigen Refrains, die wirklich so einfach zu merken sind, dass man sie auch im alkoholisierten Zustand wunderbar mitsingen kann, wiederholt.

Die Kraft einfacher Texte und eingängiger Melodien in Schlager- und Punkmusik

Nur bei der Gestaltung der süßen Harmonien und eingängigen Melodien glaube ich, dass viele Punkbands nicht annähernd das Niveau und die mediale Reichweite von Schlagerbands erreichen können. Es fehlt ihnen dazu ein Mastermind oder ein „Superhirn“, also es fehlt einfach ein Ralph Siegel (m/w/d) des Punkrocks. 

Ist es möglicherweise diese bittere Erkenntnis, die zu Tausenden von Coverversionen in den letzten Jahrzehnten führten? Wollten die Punkrockbands den Schlagerstars zeigen, dass man ihre Schnulzen auch anders musikalisch interpretieren konnte? Oder war es mehr die Lust an der Provokation, die Musik der Menschen, die man für ihre „Softheit“ verachtete, mit brachialer Gewalt und Power-Chords zu „verhunzen“ und damit anzuecken?

Erfolgreiche Punk-Cover von Schlagerliedern: Beispiele von Tankard, J.B.O. und Die Toten Hosen

Bestimmt war und ist es eine Mischung aus den genannten Motiven, und dazu eine recht lukrative. Bekannte Bands wie „Tankard“, „J.B.O.“ und „Die Toten Hosen“ haben in ihren langen Karrieren bereits zahlreiche Cover von Schlagersongs veröffentlicht, ohne dass sie damit das eigene Publikum vergrault hätten. Bei den Hosen führte vor mehr als 35 Jahren das Cover-Album „Never mind the Hosen – Here´s the Roten Rosen“ dazu, dass die Band zum ersten Mal in ihrer Karriere kommerzielle Erfolge erzielte und in die TOP 100 der deutschen Charts einstieg. Ich liebte in den späten 90er Jahren einige Songs dieses Albums, beispielsweise die Punkrock-Version von „Im Wagen vor mir“ (Orig. Hans Blum) oder die Cover-Version von Freddy Quinns „Wir“. Und natürlich die einzigartige „Sauerkrautpolka“ (Orig. Gus Backus), während die richtigen Punkrocker in meinem Umfeld das gesamte Werk als Verrat an der Szene verachteten.

Ja, auch diese Spezies gab es, „Punkrockpolizisten“, die jeden verurteilten, der nicht zu 100% musikalisch und politisch ihrem Weg folgte. Diese Leute fanden es überhaupt nicht lustig, wenn “wir“ auf Volksfesten Udo Jürgens Kracher „Aber bitte mit Sahne“ in feinster Sodom-Tradition mitsangen und die Köpfe zur J.B.O.-Version von „Ein bisschen Frieden“ schüttelten oder bei der Lokalmatadoren-Interpretation von „Ich lass dir den Kochtopf, lass du mir mein Bier“ (Orig. Peter Alexander) den Pogo tanzten. Ich weiß, dass ich zu der Zeit ein Album der zurecht unbekannten Band „Die Heiligen drei Könige“ nur durch die Punkrockversion von Rex Gildos „Fiesta Mexicana“ einigermaßen akzeptabel fand und damit wieder einmal auf Unverständnis in meinem Umfeld stieß.

Meine Affinität nach der heilen Schlager-Welt führte manchmal dazu, dass ich mich noch mehr als sonst vor meinem Umfeld zum Affen machte: So habe ich auf einer Abi-Party die romantische Herz-Deko entwendet und mit Sicherheitsnadeln auf der Rückseite meiner Lederjacke befestigt, um so authentischer zu einem Wolfgang Petry-Medley („Hölle, Hölle, Hölle“) abfeiern zu können. Nichts Wildes, eher ein infantiler Spaß, der mir ebenfalls nicht so viele Sympathiepunkte, sowohl bei den Veranstaltern als auch bei den anderen Gästen, einbrachte.

So, jetzt aber genug der Geschichtsverklärung, denn früher war natürlich nicht alles schöner und besser: Punkrock und Schlager waren in meiner Jugendzeit in den 90er-Jahren eben einige Jahre die Genres, die mein damaliges Empfinden musikalisch am besten auf den Punkt brachten und die ich ohne schlechtes Gewissen problemlos konsumieren konnte, ohne dem musikalischen Mainstream folgen zu müssen.

Natürlich galten beide Musikstile damals als uncool. Wer Schlager hörte, wurde- abseits von ABI-Feten und Geburtstagsfeiern- milde belächelt, wer Punkrock hörte, bestenfalls von Gleichaltrigen ignoriert. Selbiges galt natürlich auch für mich, der damals nach Anerkennung von vor allem nach Aufmerksamkeit gierte, diese ich aus subjektiver Sicht nur zu selten erhielt und trotzdem (hoffentlich) nur einen ganz kleinen Schaden davontrug…obwohl das meine Frau sicher anders sieht.

Übrigens ist zu diesem Thema gerade vom Hirnkost Verlag ein Buchprojekt in Planung.

Mehr Informationen findet ihr auf: https://www.hirnkost.de/buchausschreibungen/

Ein Kolumnen-Beitrag von unserem Sveni

Über Svenis Kolumne

Hallo, ich bin Sveni – der Redakteur, der in Erinnerungen an die gute alte Zeit schwelgt und sich für alles begeistern kann, was mit Rockmusik aus den 90er Jahren zu tun hat. Als Teil des Teams beim Pressure Musikmagazin schreibe ich gerne lustige und interessante Berichte zu unkonventionellen Themen.

Ob es darum geht, die besten Gitarrenriffs der 90er Jahre und von heute zu ranken oder darüber zu diskutieren, wer der schlimmste Frisuren-Träger in der Musikszene war – ich habe immer eine Meinung dazu. Mein Ziel ist es, dich zum Schmunzeln und Nachdenken zu bringen.

In meiner Freizeit kann man mich oft mit einem Bier in der Hand und einem rockigen Musikstück im Ohr finden. Wenn ich nicht gerade über Musik schreibe, höre ich oft alte Platten von Nirvana und Johnny Cash oder gebe mich der Nostalgie hin und schaue alte Musikvideos auf MTV an.

Ich hoffe, dass ich dich mit meinen Artikeln unterhalten und dich zurück in die Zeit der 90er Jahre entführen kann. Wenn du Lust hast, dich mit mir über dieses Thema auszutauschen, dann hinterlasse mir einen Kommentar unter diesem Beitrag. Rock on!

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