Auf der Doppel-Release-Party im SO36 hat Pressure-Redakteurin Diana Ringelsiep sich in einer gemütlichen Backstage-Runde mit den beiden Frontmännern Gunnar und Friedemann über die neuen Platten und die besondere Verbindung der beiden Bands unterhalten.
Herausgekommen ist ein interessantes Gespräch über die neuen Alben beider Bands, welches wir euch hier als Doppel-Interview präsentieren. Redakteurin Diana Ringelsiep vom Pressure Magazine führte das Interview.
Hallo ihr beiden! Heute ist hier in Berlin die große Record-Release-Party eurer neuen Alben „Gib Acht!“ und „Herztier“. Gunnar, als wir uns das letzte Mal unterhalten haben, war das zwei Tage, bevor du mit Dritte Wahl ins Studio gegangen bist. Wie zufrieden seid ihr mit dem Ergebnis?
Gunnar: Stimmt, das war im K17, da war es auch so kalt… Ja, mit der neuen Platte sind wir sehr zufrieden. Wir haben diesmal vieles anders gemacht, andere Sachen haben wir wiederum so gemacht wie immer und die Mischung ist perfekt!
Und du Friedemann, ist euer neues Album auch so geworden, wie du es dir vorgestellt hast?
Friedemann: Ja, auf jeden Fall. Ich bin auch sehr zufrieden. Wir sind ein bisschen den Wünschen der Leute gefolgt, die unseren Live-Sound sehr schätzen. Also haben wir einen Großteil des Albums auch live eingespielt. Dadurch ist die Platte natürlich sehr rau geworden, aber ich sag mal so, ich mag sie gut leiden.
Ihr habt ja bereits einige Release-Shows hinter euch…
Gunnar: Ja, wir sind letzte Woche schon in Marburg und Augburg gewesen. Das war beide Male echt super! Es ist natürlich immer schwierig, neue Songs zu spielen, die noch niemand kennt – denn es ist ja auch für die Leute schwer, schließlich können sie da nicht so mitgehen wie bei den Klassikern, die sie in und auswendig kennen. Für uns ist es oft einfach anstrengender neue Lieder zu spielen, weil wir viel mehr bei der Sache sein müssen…
Friedemann: Finde ich auch. Das Ding ist ja auch, dass man erstmal herausfinden muss, welche Songs live überhaupt laufen. Lustigerweise ist es ja meistens so, dass die, von denen man dachte, dass sie super ankommen, es nicht sind. Wir haben diesmal den Vorteil, dass das komplette Album eigentlich für die Bühne geschrieben wurde, die meisten Songs wurden ja sogar live eingespielt, von daher werden sie live auch gut funktionieren.
Gunnar: Wir sind dagegen den komplett anderen Weg eingeschlagen. Für unsere Verhältnisse ist die Platte geradezu überproduziert, von daher wissen wir bei einigen Songs noch gar nicht, wie wir das live überhaupt machen sollen. Aber generell trennen wir das. Wenn die Leute sich unser Album anhören, sitzen sie zu Hause und hören zu – wenn sie auf ein Konzert kommen, sind sie in der Regel mit Freunden unterwegs, haben schon ein paar Bierchen getrunken und alles ist lauter und ausgelassener. Das sind zwei verschiedene Paar Schuhe.
Was genau könnte denn bei der Live-Umsetzung schwierig werden?
Gunnar: Beim Proben haben wir zum Beispiel schon gemerkt, dass ein paar Songs dabei sind, die wir live ein bisschen strecken müssen. Für die beiden Shows im SO36 haben wir jetzt einen Pianisten dabei, der ein bisschen was überbrücken kann, aber wenn wir demnächst nur zu dritt auf der Bühne stehen, werden wir uns ganz schön ins Zeug legen müssen.
Friedemann: Platte ist Platte und Live ist Live. Man singt manche Stellen einfach automatisch anders, weil sie zu schnell hintereinander kommen. Ich singe ziemlich viel Text in kurzer Zeit, da passiert es schon mal, dass man spontan umdenken muss, um das Ding zu Ende zu bringen.
Wie war es denn jetzt nach der Pause (während der Aufnahmezeit) wieder auf der Bühne zu stehen?
Gunnar: Pause? Wir haben keine Pause gemacht… Habt ihr ne Pause gemacht?
Friedemann: Nee, Pausen kennen wir gar nicht. Aber es ist bei Bands von unserem Schlag eben auch ein bisschen anders. Klar, andere Bands machen dann erst mal große Pausen, ziehen sich für ein halbes Jahr ins Studio zurück und so weiter… Aber wir müssen ja spielen. Also gehen wir ins Studio und nehmen auf, dann spielen wir wieder, dann mischen wir die neue Platte, dann spielen wir wieder, dann bringen wir sie raus und ja, dann spielen wir wieder.
Und wie war das bisherige Feedback vom Publikum?
Gunnar: Das war bis jetzt echt super. Sowohl live als auch die Reaktionen, die wir sonst noch gekriegt haben. Wobei ich das immer mit Vorsicht genieße, vielleicht schreiben die Leute, die die Platte scheiße finden ja einfach nicht, weil sie sich die Mühe nicht machen. Aber generell war das Feedback bisher durchweg positiv. Richtig beurteilen kann man das aber immer erst nach einem Jahr. Am Anfang ist man immer mal schnell euphorisch, findet man die Songs aber nach einem Jahr noch gut, dann wird sich das auch nicht mehr ändern.
Friedemann: Ich hör mir unsere Platten eigentlich nach dem Aufnehmen gar nicht mehr an, sondern spiele sie nur noch live. Aber diesmal ist es anders, ich habe sie mir jetzt bestimmt schon 50-60 Mal angehört, ich finde sie wirklich cool. Aber bei uns ist es besonders mit dem Presse-Feedback wie immer, die Großen sagen durchweg: „Totale Scheiße, wie kann man so was nur machen?!“. Heißt, Total-Verrisse im ROCK HARD und METAL HAMMER usw. Und alles was ein bisschen kleiner ist wie OX und SLAM, sagt: „Total geil!“ Und was die Leute sagen, werden wir sehen…
Gunnar: Bei uns ging es gegen Ende drunter und drüber. Das Release-Datum stand schon fest und dann sind wir wegen unterschiedlichster Faktoren einfach zu spät fertig geworden mit der Platte. Es war wie verhext. Am Ende stand sie dann zwar pünktlich in den Läden, aber wir haben die Werbung viel zu spät geschaltet.
Friedemann: Also kann man festhalten, Dritte Wahl haben eine cleane Platte gemacht – eine schöne, saubere und wir eine schmutzige. Dafür haben wir allerdings schon vor dem Erscheinen die ganze Werbung durch und ihr… (grinst Gunnar an)
Gunnar: Wir haben verschissen!
Gunnar, beim letzten Mal hast du mir erzählt, dass „Kein Wort“ der Song ist, der dir am meisten am Herzen liegt. Gibt es auf dem neuen Album einen Vergleichbaren, der dir besonders viel bedeutet?
Gunnar: Nee, hab ich jetzt nicht. Nicht so wie der. Es gibt zwar auch ein Stück, von dem viele glauben, dass es sich um eine Fortsetzung handeln könnte, allerdings fällt das eher in die Rubrik Literaturvertonung. Ich hatte ein Buch gelesen, dass mich zwar bewegt hat, aber da es nichts ist, was mir persönlich passiert ist, geht es mir nicht so nahe. Es ein schönes Lied, aber mehr auch nicht.
Friedemann: Ich muss ja sagen, dass ich die ruhigen Dritte Wahl Lieder, wie eben auch „Kein Wort“, immer am Besten finde.
Gunnar: Den besagten Song, von dem viele glauben, dass es eine Fortsetzung ist, habe ich zusammen mit einem Typen am Flügel live eingesungen. Das war echt anstrengend. Sonst verstecke ich mich ja gerne hinter meinem Gebrüll und da nun richtig zu singen, das war schon was anderes – aber es hat sich gelohnt, das Lied ist echt schön geworden! Morgen werden wir es spielen. Wir haben für dieses Wochenende eine menge Kombi-Tickets verkauft, das heißt, heute geben wir den Leuten noch Zeit, sich zu Hause damit anzufreunden und Morgen werden wir sie dann mal mit dieser Ballade belasten.
Ich konnte ja bereits reinhören und muss sagen, dass ich sofort an Udo Lindenberg denken musste…
Gunnar: Ja, Lindenberg war in diesem Zusammenhang mein großes Vorbild, besonders textlich. Ich habe mir versucht vorzustellen, wie er das machen würde – zugegeben, wahrscheinlich besser – aber ich bin sehr zufrieden mit dem Ergebnis.
Friedemann: Wir probieren einfach manchmal Dinge, die wir gar nicht können. Und dann plötzlich, sind sie gar nicht so schlecht.
Gunnar: Genau, man muss sich auch mal trauen, etwas weiter zu gehen. Auf Krampf ist natürlich Quatsch, aber wenn man eine Idee hat, sollte man sie umsetzen.
Gibt es auf der Cor-Platte einen Song der dir besonders wichtig ist?
Friedemann: Ja, das ist „Paul“. Vor einiger Zeit kam doch dieser Film „Into The Wild“ raus. Ich hatte nur den Trailer gesehen, aber ich hab angefangen darüber nachzudenken, wie dieser Film sein könnte. Und dann habe ich den Text darüber geschrieben. Als ich den Film anschließend gesehen habe, war ich leider nur halb zufrieden, aber das Lied ist sehr schön geworden. Es geht um die Verwirklichung von Träumen, mit dem Thema beschäftigt Gunnar sich ja auch gerne.
Beide Bands haben einen Grundtenor, der sich durch alle Alben zieht. Auf der „Gib acht!“ heißt es an einer Stelle, „Ich bin dafür, dass wir jetzt endlich mal dagegen sind“, auf „Herztier“ heißt es, „Wollt ihr dem System das Herz herausreißen – hier ist der Weg, ihr könnt uns begleiten“. Seht ihr euch in gewisser Hinsicht als Vorbild-Charakter, der die Jungend daran erinnert dagegen zu sein und vom Einzuschlafen abhält?
Gunnar: Ich sehe mich bestimmt nicht als Lehrer, der den Leuten irgendwas vorschreibt. Aber ich sehe mir einmal am Tag die Nachrichten an und da passieren Dinge, die mich maßlos ärgern. Dann denke ich über die ganze Scheiße nach und wie automatisch fallen mir dazu Texte ein. Es ist nicht so, dass wir sagen, jetzt müssen wir aber mal wieder ein politisches Lied machen, es passiert einfach. Das sind einfach die Themen, die mich bewegen, ein bisschen Liebe, ein bisschen Gesellschaft – wie leben wir miteinander und was wollen wir eigentlich voneinander? Wenn all das mal wegfiele, hätte ich auch kein Problem damit, ein ganzes Album zum Thema Ausdruckstanz aufzunehmen. Solange die Texte gut sind…
Friedemann: Ich werde in Interviews dauernd gefragt, warum immer dagegen? Was in unserer Musik eine große Rolle spielt und ich denke, das ist bei Dritte Wahl genauso, ist die Hoffnung. Wir wollen in gewisser Hinsicht einen Weg aufzeigen. Ich war schon immer ein großer Freund davon, einfach mal was kaputt zu kloppen. Allerdings muss man sich vorher überlegen, was danach kommt und was man aus den Trümmern basteln möchte. Ich bin ein Voyeur – ich gucke aus dem Busfenster, ich gucke die Straße hoch, die Straße runter, und ich gucke Nachrichten, dabei fällt mir genug ein, über das ich schreiben könnte.
Und manchmal sind es auch schlichtweg Beobachtungen, die ich aufschreibe. Dann fragen die Leute, wie ich dies und jenes gemeint habe, dabei habe ich nur beobachtet. Viele unserer Hörer befassen sich intensiv mit unseren Texten und schreiben auch zurück, stellen Gegenfragen und das schätze ich sehr. Es ist wie ein Dialog zwischen uns und dem Publikum. Aber das fordere ich auch ein, dass die Leute, die zu unseren Konzerten kommen, denken.
Ich hatte erst vor kurzem ein Interview mit einem jemandem, der die Meinung vertritt, dass Politik in der Musik nichts zu suchen hat, da sie reine Bespaßung und Unterhaltung sein sollte. Wie seht ihr das?
Gunnar: Das ist auch eine Herangehensweise und ich verurteile das überhaupt nicht. Ich höre zum Beispiel gerne Placebo, aber ehrlich gesagt, habe ich noch nie darauf geachtet, wovon die eigentlich singen. Es interessiert mich in dem Fall einfach nicht – es hört sich gut an, ich hab Freude dran, dann ist das doch okay. Außerdem ist diese Reichhaltigkeit ja auch das Schöne, es ist doch super, dass es beides geben kann.
Es gibt bekanntlich Bands, die singen sehr erfolgreich ausschließlich vom Ficken und Saufen. Das ist überhaupt nicht meins, damit will ich auch nichts zu tun haben, aber ich wünsche ihnen alles Gute, denn jeder kann machen, was er will.
Dann erzähl mir an dieser Stelle doch bitte mal die Geschichte zu „Mama Hol Hen Hammer“.
Gunnar: Mein Vater hat damals in einer Band Banjo gespielt und der hat Krel und mir dieses Lied immer vorgespielt, als wir Kinder waren. Es verfolgt uns quasi schon unser ganzes Leben. Und dann haben wir es irgendwann für einen Kinder-Sampler aufgenommen und auch mal live gespielt und siehe da, es kam gut an. Natürlich sagen jetzt manche, es passt nicht. Es ist eben pure Unterhaltung und ich finde es fetzt.
Ihr habt beide eure eigene Plattenfirma und macht euer Merchandising selbst. Ist das auch eine Konsequenz daraus, nicht vom vorhandenen System abhängig sein zu wollen?
Friedemann: Wir machen ja alle schon ein paar Jahre Musik und anfangs haben wir ja auch unsere Erfahrungen mit Plattenfirmen gesammelt. Egal ob Punkrock oder Hardcore, es ist letzten Endes immer ein Geschäft und überall sitzen Leute, die nichts tun, aber mitkassieren.
Wir haben irgendwann den Punkt erreicht, wo wir uns fragten, warum wir das mit uns machen lassen. Ich bin ein Freigeist, meine Jungs sind Freigeister und so haben wir einfach die Möglichkeit ergriffen, es selbst in die Hände zu nehmen. Man darf nur nicht unterschätzen, wie viel Arbeit es ist, wirklich alles selbst zu machen – es ist ein Fulltime-Job. Aber das Schöne ist, dass alles was rausgeht, von dir abgesegnet wurde. Es kann nix inne Büx gehen!
Ich muss natürlich sagen, die zweite und dritte Platte haben wir ja bei Coretex gemacht und die haben uns auch promotiontechnisch nach vorne gebracht, die haben einen guten Job gemacht. Aber dieses Plattengeschäft an sich ist nicht so meins und wir surfen da so ein bisschen drum herum. Ich denke, das ist auch ein Stück weit Lebenseinstellung.
Gunnar: Bei uns war es eher so, dass wir zu der Zeit alle etwas in der Luft hingen. Hätten wir alle unseren Acht-Stunden-Job gehabt, hätten wir wahrscheinlich ganz anders über die Sache nachgedacht, aber wir hatten einfach nichts. Krel wollten sie gerade zu Rügen-Fisch in die Produktion stecken, da sollte er am Fließband stehen und Heringsdosen verschließen. Da wussten wir, dass wir uns was überlegen müssen und so kam das Ganze ins Rollen. Aber ich muss sagen, mir macht das Organisatorische auch Spaß.
Friedemann: Oh, was das angeht, bin ich ja mehr so der sensible Künstler. Mit Leuten verhandeln und dieser ganze Booking-Kram, das überlasse ich lieber den anderen in der Band und lasse meinen Geist schweben. Ist aber wahrscheinlich auch besser so, die anderen haben einfach das Talent dazu, das mir fehlt.
Gunnar: Komisch diese ganzen Parallelen, man könnte meinen unsere Bands sind irgendwie verschwägert…
Trotz aller Parallelen war der Studioprozess von Dritte Wahl und Cor jedoch völlig gegensätzlich. Warum habt ihr euch für den jeweiligen Weg entschieden?
Gunnar: Wir sind diesmal in ein Studio gegangen, in dem wir vorher noch nie waren, nämlich in dem, wo auch die Toten Hosen ihre letzten Platten gemacht haben. Wir hatten einfach diese geilen Songs und wollten einen Schritt weiter gehen. Das war natürlich auch ne Nummer teurer, aber wir wollten einfach wissen, wie man dort mit unserem Material umgeht. Und ich denke für die Songs war es auch genau das Richtige.
Friedemann: Na da bin ich ja mal gespannt!
Gunnar: Man muss sagen, es ist teilweise schon fast ein bisschen poppig geworden… (lacht) Aber wir haben vorher natürlich verschiedene Möglichkeiten durchgesprochen und ich wollte auf jeden Fall einmal in meinem Leben mit diesen Leuten zusammen arbeiten. Die Toten Hosen sind schließlich eine meiner Lieblingsbands. Ich dachte dann, wer weiß, wie viele Platten wir noch machen, sind ja schließlich auch nicht mehr die Jüngsten und da hab ich dann einfach mal da angerufen. Ja und als es dann wirklich geklappt hat, hab ich mich total gefreut. Wir hatten eine tolle Zeit dort und das Resultat ist auch super. Ich bin zufrieden.
Friedemann: Also ich war zu dieser Platte nicht so entspannt wie zur letzten. Ich bin zur Zeit irgendwie bockig, keine Ahnung warum das so ist…
Gunnar: Wechseljahre!
Friedemann: …nee, ich weiß nicht. Ich war auf jeden Fall schon mal ruhiger und bin sehr angespannt momentan. Mir passt einfach vieles nicht. Mir passt in der Zeit vieles nicht. Ich fühle mich fremd, als würde ich nicht hierher gehören. Ich kann viele Dinge einfach nicht verstehen und fühle mich, als ob ich von gestern bin. Manchmal werde ich verrückt, dann ist mir das alles zu gaga. Und so ist eben auch die Platte geworden. Mir fehlte die Ruhe. Im Studio haben wir dann die Monitore runtergedreht, so dass ich fast nichts gehört habe und dann ging die Post ab. So haben wir am Tag dann zwar nur zwei bis drei Lieder geschafft und ich hatte am Ende immer einen dicken Kopf, aber die Platte ist bissiger geworden als die letzte.
Ich finde Platten sind Etappen, man kommt irgendwo an und gibt da was ab – und das spiegelt dich zu der Zeit wider. Wie du drauf warst, was du gedacht hast, was du spielen konntest und auch was du zu der Zeit gehört hast. Bei der letzten Platte habe ich zum Beispiel viel Blues gehört, jetzt habe ich Hardcore im Schrank!
Ihr seid beide schon lange im Geschäft. Was haltet ihr von Punkbands wie Wizo und Slime, die jahrelang von der Bildfläche verschwunden waren und nun in teilweise neuer Besetzung die alten Klassiker spielen?
Gunnar: Also ich muss ganz ehrlich sagen, ich hab damit kein Problem. Im Gegenteil, ich freue mich für die Kids, dass die die noch mal zu sehen kriegen. Wir haben diesen Sommer auf einem Festival zusammen mit Wizo gespielt, da habe ich sie selbst zum ersten Mal gesehen. Eine der wenigen Bands, die wir nie getroffen haben. Und mit Slime haben wir zwar noch nie zusammen gespielt, aber die habe ich nur vor einer Ewigkeit mal live gesehen. Gut, bei Slime sind jetzt nicht mehr so viele Originale dabei, aber was soll’s? Die Lieder sind da und gehören gespielt – wer kann’s besser tun als sie selbst?
Wir haben auch mal mit der Ton Steine Scherben Family zusammen gespielt. Das ist die komplette Band, nur eben ohne Rio. Als die angefangen haben mit „Der Turm Stürzt Ein“, habe ich Gänsehaut bekommen. Wer könnte das besser machen als sie? Sicher gibt’s Einige die sagen, dass sie das nicht machen können, weil Rio tot ist, aber davon kommt er ja auch nicht mehr zurück.
Friedemann: Die Grundfrage ist halt, warum macht man Songs? Musik wird von vielen Leuten gehört, über Generationen hinweg. Es gibt Lieder, die haben Jahrhunderte überdauert und deswegen bin ich auch der Meinung, dass diese Lieder gespielt werden sollten. Wizo haben mich persönlich nie interessiert, aber zu Slime muss ich sagen: Es macht mich traurig. Ich kenne mich mit Slime sehr gut aus, sie sind ein wichtiger Baustein dessen, was ich heute fabriziere. Und ich weiß, dass die meisten Texte damals der Schlagzeuger geschrieben hat und der findet das Ganze nicht so cool, weil es vorbei ist. Es ist einfach eine andere Zeit. Andererseits haben sie natürlich tolle Songs, die man den Leuten nicht vorenthalten sollte. „Goldene Türme wachsen nicht endlos, sie stürzen ein“ – Geil! Das macht mich schon fast traurig, wenn ich das höre, weil ich das gerne geschrieben hätte. Aber ich finde es wichtig, dass die Leute das hören. Und dann ist da natürlich noch die alte Diskussion: Inwieweit ist Punkrock Geschäft? Ich sag mal so, Slime haben für mich einen großen moralischen Anspruch. „Goldene Türme wachsen nicht endlos, sie stürzen ein“, wer so was geschrieben hat, sollte auch dazu stehen.
Gunnar: Schöner wäre es natürlich, wenn sie auch eine neue Platte machen würden. Das würde den Leuten den Einstieg erleichtern, weil sie sehen würden, dass sie wieder was zu sagen haben. Aber im Punkrock wird dann immer gleich aufs Geld geguckt, das finde ich auch nicht immer richtig, vielleicht haben die Jungs einfach das Bedürfnis, wieder zusammen auf der Bühne zu stehen. Welche Gagen dabei im Raum stehen, hat in meinen Augen gar keinen zu interessieren, solange die Eintrittspreise okay sind. Geurteilt wird immer schnell, aber wir wissen ja auch nicht, was es damals für Gründe gab aufzuhören. Vielleicht waren sie ausgebrannt, was weiß ich… und jetzt sind ein paar Jahre vergangen und es juckt ihnen wieder in den Fingern. Ich finde das legitim.
Friedemann, erzähl du mir zum Schluss doch noch mal was zu der Verbindung von Dritte Wahl und Cor. Du hast das Dritte Wahl Logo ja sogar auf den Hals tätowiert…
Friedemann: Das Tattoo habe ich mir nach der „Fortschritt“-Platte machen lassen. Da hat einfach alles gestimmt und wenn mich Sachen bewegen, dann halte ich die eben in Form eines Tattoos fest und das war an dem Punkt so. Was die Verbindung angeht, ich kenne Gunnar und Krel schon ewig lang. Rostock ist auch nicht weit weg von Rügen. Aber ich habe das Gefühl, dass es erst in den letzten Jahren richtig zusammengewachsen ist.
Gunnar: Aber eine Grundsympathie war von Anfang an vorhanden…
Friedemann: Boah, das weiß ich nicht mehr so genau, ich hab echt viel getrunken zu der Zeit. Ich weiß, das sagen die Leute immer, weil sie cool sein wollen. Aber ich weiß wirklich fast nichts mehr aus dieser Zeit, deswegen hab ich mit dem Saufen aufgehört. Aber heute ist es so, dass unsere Wege sich vielleicht drei Mal im Jahr kreuzen und dann freuen wir uns immer unglaublich und hoffen, die anderen beim nächsten mal wieder gesund wiederzusehen.
Interview von Diana Ringelsiep für Pressure Magazine
Mehr zu Dritte Wahl und COR:
Offizielle Homepage – Dritte Wahl: www.drittewahl.de
Offizielle Homapage – COR: www.ruegencore.de