Und schon wieder fünf Jahre ins Land gezogen, so zumindest der erste Gedanke, wenn man der Frage nachgeht, wann denn das letzte Album der Rostocker Punkrocker „Dritte Wahl“ erschienen ist. 2005 war das, „Fortschritt“ hieß das gute Werk und wie es sich für eine gelungene Scheibe gehört, besitzen viele der Songs noch heute Gültigkeit, denke ich noch bei einem kurzen Überfliegen der Songs. Danach aber auch schon der Blick nach vorne, denn da wartet „Gib acht“, das – man erahnt es beinahe – achte Studiowerk der 1986 Punkrock-Urgesteine.
Und das beginnt mit dem gleichnamigen Song schon ein wenig arg verspielt. Elektronik hier und da, ein Track, der erst langsam an Fahrt gewinnt, dann aber unaufhaltsam nach vorne geht. Nein, das hier ist keine Band, die sich Genre-Konventionen unterwirft, genauso wie es nie eine Band war, die den üblichen Alk-Glorifizierungen zahlloser Punk-Combos verfallen ist. Stattdessen gibt’s hier Texte mit Hirn, was zum Nachdenken, nix, das man einfach so mal eben zwischendurch hört und dann zur Tagesordnung übergeht. Und Vielfalt. Wie sich die anhört? Einfach den nächsten Song nehmen, denn der könnte direkt eine Ska-Nummer sein, kommt locker daher und hat dennoch einen absolut ernsten Text. Gleiches gilt für das folgende „Wo ist mein Preis?“, das allerdings irgendwie nicht so recht in die Gänge kommen mag. Immerhin: Eine ordentliche Metal-Kante haben sich „Dritte Wahl“ bewahrt, überhaupt erkennt man den Sound trotz aller Vielfalt wieder und freut sich drüber.
Oder über „Ich bin dafür“, dass das alte „Ich bin dagegen“-Dogma nicht nur auf den Kopf stellt, sondern grade deshalb so eingängig ist. Und wenn’s doch mal wieder schneller und draufprügelnder sein soll: „Alles wird gut“ ist Punkrock in Reinkultur, keine Kompromisse, nicht allzu viel Melodie, schön nach vorne und mit ordentlich Wut. Und „Keine Angst“ ebenso, nur einen Tick melodiöser. Charakteristisch trotz allem: Der Gesang von Gunnar und Stefan, mal rau, mal eingänglich, aber immer mit genau der Prise Emotion, die man bei vielen anderen Scheiben vermisst.
Und wenn’s dann mal was völlig anderes sein soll: Bei „Alles für den Wind“ kommen Dudelsack und Schalmei zum Einsatz, was das Trio zwar nicht zu den „Dropkick Murphy’s“ macht, den Track aber zu einem verdammten Ohrwurm. Von „Fliegen“ kann man das leider nicht behaupten, irgendwie werde ich damit nicht warm. Das gleiche gilt für „Mama, hol‘ den Hammer“, dessen aufgesetzt kindlich-naive Aufmachung mir nicht ins Ohr gehen will. Gut, dass letzterer nach nicht mal zwei Minuten vorbei ist.
Was bleibt? Das traurig-schöne „Ich bin’s“, das auch ohne Schlagzeug und nur mit dem begleitenden Klavier ein Favorit geworden wäre. Gefolgt von „Morgen schon weg“ und ja, darüber muss man nichts mehr schreiben, wer das vorab veröffentlichte Video kennt, wird den Song nicht vergessen. Das ist ein derart schönes Meisterwerk von Song, dass wir nun mit dem Schreiben über „Gib acht“ aufhören wollen und dem geneigten Leser, der ein wenig etwas anderes als die übliche Kost sucht, ein bedingungsloses Pflichthören oder -kaufen aufschwatzen mögen. Ernsthaft: Diese Platte ragt, auch wenn sie nicht frei von Aussetzern ist, wie alle sieben Vorgänger äußerst angenehm aus dem Einheitsbrei und engstirnig runtergerotztem heraus, das oftmals unter dem Begriff „Punk“ leblos dahindümpelt. Schön, dass darauf auch fünf Jahre nach „Fortschritt“ noch Verlass ist.