Nicht die ‚Kopie einer Kopie‘ zu sein, sondern neue Wege zu beschreiten, dass ist die Maxime der Szene-Newcomer von BOYKOTT. Bei den Wahl-Berlinern handelt es sich aber keinesfalls um Anfänger auf ihrem Gebiet. Allerdings blieb trotz ihres soliden Debutalbums „Blut an eurer Hand“ (2010) die Wahrnehmung der breiten Hörerschaft aus. Daher ist es kaum verwunderlich, dass manch einem der Name dieser Band noch nicht geläufig ist und die Musiker bislang eher unter dem Radar geflogen sind. Letzteres hat jedoch auch einen entschiedenen Vorteil, denn sie hatten viel Zeit sich im Studio reiflich auf ihren großen Coup vorzubereiten.
Die Berliner Band feiert in diesem Jahr bereits ihr zehnjähriges Bestehen und bringt am 05.08.2011 mit ihrem selbstproduzierten Album „Plan B“ ihren zweiten Longplayer auf den Markt. Der Maßstab den die Jungs damit setzen ist enorm hoch und nicht zuletzt auf die kritische Selbsthinterfragung und stetige Weiterentwicklung der fünf Bandmitglieder zurückzuführen.
Musikalisch bedient sich die Truppe aus einem weitgefächerten Spektrum und katapultiert mit „Plan B“ Songs durch die Boxen, welche die Pressure-Redaktion schon im Vorfeld durch Individualität und Kreativität zu überzeugen wussten. Die Produktion des Albums überzeugt, dies liegt wohl auch daran, das der Band das Glück zuteil wurde ihre Aufnahmen in die Hände von Dirk Burke vom Lakeside Studio legen zu können, der den Songs in Sachen Mastering den letzten Feinschliff verpasste. Der Musiker und Mixengeneer Burke hat unter anderem schon In Extremo und Knorkator in seinen Referenzen zu verzeichnen.
Einer der kontroversesten Songs des neuen Albums ist der Opener „Letzte Grüße“, der unmissverständlich zum Ausdruck bringt, dass die zunehmende Ideenlosigkeit vieler Deutschrockbands, die im Fahrwasser der Onkelz agieren, ihnen sichtlich zum Hals hinaus hängt. Mit den Zeilen „Wen wir meinen sind die Kleinen, die sich rühmen, mit den Liedern von Legenden in gemachte Betten legen.“ machen BOYKOTT von Beginn an klar, dass sie sich nicht in die selbe Schublade steckenlassen werden und bringen proaktiv zum Ausdruck, dass es auch anders geht. „Was lange währt wird endlich besser, dachte ich und jetzt mal besser!“
Stilistisch und textlich ist die Basis zwangsläufig im Bereich des Punk- und Deutschrock zu finden, jedoch kommt man schnell zu der Erkenntnis, dass das Album auch Bestandteile aus dem Heavy Metal, Rock-Klassikern und Indie-Pop beinhaltet. Insbesondere vereinen die Künstler gekonnt die unterschiedlichen Musikgenre und lassen wagemutig auch Ausflüge in elektronische Welten, wie im Falle von „Inzwei / Hälften“ zu, was der Band zweifelsohne ein Alleinstellungsmerkmal verschafft. Das Stück „Ohne Kurs kein Ziel“ liefert mittels New Wave Passagen einen krassen Gegensatz zwischen 80’s Synthpop und experimentalen Indie-Rock.
Musikalisch vielseitig präsentieren sich die Jungs mit „Was gestern war (ist morgen nicht mehr da)“, der einem Wirtz-Song ähnelt und inhaltlich sehr melodramatisch die Frage nach dem Sinn des Lebens nach einer zerbrochenen Beziehung behandelt. Das Gefühl eines verletzten, allein zurückgebliebenen Partners bringen sie dabei mit eindrucksvoller verbaler Brillanz auf den Punkt.
So sehr sich die Musiker auch gegen den Vergleich mit den Böhsen Onkelz wehren, wird der Name der Frankfurter Rockband sicherlich häufiger im Kontext fallen, als ihnen vielleicht lieb ist. Denn wenn man mit „Warten“ einen Song veröffentlicht, der zweifellos sowohl textlich als auch stilistisch an „Adioz“ von den Böhsen Onkelz aus dem Jahre 2005 erinnert, provoziert man nun mal zwangsläufig derartige Vergleiche und Assoziationen.
Der Titelsong „Plan B“ strotzt voller Pathos und feiert mit breiter Brust das eigene Band-Jubiläum. Mit schmetternden Metal-Riffs wird der Standpunkt „Erst kommt die Musik, dann die Moral“ klar abgesteckt und dynamisch wie ein Party-Song von Betontod durch die Boxen gejagt. Beim Hören dieses Tracks kann man sich jetzt schon sicher sein, dass dieser Track zu den Höhepunkten auf den nächsten BOYKOTT-Konzerten zählen wird.
Einen grandiosen und ehrlichen ‚Lovesong’ an die Subkulturen-Szenen dieser Welt liefert die Band mit dem Ohrwurm „Ein kleines bisschen Subkultur“. „Alte Liebe rostet nicht und je älter ich werde, desto jünger fühl ich mich. Meine Reha, meine Kur, ein kleines bisschen Subkultur“ hebt den Gemeinschaftsgedanken und spricht geschickt die Hörer verschiedener Genre, wie Oi!, Punk oder Core an und streckt den Mittelfinger in Richtung Mainstream, MTV & VIVA, sowie Dieter Bohlens Retorten-Bands und Casting-Shows.
Gegen Ende der Trackliste liefern die Rockmusiker mit dem Dimple Minds Coversong „Durstige Männer“ eine Mega-Überraschung und verleihen der 90’er Jahre-Trinkerhymne nicht nur ein frisches Sound-Gewand, sondern obendrein auch noch ihren ganz eigenen markanten Charakter.
Bei all der vorangegangen Lobhudelei darf aber auch Kritik angebracht sein: Qualitativ überrascht die Band mit einem Hang zum Perfektionismus und einem hohen Maß an Einfallsreichtum. Jedoch wirkt der Gesang von Sänger Matze häufig wechselhaft und an manchen Stellen etwas zu hoch und gegenüber der Musik auch irgendwie zu laut abgemischt.
Fazit: Das neue Album der Musiker von BOYKOTT überzeugt mit ironisch-smarten Texten, sowie einer breiten musikalischen Toleranz und setzt neue Akzente in der subkulturellen Musikszene.
Review von Marcus
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