Das Doppelinterview mit Dennis Diel und Volker Langenbein
Das Doppelinterview mit Dennis Diel und Volker Langenbein

„Charakter ist das, was vom Menschen übrigbleibt, wenn es unbequem wird.“

In dieser Lebensweisheit steckt wie so oft viel Wahres, doch was steckt eigentlich hinter dem Begriff Charakter? Seinen Ursprung hat er im Griechischen und bedeutet so viel wie „Prägung“. Wir werden also alle von unserer Umwelt, von unserer Familie so geprägt, dass dies mittel- und unmittelbare Auswirkungen auf unseren Charakter und damit auch für unser moralisches Handeln hat.

Doch was passiert, wenn die Beziehungen zu unseren Mitmenschen bereits in der frühkindlichen Phase gestört sind, wenn wir extremen Situationen ausgesetzt werden? Werden wir dann automatisch zu charakterlosen und unmoralisch agierenden Exemplaren? Oder können wir dennoch eine „Eigenart“ entwickeln, die im Einklang zu unserer Umwelt steht?

Im Doppel-Interview mit den Autoren Dennis Diel und Volker Langenbein unterhalten wir uns über gestörte Beziehungen, feste Bezugspersonen und die Möglichkeiten damit umzugehen, um einen starken Charakter entwickeln zu können.

Dennis, welches ist Deine früheste Kindheitserinnerung?

Dennis: Wie in meinem Buch beschrieben ist es die Situation, als ich als Kind aus dem Badezimmer unserer Wohnung Schreie höre. Also die Situation, als mein Urgroßvater meinen Vater mit einer Waffe bedroht hat und lautstark nach seinem geliehenen Geld verlangt. Mein Großvater entschärft die Lage, indem er meinen Urgroßvater die Waffe entwendet und mit einem Tritt hinaus befördert. Meine Eltern erzählten immer, wahrscheinlich um das Ganze zu relativieren, dass es sich bei der Waffe um eine Gaspistole gehandelt hätte, aber das stimmte nicht.

Wie war das bei dir, Volker? 

Volker: Das war wohl der Tag, an dem ich zum ersten Mal meinen leiblichen Vater gesehen habe. Mein Vater hatte sich recht früh nach meiner Geburt aus dem Staub gemacht und meine Mutter mit vier Kindern für eine jüngere Frau verlassen. Ich hatte also gar keine Erinnerungen an ihn und als dann, wie aus dem Nichts, eines Tages dieser Mann vor mir stand, wusste ich gar nicht, wie ich mit der Situation umgehen sollte. Als Fünfjähriger, der plötzlich mit einem Wildfremden mitgehen sollte und von diesem umarmt wurde, war ich total überfordert und habe nach meiner Mutter geschrien. Diese versicherte mir dann, dass es sich bei der fremden Person um meinen Vater handelte und ich beruhigte mich dann wieder ein wenig.

Das sind zwei Geschichten, in denen Männer eine zentrale Rolle spielten. Wie stand es bei dir, Volker, um die Beziehung zu deiner Mutter?

Volker: Ich habe meiner Mutter alles zu verdanken. Sie gab uns Kindern Liebe und Geborgenheit. Und als ich richtige Scheiße in meiner Jugend gebaut habe und kurz davor stand, wegen Körperverletzung und Hehlerei in den Knast zu wandern, setzte sie mir die Pistole aus die Brust und sagte, ich solle mir endlich einen Job suchen, wenn ich daheim weiter wohnen bleiben wollte. Und das machte ich dann notgedrungen. Also suchte ich mir einen Job, einen richtigen Scheißjob. Ich zog ich in aller Herrgottsfrühe Karotten vom Feld, schnippelte Salat für fünf Mark in der Stunde. Aber in dieser Zeit konnte ich wenigstens keine Scheiße bauen und kam abends körperlich total fertig zuhause an. Und das hat mich auch davor bewahrt, abends weitere Scheiße zu bauen.  Mir tat die ehrliche Arbeit anfangs auch deswegen ziemlich weh, da ich mit meinem Leben als Kleinkrimineller damals täglich mehr Geld machte, als ich zuvor als Lehrling im dritten Ausbildungsjahr im Monat verdiente. 

Dennis, du thematisierst in deinem Buch recht offen die Depressionen deiner Mutter. Welche Folgen hatte diese psychische Erkrankung für Eure Beziehung zueinander?

Dennis: Der Schatten Ihrer Erkrankung hing über meinem Elternhaus und ließ kaum Platz für Fröhlichkeit. Meine Mutter konnte Ihren Ängsten, Sorgen und Depressionen nicht entkommen, konnte zu mir keine intakte Beziehung aufbauen und sich um mich zu kümmern, wenngleich sie mich dennoch geliebt hat. Ihre Ängste, Depressionen und Neurosen ließen kein normales Aufwachsen zu. Meine eigentliche Bezugsperson war meine Oma, die mit uns im Haus wohnte und natürlich meine Freunde.

War die Schule ein Ort der Zuflucht für dich?

Dennis: Die Grundschulzeit war unbeschwert. Ich habe meine besten Freunde kennengelernt, die noch heute meine Freunde sind. Meine Realschulzeit habe ich gehasst. Ich habe in der 5. Klasse stark an Gewicht zugelegt, wurde von meinen Mitschülern gemobbt. Ich habe mich erst spät dagegen gewehrt, erst mit etwa 14 Jahren habe ich zurückgeschlagen. Der Weg dahin war ein langer, steiniger Weg, der mich sehr geprägt hat. Die Schule konnte mir keine Sicherheit bieten. Ich fühlte mich also weder daheim noch in der Schule geborgen. Die meisten Lehrer gingen mir mächtig mit ihren Erziehungs- und Lehrmethoden aus der grauen Vorzeit auf den Zeiger. Es gab allerdings auch wenige coole Lehrer, die in mir den Wunsch reifen ließen, selbst Lehrer zu werden. 

Und wie sehr hast du deine Schulzeit gehasst, Volker? 

Volker: Ich war wie Pippi Langstrumpf und hab mir die Welt so gemacht, wie sie mir gefiel. Schon im Kindergarten bin ich über den Zaun geklettert. Als die Kindergärtnerin meinte, dass ich das nicht darf und im Kindergarten bleiben muss, habe ich geantwortet, dass ich das nicht will. Auch die Schule habe ich danach nicht ernst genommen. Im Schulhof habe ich mich bereits im Grundschulalter geprügelt. Eines Nachmittags haben wir, ohne die Folgen zu bedenken, die Fensterscheiben der katholischen Kirche eingeschmissen. Das würde ich aus heutiger Zeit als nicht normal bezeichnen, aber so war es damals eben.
In der Hauptschule habe ich die Trinkschokolade der jüngeren Schüler abgegriffen. Das allerdings war normal, denn das haben fast alle ältere Jahrgänge mit den jüngeren gemacht. Die Hausaufgaben habe ich natürlich auch von anderen erledigen lassen. Im Großen und Ganzen kann ich sagen, dass ich gut durch die Schulzeit gekommen bin, auch wenn ich mir nach und nach immer weniger sagen ließ.

Das heißt, dass du dich in deiner Jugendzeit immer als Einzelkämpfer und nie als Teil einer Gruppe oder Gang gesehen hast?

Volker: Ich war immer allein. Das ist heute noch so, obwohl ich Freunde habe, bin ich am liebsten allein. Ich war nie der Typ für Jugendsubkulturen oder Gangs. Ich habe das immer gemieden und war und bin Einzelgänger.

Dennis: Das finde ich bewundernswert, wenn man als junger Mensch so viel Selbstvertrauen hat und sich nicht über irgendwelche Gruppen definiert.

Volker: Ja, das hat natürlich auch manchmal weh getan, weil ich als Einzelgänger auch Schläge kassiert habe. Ich habe aber auch ausgeteilt, da ich immer der Meinung war, dass Wegrennen oftmals nichts bringt, sondern manchmal die Situation verschlimmert. 

Welche Vorbilder, an denen du wachsen konntest, hattest Du, Dennis?

Dennis: Musikalische Vorbilder waren ganz klar die Onkelz, die mir eine Menge Selbstbewusstsein gegeben haben. Eine positive Vaterfigur als Vorbild wäre sicher ebenfalls schön und wichtig gewesen. Mein Vater konnte diese Rolle leider nicht für mich einnehmen. 

Wie haben Euch die Beziehungen zu Euren Partnerinnen Euch geprägt? Gab es da ein Gefühl von „Seelenverwandtschaft“? 

Volker: Meine Frau Sabine, mit der ich trotz Trennung noch verheiratet bin, hat mich wortwörtlich vor allen Dummheiten gerettet und damit auch vor den unangenehmen Folgen meines „Idiotentrips“ ferngehalten. Das war ein schönes Gefühl zu merken, dass sie mich so mochte, wie ich war. Und ich habe mir ihre Gefühle zu Herzen genommen, denn im Grunde war ich mit 21 Jahren damals noch sehr unreif, auch wenn ich schon einige krumme Dinger gedreht hatte. Sabine half mir auch, einen Überblick über meine Schulden zu bekommen, mit der Bank Vereinbarungen zu treffen usw. 
So merkte ich nach und nach, was wirklich für mich wichtig ist und dass die Jungs, mit denen ich früher meine Geschäfte machte,  niemals ein echtes Interesse an mir als Person hatten.

Dennis: Ich habe meine jetzige Frau kennengelernt, als wir beide 17 Jahre alt waren. Sie ist in meinem Leben extrem wichtig für mich. Wir haben beide gemeinsam Dummheiten gemacht, manchmal hat sie mich vor Dummheiten bewahrt, manchmal ich sie. In meiner Skinheadphase mit Alkoholeskapaden und diesem Drang, permanent nach Stress aus zusein, hat sie mich vor schlimmeren Konsequenzen beschützt. Von daher kann ich Volkers Aussagen wirklich nachvollziehen.

Ich danke Euch für das offene Gespräch und sehe durchaus Potential für eine Fortsetzung, also einen 2. Teil, dieses Formats, wenn Eurerseits Interesse besteht. Ich bin bereit.

Das Interview führte Sven am 14. März 2022 

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