Geradegerückt: Kritische Beobachtung von Frauen in der Öffentlichkeit und Medienverantwortung

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Das neue Buch „Geradegerückt“ der Autorinnen Beate Hausbichler und Noura Maan behandelt das Thema der stärkeren kritischen Beobachtung von Frauen in der Öffentlichkeit im Vergleich zu Männern.

In einem Interviewgespräch sprechen die beiden Autorinnen über die Industrie, die sich hinter der Beurteilung von Frauen verbirgt, sowie über die langfristigen Auswirkungen von Skandalen auf das Leben und die Karriere von Frauen im Gegensatz zu Männern. Auch #MeToo und seine Auswirkungen auf die Berichterstattung werden diskutiert.

Die Autorinnen sind überzeugt, dass es einen intensiven Diskurs darüber geben muss, wie die Medien in Zukunft respektvoller und sensibler über Personen des öffentlichen Lebens berichten können, auch über Fehler und Verfehlungen.

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Werden berühmte Frauen von der Öffentlichkeit stärker (kritisch) beobachtet als Männer und wenn ja, warum ist das so?

Beate Hausbichler: Hinter der Beurteilung von Frauen, ihrem Äußeren und ihrem Verhalten steckt eine ganze Industrie. Denken wir nur an das riesige Angebot von Frauenzeitschriften und Klatschmagazinen, die sich ja auch an Frauen richten. Darin wird intensiv darüber gerätselt, welche Beziehungen Frauen haben, welche Mütter sie sind, wie sie aussehen oder wie sich ihr Aussehen verändert. Der Zeitungsmarkt richtet sich freilich auch gezielt an Männer, allerdings geht es da in einem viel größeren Ausmaß um Sachthemen. Nicht zu vergessen die Schönheits- und Kosmetikindustrie, die vom enorm strengen Blick auf Frauen profitiert.

Noura Maan: Im Buch merkt man diese stärkere kritische Beobachtung deutlich bei jenen Skandalen, bei denen sowohl ein Mann als auch eine Frau beteiligt waren. Der „Nipplegate“ Skandal zum Beispiel, als Justin Timberlake Janet Jacksons Brust in der Half-Time Show entblößt hat. Oder als die Affäre zwischen dem damaligen US-Präsidenten Bill Clinton mit der Praktikantin Monica Lewinsky ans Licht kam. Oder das Sex-Tape, das aus dem Besitz von Pamela Anderson und Tommy Lee gestohlen und veröffentlicht wurde. In allen drei Fällen hat die Frauen der Hass der Öffentlichkeit getroffen, ihnen wurde die Schuld gegeben und der Skandal hatte langfristige Auswirkungen auf sie und ihre Karrieren, während die Männer und ihre Karrieren kaum bis gar keinen Schaden genommen haben.

Warum kann man den Aufstieg und Fall von berühmten Männern wie Alfons Schuhbeck oder Uli Hoeneß nur bedingt mit den „Frauen-Geschichten“ des Buches vergleichen? Werden Fehler und Verfehlungen von Männern weniger durch die Medien sanktioniert und/oder wird Ihnen einfach schneller verziehen?

Noura Maan: Schuhbeck und Hoeneß sind wegen Steuerbetrugs verurteilt – ihre Karrieren waren Erfolgsgeschichten, bis zur strafrechtlichen Verfolgung und Verurteilung. Bei Frauen kommt es einfach viel häufiger zu einer Vorverurteilung, und die Vorwürfe, die gegen sie in (Boulevard-)Medien erhoben werden, sind oft strafrechtlich gar nicht relevant – führen aber trotzdem zum Karriereende.

Sind Ihres Erachtens „Schicksale“ männlicher Personen wie das von Daniel Küblböck eine Ausnahme?

Noura Maan: Es kann alle Personen treffen, die nicht den starren Vorstellungen des patriarchalen Systems entsprechen, Küblböck wurde ja vor allem für seine angebliche Weiblichkeit angefeindet. Wir bemerken etwa eine ähnliche Kampagne bei Sam Smith, eine nicht-binäre Person, die wegen ihrer Lebensweise von vielen Seiten verurteilt wird. Es gibt hier aber auch Widerspruch in den sozialen und klassischen Medien – das ist der große Unterschied zu den Skandalen von vor 20 oder 30 Jahren.

Welche weibliche Schicksal-Geschichte hat Sie beim Schreiben des Buches besonders betroffen gemacht?

Noura Maan: Die Schicksale von Jean Seberg, Anna Nicole Smith oder Romy Schneider machen besonders betroffen, einfach, weil sie schlussendlich an diesen Angriffen und Kampagnen gegen sie zerbrochen sind.

Hat sich durch #MeToo etwas grundsätzlich in der Berichterstattung geändert?

Beate Hausbichler: #MeToo hat definitiv etwas angestoßen – allerdings stecken wir noch mitten in einem Prozess. Der Reflex, Frauen erst einmal nicht zu glauben, wurde durch #MeToo zu einem wichtigen Thema – trotzdem gibt es diesen Reflex noch immer. Ebenso, dass mächtige Männer schnell viel Mitleid bekommen – von wegen, sie würden nun ihre Karriere verlieren, in den wenigsten Fällen ist das tatsächlich der Fall. Verändert hat sich jedenfalls, dass es über diese Themen einen intensiven Diskurs gibt, inwiefern dieser nachhaltig an den Machtverhältnissen etwas ändert, ist derzeit aber noch schwer zu beurteilen.

Was müsste passieren, dass die Medien mit Personen des öffentlichen Lebens (m/w/d) zukünftig so umgehen, dass über sie im respektvollen Ton, auch über die Fehler und Verfehlungen, berichtet wird? Noch ein Gremium einrichten? Oder müsste es für soziale Medien mehr unabhängige Medienwächter geben, die sensibler als bisher Hatespeech sanktionieren?

Beate Hausbichler: Viele Journalist:innen hinterfragen oft die unterschiedlichen Begriffe, mit denen sie Männer und Frauen beschreiben, nicht – obwohl Sprache ein wesentlicher Teil ihres Jobs ist. Und natürlich stehen auch Journalist:innen nicht außerhalb unserer Gesellschaft, haben bestimmte Werte und persönliche Erfahrungen. Es ist wichtig, sich das bei der journalistischen Arbeit bewusst zu machen. Das würde schon viel Sexismus und Rassismus in der Berichterstattung verhindern.

Noura Maan: In jedem Fall braucht es mehr Bewusstsein für die sexistischen Strukturen, für die Mechanismen dahinter und wie sie wirken, dass das einzelnen Frauen nicht einfach wegen unglücklicher Umstände (oder ihrer eigenen Schuld) passiert, sondern ein System dahintersteckt. Das versuchen wir auch mit dem Buch: Mit der Sammlung so vieler verzerrter Frauenbiografien soll einfach deutlich werden, dass es keine individuelle Sache ist, die eine Frau trifft, geschweige denn, dass es ihre Schuld ist, sondern dass ein System dahintersteckt, in dem Frauen weniger wert sind und systematisch benachteiligt werden.

Gibt es Aufgaben, die von den Bildungseinrichtungen Kindergarten und Schule stärker als bisher übernommen werden müssten?

Beate Hausbichler: Es muss deutlich mehr politische Bildung geben. Die Geschichte von Emanzipationsbewegungen, ihre Errungenschaften und inwiefern wir davon profitieren – all das ist in Schulen viel zu wenig Thema. Gerade die Geschichte der Frauenbewegung im 20. Jahrhundert ist umfangreich, trotzdem hat sie noch immer nicht den Status, zu einem guten Allgemeinwissen zu zählen. Dass das nicht der Fall ist, führt immer wieder zu Unverständnis, warum es noch immer Gleichstellungsmaßnahmen braucht – wir wären ja ohnehin alle gleichberechtigt.

Jahrtausendelang eingeübte Hierarchien verschwinden nicht mit dem Zeitpunkt, ab dem Diskriminierung theoretisch gesetzlich verboten ist. Dann säßen in den USA etwa in Gefängnissen nicht zu einem deutlich größeren Teil schwarze Menschen, Frauen wären nicht in dem großen Ausmaß von sexualisierter Gewalt betroffen und Buben müssten sich nicht dafür rechtfertigen, wenn sie mal rosa tragen.

Das Interview mit der Buchautorin Beate Hausbichler und Noura Maan führte Sven Dehoust im März 2023

Copyright der Illustrationen: Ūla Šveikauskaitė

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  • Produktinformationen
  • Hardcover kaschiert, illustriert von Ūla Šveikauskaitė gebunden 224 Seiten, Format 13,5 x 21,5 1 Auflage, Kremayr & Scheriau 2023 24,00 € inkl. MwSt. ISBN: 978-3-218-01372-7
  • Erscheinungsdatum: Februar 2023
  • Autoren Beate Hausbichler & Noura Maan
  • E-Book Format: epubISBN: 978-3-218-01373-4

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