Dies ist Teil 2 von 2 Artikelseiten : Hier geht’s zum einleitenden Artikel „Die Veränderung der Musikindustrie durch Streamingdienste“

Die zunehmende Digitalisierung hat großen Einfluss auf die Musikbranche. Das Verhalten der Konsumenten hat sich verändert und lediglich Musik-Fans besorgen sich zusätzlich ein physisches Produkt, wie etwa eine CD oder Box-Version für ihre Sammlung. Anbieter von Musikstreaming-Plattformen bieten Künstlern zwar ein erfolgsbasiertes Vergütungsmodell, bezahlen allerdings äußerst dürftig. Entprechende Vorbehalte haben die Künstler gegenüber den Streamingdiensten.

Positive Effekte lassen sich hingegen der Selbstvermarktung für Musiker abgewinnen, da Musiker mit etwas Glück über die Playlisten eine Möglichkeit haben, in die Song-Rotation der Musikstreamer zu gelangen. Wer das erreicht, hat zumindest zu einem späteren Zeitpunkt die Möglichkeit, Verkäufe am Merchandiesestand oder im eigenen Online-Shop zu generieren.

Ist ein Streaming-Boykott sinnvoll und lohnt es sich noch Künstler zu werden?

Wer im Musikbusiness mit Musik Geld verdienen möchte kann sich nicht mehr auf den Verdienst der CD-Veröffentlichungen stützen. Streaming-Dienste gewinnen an zunehmender Beliebtheit und der CD-Handel geht kontinuierlich zurück. Die Künstler von heute verdienen ihr Geld meist mit Konzerten.

Aber einen Gewinner gibt es: Die Plattenfirmen. Sie profitieren von dem zunehmenden Wachstum der Anbieter. Das zeigt sich auch an dem kontinuierlichen Wachstum des Musikmarktes. Das Wachstum wird an Labels gemessen. Labels agieren zwischen Streaming-Diensten und Künstlern. Je weniger der Künstler verdient, desto mehr Gelder erzielt das Label.

Die Musikindustrie boomt: Warum verdienen Labels so viel Geld?

Labels setzen das Streaming mit dem CD-Verkauf gleich. Dabei wird missachtet, dass eine CD Kostenpunkte wie Lagerung, Einkauf, Rechnung und Retoure enthält. Auf einer Plattform der Musik Streaming Dienste wie Spotify, Amazon Music oder Apple Music entfallen diese Kosten. Verlangen die Plattenfirmen also für Streaming gleiche Preise, fahren sie hohe Gewinne.

Wie in Teil 1 des Musik Streaming Specials erwähnt, zahlt der beliebteste Streaming-Anbieter 70 Prozent der Umsätze an die Labels.

Da Streaming-Plattformen einen riesigen Anteil der Umsätze an Labels zahlen müssen, bleiben Ihnen nur noch 20 Prozent für das Ausgleichen etwaiger Zahlungen. Wenn der größte Streaming-Dienst in Zukunft an der Börse aktiv wird, steigt der Gewinn der Labels zusätzlich. Diese halten nämlich 30-prozentige Anteile an der Plattform. Bei einem Unternehmenswert von 14 Milliarden Euro macht das einen Gewinn von 4,2 Milliarden Euro für die Plattenfirmen.

Streamingplattformen verändern unsere Hörgewohnheiten

Früher haben wir gut und gerne einen ganzen Song angehört um dann anschließend darüber zu urteilen, ob dieser unseren Vorstellungen entspricht. Heute geht das alles wesentlich schneller. Im Musikstreaming herrscht ein anderes Tempo. Wir hören uns einen Song an und entscheiden dann ziemlich schnell, ob dieser unseren Vorstellungen entspricht oder nicht.

Klicken wir den Song weg, erhält der Künstler über Streamingportale kein Geld. Die Devise lautet also: Innerhalb kürzester Zeit überzeugen.

Eine prägnante Melodie mit ruhigem Beat ist dabei besonders erfolgreich. Das macht sich auch an dem meist gestreamten Song bemerkbar: „Shape of You“ von Ed Sheeran.

Erfolgreiche Songs werden kopiert und müssen innerhalb kürzester Zeit überzeugen. Ein Stream zählt immer erst dann, wenn ein Song länger als 30 Sekunden gespielt wird. Das bedeutet also, Lieder müssen auf Anhieb überzeugen. Das hat großen Einfluss auf die Gestaltung der Songs.

Wir haben direkt bei den Künstlern nachgefragt und die Meinung von Gunnar (Dritte Wahl), Pascal und Julian (Shrimpfield) und Michael (Baggasche) erhalten – alle Künstler sind mit ihren Musikalben u.a. bei Spotify abspielbar.

„Die Musik kehrt zu ihren Wurzeln zurück“

„Die Hörgewohnheiten der Musik haben sich nicht sonderlich geändert.“ äußert sich Michael Heer, Sänger der Rock-Band Baggasch.

Früher standen wir im Musikladen und haben 20 CDs probegehört, um anschließend vielleicht nur 2 CDs zu kaufen. Und auch damals wurden Lieder nur angespielt und wenn die ersten Sekunden uns nicht angesprochen haben wurde weitergespult. Denn hat man zu lange Probehören, wurde man durch die freundliche Musikverkaufsfachkraft aufgefordert, den Kopfhörer für den nächsten Kunden freizumachen. Also auch damals war die Zeit bemessen, um über einen „unbekannten“ Song zu urteilen. Bands die live zu überzeugen wissen, werden auch weiterhin erfolgreich sein.

Wachsende Märkte: Songs, Künstler und Hörer werden beeinflusst

Dass die Lieder in kurzer Zeit überzeugen müssen bedeutet, dass sich Songs immer mehr ähneln. Kurze, prägnante und schnelle Beats sind gefragt. Aber nicht nur das: Mit den fertigen Playlists bestimmen die Plattformen was zukünftig Trend wird. Sie beeinflussen uns quasi darin, was wir zukünftig hören möchten.

Kritiker werfen der erfolgreichsten Plattform vor fiktive Künstler zu kreieren. Der Vorteil: Die Songs werden geklickt und die Plattform muss keine Ausschüttungen an Labels und Künstler leisten. Diese Vorwürfe sind bisher jedoch noch nicht bestätigt.

Eines ist klar, Streaminganbieter erzielen wachsende Marktanteile in der Musikbranche. Die Musikindustrie in Zahlen steht in enger Verbindung mit Klicks. Der Vorteil: Der Musikmarkt wächst wieder. Auch Anbieter wie Apple Music und Deezer erweitern Ihre Anteile am Markt stetig. Dabei hat Apple Music bereits halb so viele Abonnements wie der erfolgreichste Anbieter und ist wesentlich kürzer auf dem Markt.

Streaming basiert auf Algorithmen

Fertige Musik Playlists sind ein Markenzeichen vieler Streaming Plattformen. Dabei bestimmten Algorithmen was uns gefällt. Hinter diesen Playlists stehen automatisierte Systeme. Empathie und Fairness spielen dabei keine Rolle. Playlists werden beispielsweise nach schwarzen und weißen Künstlern getrennt. Automatisierte Prozesse haben eben keine Gefühle. Vorgeschlagene Listen erscheinen also auf unseren Endgeräten.

SHRIMPFIELD: Durch diese Flut an Musik und Künstlern auf den Streaming-Plattformen, die man für einen echt kleinen monatlichen Betrag hören kann, verliert Musik aber auch an Wert, finde ich … Und stößt man auf einen Song, den man noch nicht kennt, wird schnell mal weiter geklickt, wenn einem die ersten Sekunden nicht in irgendeiner Art gefallen. Man hat ja schließlich nicht einen Euro für den Song gezahlt oder 10–15 für ein Album und „muss“ der Musik eine Chance geben … sondern es sind noch Millionen Songs im Abo enthalten, auf die man zugreifen kann.

„Playlisten sind die Gatekeeper der Musikindustrie“

Shrimpfield aus Philippsburg

Ich sehe mittlerweile Streamingplattformen und die Kuratoren der Playlisten als die neuen Gatekeeper der Musikindustrie an. Neue Songs werden veröffentlicht, die Kuratoren picken manche dann für ihre Plattformeigenen Playlisten und das vor allem anhand von viel Erfahrung, welche Art Songs in ihren Playlisten „funktionieren“. User bekommen dann neue Songs erst in Neuveröffentlichungs-Playlisten „vorgesetzt“, wenn sie nicht selbst aktiv nach neuer Musik schauen. Dann entscheiden die Skip-Raten und weitere daraus resultierende Statistiken, ob der Song bei der jeweiligen Zielgruppe ankommt oder nicht. „Performed“ der Song schlecht in der Playlist, wird er rausgenommen. Kommt er gut an, hat er Chancen darauf, in weitere Playlisten zu kommen oder durch den Algorithmus in automatisch erstellten, individuellen Playlisten aufzutauchen.

Ein riesiger Anteil an Streams machen bei Spotify beispielsweise die von Spotify selbst kuratierten Playlisten aus; wenn ich mich nicht irre, macht das sogar den größten Anteil aller Streams auf Spotify aus. Somit bin ich der Meinung, dass die Streaming-Plattformen selbst und vor allem Statistiken und Zahlen bzw. die Algorithmen letztlich einen großen Einfluss darauf haben, welche Songs die Konsumenten entdecken und letztlich populär werden.

Diese Neuerungen haben auch zur Folge, dass sich die Release-Strategien etwas ändern. Es wird alles viel Track-fokussierter. Je nach Genre geht der Trend weg vom Album und hin zu vielen Single-Veröffentlichungen, was man z.B. bei Dance / Electro gut sehen kann.

Einige Songwriter lassen sich daher sogar beim Songwriting beeinflussen: Songs werden gezielt für die Playlist-Integration geschrieben.

Sie müssen schneller reinkicken und schnell zur Sache kommen, am besten ohne ausschweifende Intros oder direkt den Chorus andeuten, gefolgt von kurzen Strophen …einfach alles auch simpler gehalten. Um es mal ganz grob wiederzugeben. Im Mainstream ist da auf jeden Fall was dran, wenn man sich bspw. mal durch die New Music Friday“ Playlist bei Spotify klickt oder andere Playlisten aus dem Mainstream-Bereich durchforstet.

Die Musik Plattform schlägt vor, was uns gefallen könnte und vergleicht unser Hörverhalten. Stimmen die Interessen überein wird uns die gleiche Playlist vorgeschlagen wie unserem vermeintlichen „Interessenszwilling“.

Aber nicht nur das Sortieren nach Genre und gleichen Geschmäckern ist Teil der Prozesse. Auch die Analyse von Musiklang, Tempo und Tonart hat Einfluss auf die vorgeschlagenen Playlists. Das macht die Trefferquote so hoch und sorgt dafür, dass uns auch unbekannte Künstler vorgeschlagen werden die uns vermeintlich gefallen könnten.

Haben Streams Einfluss auf den Musikgeschmack?

Man vergleicht was der „Allgemeinheit“ gefällt. Das sind meist freundliche und leise Klänge. Dabei werden Songs und Künstler in Genres untergliedert die uns die Auswahl erleichtern sollen. Das beeinflusst die Produktion der Songs deutlich. Lieder müssen in 30 Sekunden überzeugen, um der Allgemeinheit zu gefallen und geklickt zu werden. Songs mit langen, instrumentalen Anfängen werden auf den Plattformen nur wenig geklickt was auch daran liegen mag, dass diese gar nicht empfohlen werden. Das Ganze sorgt für eine Vereinheitlichung der Musikinteressen und drängt „Indiemusik“ deutlich in eine Ecke.

Musiklabels sind dankbar für diese Playlists. Sie können schon frühzeitig sehen, was ein vermeintlicher Trend wird. Ein individueller und ausgefallener Musikmarkt gehört dabei vielleicht bald der Vergangenheit an. Die meist geklickten Streams bestimmen was zukünftig gespielt wird.

„Der Kapitalismus biegt sich den Geschmack seiner Kunden zurecht.“

Gunnar Schröder von Dritte Wahl

„Das ist wie früher beim Radio“, meint Gunnar von der Punkrock-Band Dritte Wahl. Da haben sich auch Labels mit ihren Songs und Künstlern eingekauft und deren Titel zu besten Sendezeit spielen lassen. Heute kann man das beim Streaming machen und das verändert definitiv Hörgewohnheiten. Ist aber im Buchhandel und anderen Bereichen auch nicht anderes. Der Kapitalismus biegt sich den Geschmack seiner Kunden zurecht.

Wenn ein Song nicht gefällt, kann man sofort weiterskippen, das konnte man bei der CD aber auch schon. Ich glaube eher, dass viele Songs gehört werden, weil sie in irgendwelchen Playlisten oder Vorschlägen vorkommen. Oft läuft die Musik den ganzen Tag nebenbei, auch wenn gar keiner zuhört. Manch einer bekommt also auch Geld ohne dass sein Song gehört wird.

Welche Rolle spielen Konzerte und Festivals heutzutage für Künstler?

Die Gewichtung ist eine andere geworden. Früher haben Bands für ihre Touren draufgezahlt, um die Album-Verkäufe anzukurbeln. Heute bekommen viele die Produktionskosten ihrer Platten kaum noch gedeckt, brauchen aber neue Outputs um auf Tournee gehen zu können. Berichtet uns Gunnar.

Die Rolle von Konzerten und Festivals war schon immer wichtig, betonen Julian Baader und Pascal Weick von Shrimpfield. Aber durch die vergleichsweise geringe Vergütung durch Streaming und rückläufigen Albenverkäufen, müssen durch Gagen und/oder Merch-Verkäufe eben noch mehr Einkünfte reinkommen, um sich als Künstler über Wasser zu halten. Geht man tiefer in musikalische Nischen oder Subgenres, wird das natürlich nochmal wichtiger. Zudem sind Live-Auftritte gerade bei Bands abseits vom Mainstream nochmal ein großer Promo-Faktor.

Und wie stehst DU zum Thema Traumberuf Musiker in Zeiten von Musikstreaming?

Nutzt du Online Plattformen und willst als Künstler mit Musik Geld verdienen? Bist Du der Meinung, Playlists beeinflussen deinen Musikgeschmack? Schreib deine Meinung unten auf dieser Seite oder bei Facebook in die Kommentarbox.

Vielen Dank an Gunnar Schröder, Julian Baader und Pascal Weick und Michael Heer für die Beiträge und Unterstützung!

Fotos: Rawpixel 795652 unsplash / Dan Gold 684163 auf unsplash

QuelleARTIKEL VON MARCUS LIPRECHT

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