Die Festivalsaison neigt sich, zum Bedauern vieler Musikfreunde, langsam aber sicher dem Ende zu – und was für eine Saison es wieder einmal war! Leider haben sich die Ticketpreise bei den meisten Veranstaltungen wieder im oberen Preissegment angesiedelt, aber die musikalischen Acts waren dafür großartig. In diesem Jahr haben die Konzertveranstalter besonders schwere Geschütze ausgefahren. Man denke nur an das 30-jährige Jubiläum des Wacken Festivals mit hochkarätigen Geburtstagsgästen wie Slayer, Parkway Drive und Sabaton.

Bei Rock am Ring und Rock im Park haben Slipknot und Tool nach über einem Jahrzehnt Bühnen-Abstinenz das Publikum zum Staunen, Schaudern und Headbangen gebracht und beim Open Flair Festival haben Bullet for My Valentine den Massen so richtig eingeheizt. Noch immer werden dem ein oder anderen nur bei dem Gedanken an die ekstatischen Festival-Höhepunkte die Haare zu Berge stehen. Doch warum wird der Puls plötzlich schneller und die Hände feucht, wenn man sich an seinen Lieblingsgig zurückerinnert? Und wieso freut man sich auf die kommende Saison mindestens genauso sehr wie auf Weihnachten? Die Antwort lautet Adrenalin und lässt sich wissenschaftlich genau erläutern.

Die Hormone spielen verrückt

Wer seine Idole aus nächster Nähe erlebt, die laute Musik, das Feuerwerksgeballer und die Jubelschreie der anderen Fans in den Ohren, und sich der Atmosphäre voll hingibt, schüttet Adrenalin aus. Das Hormon gehört zur Gruppe der Katecholamine und wird von Symptomen wie einem steigenden Blutdruck und schnellerem Atem begleitet. Oft ist man schon vor einem Konzert angespannt, nervös oder aufgekratzt – und nein, das liegt nicht nur am steigenden Alkoholpegel, sondern eben an den chemischen Prozessen, die im Körper stattfinden. Dass man sich selbst nach einem Gig vollkommen beflügelt fühlt und am liebsten zur nächsten Band springen möchte, liegt daran, dass Adrenalin nach dem Actionkick durch Cortisol ersetzt wird.

Cortisol ist ein Stresshormon, das den Körper in einen Zustand erhöhter Wachsamkeit versetzt. Obwohl man bei Festivals oft extremen Situationen wie dem „Tanz“ im Moshpit, dem generellen Gerangel in der Menschenmenge oder schlechten Wetterbedingungen ausgesetzt ist, stellt sich der Körper durch den Adrenalinschub darauf ein. Das Adrenalin fungiert demnach als Warnsystem und sendet entsprechende Signale aus. So lässt sich dann auch der ein oder andere blaue Fleck verschmerzen.

Parkway Drive und Slipknot sorgen für ultimativen Kick

Die Tatsache, dass sich Freunde guter Musik von einem Adrenalinkick zum nächsten hangeln wollen, verwundert bei den bizarren und denkwürdigen Höhepunkten der letzten Festivalsaison kaum. Hier nochmal die skurrilsten im Überblick. Zum 30-jährigen Geburtstag des wohl bekanntesten Heavy-Metal-Festivals Deutschlands haben sich die fünf Rocker von Powerwolf etwas ganz besonderes ausgedacht. Feuer war das zentrale Element ihrer Bühnenshow, die in der Heiligsprechung des Traditionsfestivals gipfelte. Mit zwei Pfarrern im Schlepptau predigte Sänger Attila Dorn mit erhobenem Kelch zu dem knienden Publikum und schloss die Prozedur mit dem Song „We Drink Your Blood“ ab.

Die australische Metalcore-Band Parkway Drive legten auch auf dem Wacken eine unvergessliche Performance hin. Zum Auftakt ließen sie sich von maskierten Fackelträgern durch die Menschenmenge führen. Absolutes Highlight bei Rock am Ring war die abgedrehte Show von Slipknot, auf die sich Fans 12 lange Jahre gedulden mussten. Das Warten hat sich wirklich gelohnt! Die Band um Frontmann Corey Taylor sorgte laut Rolling Stone mit LED-Leuchtwänden, Massen an Pyrotechnik und einem Laufband für Asylum Walks für den ultimativen Adrenalinkick, der dem Publikum noch eine ganze Weile in den Gliedern stecken wird. Etwas punkiger, aber nicht weniger spektakulär, ging es auf dem Highfield Festival zu. Feuerwerk scheint die neue Standardausrüstung gelungener Live-Performances zu sein. Die Jungs von Feine Sahne Fischfilet zogen pyrotechnisch mit und lieferten eine der energetischsten Shows des Wochenendes ab. Die riesigen Moshpits waren der beste Beweis dafür.

Corey Taylor vom Adrenalin getrieben

Doch nicht nur spektakuläre Festivals lassen das Blut in Wallung geraten. Adrenalin wird durch viele verschiedene Ereignisse in die Adern gepumpt. Dass eine wilde Achterbahnfahrt oder ein waghalsiger Fallschirmsprung großes Potential für einen Actionkick bieten, ist vielen bewusst, aber selbst ein gutes Buch oder ein spannender Film kann den gleichen Effekt auslösen. Dabei muss es nicht mal spannend im klassischen Sinne mit tickenden Bomben und gewaltigen Explosionen sein. Besonders bei Metal- und Rock-Fans steigt der Puls auch bei dramatischen Musikszenen.

Das amerikanische Drama „The Dirt: Sie wollten Sex, Drugs & Rock’n’Roll“, der von dem Streaming-Dienst Netflix ins Repertoire aufgenommen wurde, erzählt vom Aufstieg und Fall der Kultband Mötley Crüe. Gerade die exzessiven Live-Auftritte lassen jedes Rocker-Herz höher schlagen. Auch in der virtuellen Spielewelt kann der Adrenalinpegel richtig hochgeschraubt werden. Das Slotgame „Immortal Romance“ weckt Erinnerungen an die blutrünstigen Auftritte extrovertierter Metal-Bands. Wer nach dem Slipknot-Spektakel im Sommer immer noch nicht genug von den Horrorschockern hat, sollte sich Corey Taylors Bücher zu Gemüte führen. „Die sieben Todsünden – Mein Leben mit Slipknot und Stone Sour“ ist unterhaltsam und zugleich nichts für schwache Nerven und damit die optimale Post-Festival-Lektüre.

Das Gefühl, sich komplett gehen lassen zu können, während das Herz rast und sich der Atem überschlägt, ist wohl eines der schönsten auf einem Festival. Adrenalin hilft dabei, den Körper auf den Ausnahmezustand vorzubereiten und ihn in Alarmbereitschaft zu versetzen. Cortisol erledigt den Rest und hält Konzertgänger wach. Das Phänomen lässt sich allerdings nicht nur bei Musikevents beobachten, sondern kann auch durch spannende Bücher, Filme oder Spiele ausgelöst werden.

Titelfoto: Tilo Klein / With Full Force Festival 2017 im Auftrag für Pressure Magazine