In einer Welt, in der Punkrock normalerweise mit verzerrten Gitarren und schweißtreibenden Konzerten in Verbindung gebracht wird, wagt Uli Sailor etwas völlig Ungewöhnliches: Er interpretiert Punkrock-Klassiker neu – am Klavier und Cello.

Nachdem er über 30 Jahre in Bands wie TERRORGRUPPE und TUSQ spielte, entschied sich Uli, einen neuen Weg zu beschreiten. Die Pandemie bot ihm die Möglichkeit, endlich Solo-Konzerte zu spielen und die organisatorischen Hürden einer Band hinter sich zu lassen. Seine Neuinterpretationen, die auf seiner Platte „Punkrock Piano“ zu hören sind, bewahren die rohe Energie der Originale und verleihen den Songs eine völlig neue, aber dennoch respektvolle Dimension. Im folgenden Interview spricht Uli über seine Motivation, die Herausforderungen und Freuden seines Solo-Projekts und die Bedeutung, die diese Songs für ihn persönlich haben. Tauchen Sie ein in die inspirierende Geschichte eines Musikers, der zeigt, dass Punkrock auch ohne E-Gitarre eine mitreißende Kraft besitzt.

Welches Motiv hattest du, als du dir vorgenommen hast, Punkrocksongs mit dem Klavier und Cello neu zu interpretieren?

Uli: Ich habe über 30 Jahre in Punk-/Hardcore und Indie-Rock Bands gespielt und bereits vor der Pandemie hatte ich den Wunsch, mal allein Konzerte zu spielen. Eine Band ist enormer Aufwand, du musst super viel organisieren, ohne dass man damit besonders viel Geld verdient und das macht es über einen langen Zeitraum gesehen sehr anstrengend. Wenn man alleine unterwegs ist, ist das deutlich einfacher. Man muss sich nicht mit so vielen Menschen auf Termine einigen, kann mit dem Zug reisen und muss die wenige Gage nicht für Bus, Sprit, Techniker etc. ausgeben. Meine erste Idee war, dass ich das so „Chuck Ragan“-mäßig angehe, aber leider spiele ich dafür nicht gut genug Gitarre. Klavier spiele ich hingegen schon seit meiner Kindheit und das recht passabel. Bei TERRORGRUPPE und TUSQ habe ich auch immer schon am Klavier Songs geschrieben, sodass es nahe lag, es einfach mal mit dem Piano zu versuchen. Bis man allerdings genug eigene Songs zusammen hat, um damit ein ganzes Konzert zu spielen, beschloss ich, Songs aus meiner Jugend zu covern. Mit zehn Coversongs (=alles Hits!) als Grundstock kann man sich ja schonmal ne halbe Stunde auf die Bühne trauen. Diese 10 Songs nahm ich dann auch im Studio auf und hab sie auf Platte rausgebracht („Punkrock Piano“). Für Außenstehende hat das eventuell den Eindruck erweckt, dass das mein Corona-Projekt war, wo ja so viele Künstler Cover-Platten aufgenommen haben. Aber auf mich trifft das nicht zu, für mich war das der Startpunkt für mein Solo-Projekt, das Punkrock Piano. Alle Songs sind eng mit meiner Biografie verknüpft, haben eine zentrale Bedeutung für mich und sind weiterhin ein zentraler Bestandteil meines Live-Sets.

Ich selbst hatte vor dem Anhören der Neuinterpretation von Millencolins Bullion ein bisschen Angst, dass einige subjektiv-geschönte Erinnerungen der Jugendzeit verwischt oder zumindest relativiert werden könnten.  Besteht deiner Meinung eigentlich Gefahr, dass durch deine Neuinterpretation die ursprüngliche Bedeutung, die der Song für dich oder für jemanden anders einmal hatte, verloren gehen könnte?

Uli: Mir war es wichtig die ursprüngliche Energie der Songs zu erhalten. Wenn man im Internet nach Punk-Cover am Klavier sucht, findet man eigentlich nur Balladen. Und die sind nach 30 Sekunden langweilig. Ich wusste sofort, ich muss diese Songs mit der gleichen Power spielen wie die Originale. Auf Konzerten ist es total interessant in die Gesichter des Publikums zu schauen und darin die Emotionen zu erleben, wenn sie Songs wiedererkennen. Bis jetzt kam noch keiner auf mich zu und hat sich beschwert, dass ich den Song dadurch verfälscht hätte. Ein weiterer positiver Nebeneffekt meiner Cover-EPs war, dass ich eine klare Vorstellung davon bekommen habe, wie meine eigenen Songs klingen sollen, dass ich einfach ein Punkrock Album am Klavier schreiben will. Umgekehrt fühlt es sich auch manchmal schon so an, als hätte ich die Cover-Songs zu meinen eigenen Songs gemacht. „Linoleum“ hätte ich schon gern selbst geschrieben…(lacht)

War es auch schon immer ein Wunsch von dir, eigene Songs zu schreiben oder fällt dir das eher schwer?

In den Bands, in denen ich bis jetzt gespielt habe, hat man die Songs im Kollektiv geschrieben, sich für Musik und Texte zusammengesetzt und Ideen ausgebrütet. Jetzt bin ich allein, was manchmal für den kreativen Prozess schwieriger ist und man manchmal zu sehr im eigenen Saft kocht. Daher tue ich mich hier und da mit Kumpels zusammen, die mir beim Schreiben helfen. Ich brauche dieses Feedback, um einen Song außergewöhnlich zu machen. Aber um deine Frage zu beantworten, eigene Songs zu schreiben stand und steht immer im Zentrum meines musikalischen Schaffens. Ein reines Cover-Projekt ist für mich uninteressant.

Das heißt, du wirst erst einmal weiter solo mit dem Klavier unterwegs sein und vorerst keine Gastmusiker mit auf deine Konzerte nehmen.

Uli: Nein, das habe ich nicht vor, außer hier und da mal meinen Cellisten Micha, der auch auf den Aufnahmen zu hören ist. Ich vermisse keine Band, auch wenn es manchmal ein bisschen einsam ist, wenn ich alleine mit meinem Keyboard am Gleis auf den Zug warte, der mich zum nächsten Konzert bringt. Der große Vorteil ist, dass ich nur mir selbst, meiner Familie und meinem Terminkalender verpflichtet bin. Und das ist eine schöne Form von Freiheit, die ich in meinem Alter und nach 30 Jahren Bandkarriere zu schätzen weiß.

Fühlst du dich eigentlich als Pionier mit dem was du tust?

Uli: Pionier ist vielleicht etwas hochgegriffen, es gab ja immer schon Musiker*innen, die Songs am Klavier gespielt und dazu gesungen haben. Aber für die Punkrock-Szene ist es schon ungewöhnlich was ich mache, da viele Menschen mit Punkrock standardmäßig die E-Gitarre, Pogo und Co. verbinden und sich überhaupt nicht vorstellen können, dass es möglich ist, dieses Musikgenre mit dem Klavier musikalisch zu begleiten. Das merke ich immer nach meinen Konzerten, das Feedback ist sehr positiv und ich erhalte regelmäßig neue Konzertanfragen.

Was sind deine Pläne für die nächste Zeit, woran arbeitest du gerade?

Uli: Ich habe zwei EPs mit jeweils fünf Coversongs veröffentlicht und diese zu einer LP („Punkrock Piano“) zusammengefasst. Meine erste EP „Für immer jung“ mit eigenen Songs ist im März 24 erschienen. Mein Plan war ursprünglich eine zweite EP nachzulegen und im Anschluss EP 1 und EP 2 zu einem Album zusammenzufassen, allerdings riet mir ein befreundeter Promoter davon ab. Er sagte, ich solle mich lieber direkt an ein ganzes Album setzen als an eine zweite EP, da ein Album sofort mehr Aufmerksamkeit erzeugen wird. Das leuchtet mir ein, zumal der Aufwand für meine erste eigene EP so hoch war, dass ich dachte: „Nee komm, dann setz ich mic direkt ans Debütalbum!“ Deshalb schreibe ich gerade fleissig neue Songs, will mir aber auch ein bisschen Zeit lassen, damits richtig gut wird.

Uli Sailor: Punkrock neu interpretiert – Mit Klavier und Cello zu neuen musikalischen Ufern. Foto: Daniel Koka
Uli Sailor: Punkrock neu interpretiert – Mit Klavier und Cello zu neuen musikalischen Ufern. Foto: Daniel Koka

Du bist beruflich als Video-Producer und in deiner Freizeit als Musiker quasi 24/7 kreativ unterwegs. Fällt es dir schwer, beim Schreiben neuer Songs diese Kreativität fortzuführen?

Uli: Es gibt Tage, da fällt mir das Schreiben sehr schwer und ich laufe ein bißchen davor weg. Songs schreiben ist eben auch Arbeit, man muss sich selber disziplinieren und jeden Tag hinsetzen und ein paar Zeilen schreiben. Klar, manchmal kommen die Ideen auch wie von selbst, z.B. beim Duschen oder in der Kneipe. Aber man muss sich danach trotzdem hinsetzen, finetunen und feilen. Das Geheimnis ist die Regelmäßigkeit, und auch wenn du von 10 Sätzen 9,5 direkt wieder wegschmeißen kannst. Wenn ein halber Satz passt und du diesen Prozess täglich machst, bleiben nach 30 Tagen etwa 15 Sätze übrig, die sich zu einem Songtext vereinen. Ich hab mal ein Interview mit Pharrel Williams gesehen, in dem er gesagt hat, dass wenn man zweifelt, ob man etwas schreiben oder kreiiren soll, dass man sich immer dafür entscheiden soll. Der richtige Tag für das Schreiben ist jeder Tag, egal ob du Bock hast oder nicht. Man muss es einfach machen. Theoretisch ist mir das alles klar, das in die Praxis umzusetzen ist natürlich schwieriger. Aber es wird dann spannend, wenn man auf einmal im Studio sitzt und ne Idee braucht, und dann auf so einen Haufen an Material zurückgreifen kann. Das ist superwertvoll und wichtig.

Welche Zutaten muss für dich ein richtig guter Song haben?

Uli: Ein guter Song spendet Trost und Freude, lässt dich für diese Zeit den Alltag und deine Sorgen vergessen. Idealerweise verbinden sie auch eine scheinbare Leichtigkeit mit der Ernsthaftigkeit des Lebens, vermitteln das Gefühl, auch wenn es gerade schwierig ist, dass das Leben vielleicht doch nicht ganz so Scheisse ist. Wenn es mir mit einem gewissen Augenzwinkern gelingt, die Menschen zu berühren und ihnen Mut zu machen, dann hab ich einen guten Song geschrieben.


Hast du diesbezüglich musikalische Vorbilder, die genau solche Songs spielen?

Uli: Ich orientiere mich an Bands und Künstlern, die es schaffen, sich nicht ganz zu ernst zu nehmen. Ich finde es wichtig, dass man nicht die Bodenhaftung verliert, sondern authentisch und nahbar bleibt. Ich finde, man erfährt ganz viel über den Charakter einer Band, wenn man beobachtet, wie sie- trotz Erfolges- mit ihrer Crew, den Fans etc. umgeht. Die Beatsteaks, die ich auch beruflich als Video-Producer ein paar Jahre begleitet habe, beeindrucken mich zum Beispiel immer mit ihrer Band-Philosophie.

Die Berliner Band macht gerade von sich reden, da sie Konzerte in der ostdeutschen Provinz geben, gegen den grassierenden Rechtsruck.

Uli: Genau, das finde ich ein absolut wichtiges Zeichen. Gerade die Menschen in den kleinen Städten, die sich für linke Ideen, Vielfalt und Solidarität einsetzen brauchen jetzt gerade unsere Unterstützung, da sie dort massiven Bedrohungen von Seiten der rechten Szene ausgesetzt sind. Daher finde ich das eine super Idee von den Beatsteaks, dass sie diese Konzerte gespielt haben und weiter spielen. 

Das Interview führte Sven im Juli 2024 für Pressure-Magazine.de

Mehr erfahren auf: https://punkrockpiano.com

Foto Copyright: Daniel Koka

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