Auch wenn die Schnittmengen zwischen den brachialen Altpunks von Slime, welche über linke Spießer herziehen und dem linksintellektuellen Liedermacher Konstantin Wecker auf den ersten Blick gering erscheinen mögen, so verbindet sie dennoch eine tiefe Verehrung zum Pazifisten und Anarchisten Erich Mühsam.
Slime vertonte 2012 ein komplettes Album „Sich fügen heißt lügen“ seiner Gedichte und auch Wecker trägt auf seinem neuen Album „Lieder meines Lebens“ ein Mühsam-Gedicht vor. Doch ganz anders als Mühsams politischen Werke ist das Gedicht „Die Seele des Kindes“ geprägt durch nachdenkliche und nachklingende Worte, die die Verletzlichkeit der menschlichen Seele, gerade in jungen Jahren, schildern. Demnach sei es nach Mühsam das schlimmste Vergehen, wozu ein Mensch in der Lage wäre, sich an der Seele des Kindes zu vergreifen. Und es gibt wahrlich genügend aktuelle Beispiele, wie Kinderseelen zerstört werden, indem man sie beispielsweise in Kriegsgebieten als Soldaten missbraucht. Das Übel hat nach Mühsams (und Weckers) Überzeugung seinen Ursprung im ewig gleichen Machtbestreben der Herrschenden, die geschickt Menschen für „Volk, Nation und Vaterland“ manipulieren.
Es erscheint demnach beinahe logisch, dass Wecker sich ganz bewusst dafür entschieden hat, Mühsams Gedicht im Anschluss an sein Lied „Den Parolen keine Chance“ vorzutragen. In diesem spürt man die Wut, die Wecker dem um sich greifenden Hass und den Vorurteilen seiner Umwelt entgegensetzt: „Wenn sie (die Parolen, Anmerk. d.A.) jetzt den Menschenfängern / wieder aus den Mäulern sprudeln / lasst sie ungehört verdorren / lasst euch nicht dadurch besudeln.“ Sehr geschickt ist, dass der Refrain ein melodisches Abbild von Beethovens „Ode an die Freude“ ist und auch textliche Parallelen zum Vorbild aufweist: „Nein ich hör nicht auf zu träumen / von der herrschaftsfreien Welt / wo der Menschen Miteinander / unser Sein zusammenhält. // Lasst uns jetzt zusammen stehen / es bleibt nicht mehr so viel Zeit, / lasst uns lieben und besiegen / wir den Hass durch Zärtlichkeit.“
Nach Mühsams zerbrechlichen Versen trägt Wecker zwei Liebeserklärungen an seine Kinder musikalisch vor. Im Lied „An meine Kinder“ beschreibt Wecker seine Rolle als antiautoritärer Vater, der seine Kinder nie „erziehen“ wollte. Stattdessen gab er ihnen seine bedingungslose Liebe sowie den Mut, im Leben träumen und auch scheitern zu dürfen. Ein weiteres Anliegen ist der Herzenswunsch des Liedermachers, dass seine Kinder niemals eine Uniform tragen werden.
Neben Mühsam beeinflusste auch der Anarchist Ernst Toller Wecker durch seine pazifistischen Werke. In einer Audio-Zuspielung erzählt Toller im Originalton von einer Situation, die er als Soldat im Schützengraben des Ersten Weltkriegs erlebt hat und ihn zum radikalen Kriegsgegner und Gegner von Willkür und Herrschaft machte. Tollers Worte versetzen den Hörer dabei erschreckend schnell in die vor über 100 Jahre hart umkämpften Schützengräben und die mörderischen Materialschlachten des Ersten Weltkriegs. Ein ohnmächtiges Schaudern macht sich breit, das durch folgende, von Hannes Wader ursprünglich geschriebene, Lied „Es ist an der Zeit“ noch verstärkt wird: „ Soldat, gingst du gläubig und gern in den Tod? / Oder hast du, verzweifelt, verbittert, verroht / Deinen wirklichen Feind nicht erkannt bis zum Schluß? / Ich hoffe es traf dich ein sauberer Schuß.“
Am Ende des Songs weicht die Ohnmacht der Wut und dem Aufruf zum zivilen Ungehorsam: „ Dann kann es geschehen / , daß bald niemand mehr lebt / Niemand, der die Milliarden von Toten begräbt / Doch längst finden sich mehr und mehr Menschen bereit / Diesen Krieg zu verhindern, es ist an der Zeit.
Der Song „Schäme dich Europa“ rechnet mit der Politik der EU bzw. ihrer Mitgliedsstaaten ab, die für ihre wirtschaftlichen Interessen ihre Werte der Solidarität und Nächstenliebe vernachlässigen, indem sie ihre Grenzen dichtmachen und Bündnisse mit autokratischen Staaten schließen.
Doch Wecker resigniert nicht, denn er fordert seine Zuhörer in „Wir werden weiter träumen“ auf, für ihren Traum einer herrschaftsfreien Welt einzustehen. Dies erscheint, angesichts der jüngsten Ereignisse und der Ausweitung der kriegerischen Auseinandersetzungen als Fortführungen einer fehlgeleiteten Politik mit „anderen Mitteln“ als notwendiges Kontrastprogramm. Was wäre, wenn mehr Menschen „Mit dem Herzen denken“ würden?
Wecker richtet sich auch im gleichnamigen Text an die so genannten „kleinen Leute“ und geht behutsam auf ihre Ängste und Vorbehalte ein und appelliert in sanftem Ton an ihr Gespür für ihre Mitmenschlichkeit gegenüber den Schwachen in unserer Gesellschaft.
Fazit: Kaum ein anderer deutscher Musiker hat in den letzten fünf Jahrzehnten den politischen Diskurs so aktiv begleitet und kritisiert wie der Liedermacher Konstantin Wecker. Der sich selbst erklärte spirituelle Anarchist mahnt und warnt auch auf seinem neuesten Album „Lieder meines Lebens“ vor falschen Propheten und scheinheiligen Heilsbringern. Man soll- nein man muss- seiner Meinung nach zu diesen Personen und weiteren Ungerechtigkeiten immer wieder „Nein“ sagen und friedlich aufbegehren.
Ja, diese Art des Lebens nervt einen manchmal selbst und die natürlich seine Umwelt, zudem ist sie dermaßen unbequem, wo wir es uns doch alle so gerne gemütlich machen. Nur lädt letzterer Lebensstil niemals zum Träumen für eine bessere Welt und für Utopien ein, sondern verharrt in alten Mustern, im Bewahren des Status Quo, auch wenn er noch so viele Ungerechtigkeiten produziert.
Ein echtes Dilemma, für das jeder seinen eigenen Weg finden sollte…
Euer Sveni
Über Svenis Kolumne
Hallo, ich bin Sveni – der Redakteur, der in Erinnerungen an die gute alte Zeit schwelgt und sich für alles begeistern kann, was mit Rockmusik aus den 90er Jahren zu tun hat. Als Teil des Teams beim Pressure Musikmagazin schreibe ich gerne lustige und interessante Berichte zu unkonventionellen Themen.
Ob es darum geht, die besten Gitarrenriffs der 90er Jahre und von heute zu ranken oder darüber zu diskutieren, wer der schlimmste Frisuren-Träger in der Musikszene war – ich habe immer eine Meinung dazu. Mein Ziel ist es, dich zum Schmunzeln und Nachdenken zu bringen.
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