Neue Stimmen im Altbekannten – „The Pill“ setzt auf provokative Nostalgie
Die Musikszene wird regelmäßig von Newcomern durchgeschüttelt, die frischen Wind in altbekannte Genres bringen. Eine dieser Bands, die aktuell Wellen schlagen, ist „The Pill„. Doch so neu, wie der Name vermuten lässt, ist das Line-Up der Band gar nicht.
Hinter „The Pill“ stehen erfahrene Musiker: Schlagzeuger Sascha, Bassist Jan, die Gitarristen Philipp und Tobias – alle haben bereits in den 90er und frühen 00er Jahren mit Bands wie „Coach“ und den „Monochords“ in der Hardcore-, Mod- und Punk-Szene auf sich aufmerksam gemacht. Nun haben sie eine neue charismatische Frontfrau: Sam, eine Rockröhre im Stile von „The Headlines“, kombiniert mit einem Hauch von Tim Burton. Die Debüt-EP „Hollywood Smile“ ist im April 2024 erschienen.
Mia und Marcus vom Pressure Magazine haben sich mit „The Pill“ auf dem Save The Core Festival getroffen, um über ihre Entstehung, den kreativen Prozess und die Herausforderungen als Frau in der Musikszene zu sprechen.
Pressure Magazine: Sam, du bist wohlmöglich die Jüngste in der Band. Wie kam es dazu, dass du mit den Jungs zusammenarbeitest?
Sam: Ja, das stimmt. Viele denken, ich bin jünger, aber der Altersunterschied ist wirklich nicht so krass – ich bin siebenundzwanzig. Wenn man sich daten würde oder so, wäre das auch kein großes Thema. Ähnlich sehe ich das in der Band. Aber wie ich zu den Jungs gekommen bin? Das ist eine lustige Geschichte. Wir haben uns aus Verzweiflung auf einer Musiker-Datingplattform angemeldet, wo es darum geht, Gleichgesinnte für gemeinsame Musikprojekte zu finden.
Pressure Magazine: Wirklich? Eine Musiker-Datingplattform?
Jan: Ja, es klingt komisch, aber es ist wahr. Wir kannten uns alle schon seit den 90ern und hatten immer wieder Musik gemacht. Aber uns fehlte der richtige Sänger oder die richtige Sängerin. Wir wollten etwas Neues, das in die heutige Zeit passt. Kurz bevor wir aufgeben wollten, haben wir uns auf dieser Plattform angemeldet und Sam gefunden. Sie kam zu uns in den Proberaum und nach fünf Minuten war klar, dass sie perfekt zu uns passt.
Sam: Genau, ich war unzufrieden mit meinem Leben, hatte einen Office-Job und wollte etwas ändern. In einer dieser Nächte, in denen man um drei Uhr morgens beschließt, sein Leben umzudrehen, habe ich mich dort angemeldet. Ich habe „Black Flag“ als Hashtag verwendet und die Jungs waren die einzigen, die gepasst haben.
Pressure Magazine: Ihr habt euch also sofort musikalisch verstanden?
Sam: Ja, ich schreibe leidenschaftlich gerne Texte. Als wir uns trafen, hatte ich bereits auf eines ihrer Instrumentals einen Text geschrieben. Nach fünf Minuten hatten wir unseren ersten Song.
Jan: Die Songs, die wir hatten, waren eher Layouts, Teile, die wir cool fanden. Sam hat ihnen mit ihren Texten Leben eingehaucht. Es entstanden schnell viele neue Songs, die von ihrer persönlichen Perspektive und Kreativität geprägt waren.
Philipp: Früher hatten wir oft Probleme mit Sängern, die zwar gut auf der Bühne waren, aber textlich nichts zu sagen hatten. Sam hat das komplett geändert. Sie bringt nicht nur starke Texte, sondern auch eine neue Energie in die Band. Wir mussten als Musiker unsere Denkweise anpassen und die Texte in den Mittelpunkt stellen. Ihre Texte sind uns wichtig und sie bringt viel Gefühl und Ehrlichkeit hinein.
Pressure Magazine: Sam, hast du bestimmte Themen, die du in deinen Texten bevorzugst?
Sam: Es ist ganz unterschiedlich. Oft sind es persönliche Themen, aber ich bin auch ein großer Tagträumer und liebe alles Fantastische. Manchmal schreibe ich aus der Perspektive anderer oder thematisiere gesellschaftliche Probleme. Ich zeige, dass die Welt oft schwierig ist, und hoffe, dass wir alle gemeinsam etwas verbessern können.
Pressure Magazine: Gibt es schon Pläne für das nächste Album?
Sam: Wir haben bereits fünf, sechs Songs für das neue Album, aber wir lassen uns Zeit. No Pressure. Die Texte werden noch persönlicher als zuvor.
Pressure Magazine: Dein Make-up und dein Stil sind ziemlich einzigartig. Woher kommt die Inspiration?
Sam: Ich liebe Tim Burtons „Corpse Bride“. Ich mag es, schön auszusehen, habe aber meinen eigenen Beauty-Standard. Das ist mein normales Outfit, so sehe ich auch im Alltag aus. Ich mache das nicht, um jemandem zu gefallen, sondern weil ich mich so wohl fühle.
Pressure Magazine: Wie ist es, als Frau in der Punk- und Hardcore-Szene aufzutreten? Kriegst du oft blöde Sprüche ab?
Sam: Ich habe bisher überwiegend positive Erfahrungen gemacht. Natürlich gibt es ab und zu dumme Kommentare, aber das liegt weniger daran, dass ich eine Frau bin, sondern mehr an den Leuten selbst. Wir spielen meist an Orten, wo das Publikum offen und unterstützend ist.
Jan: Das ist etwas, was mir als Mann vorher nie bewusst war. Mit Sam in der Band sehe ich die Dinge aus einer anderen Perspektive. Eine Sache, die mir aufgefallen ist, ist, dass viele Tontechniker Sam erklären wollen, wie sie ein Mikrofon hält.
Philipp: Es ist wirklich schockierend, wie tief verwurzelt diese Vorurteile sind. Wir mussten lernen, das zu sehen und uns damit auseinanderzusetzen. Es hat uns als Band reflektierter und stärker gemacht.
Pressure Magazine: Ihr habt eine limitierte Version eures Albums mit einer Actionfigur, „The Doll“, herausgebracht. Wie kam es dazu?
Sam: Ich mache viel Kunst und habe eine Vorliebe für besondere Details. Ich sammle diese geheimnisvollen Figuren und habe viele davon auf Flohmärkten gekauft. Sie ist ein kleines Kunstwerk und basiert auf der Idee von Waffen, die als harmlose Gegenstände getarnt sind, wie eine Barbiepuppe mit einem Messer im Körper. Unser Labelboss Gregor hatte die Idee mit der Puppe und natürlich ist auch hier ein verstecktes Gimmick eingebaut, was wir hier jedoch nicht verraten wollen. Vorwarnung: Es ist keine echte Waffe enthalten!
Jan: Ursprünglich wollten wir die Knastwaffen nachbauen *lacht* Aber ja, wir haben eine Puppe als Gimmick kreiert, nur leider kam zum selben Zeitpunkt auch der neue Barbie-Film raus und Gedanke ist ein wenig entglitten. Es zeigt nur, wie flexibel und kreativ wir als Band sind.
Pressure Magazine: Vielen Dank für das Gespräch. Wir freuen uns darauf, mehr von euch zu hören!
„The Pill“ verbindet alte Erfahrungen mit frischen Ideen und schafft so eine einzigartige musikalische Chemie. Sie bringen nicht nur neue Musik, sondern auch provokante und tiefgründige Themen auf die Bühne. Wir sind gespannt, was als Nächstes kommt!
Interview von Mia Lada-Klein und Marcus Liprecht für Pressure Magazine am 6.7.2024
Bandcamp: https://thepill.bandcamp.com/
Instagram: https://www.instagram.com/thepill/