Ein bisschen irre und schön – so, wie das Leben selbst! Wenn der Name Götz Widmann fällt, dann weht uns sofort der Duft von Freiheit und etwas Rock’n’Roll um die Nase.
Unser Pressure-Redakteur Sven hat sich mit dem ‚Antihelden der Legalisierung‘ hingesetzt, um über das brandneue Album „Blütenduft“ zu sprechen. Die Themen? Alles von Cannabis-Clubs, das kleine bisschen Wahnsinn des Alltags, bis hin zum ‚Trinkerdisneyland‘. Denn Götz hat über die Jahre eines bewiesen: Die Kampfzone seiner Wahl ist die des Alltags, die Liebe sein Antrieb und der Rausch… nun ja, der ist eigentlich das Sahnehäubchen. Also, setzt euch hin, nehmt euch ein Getränk und genießt die Einblicke in ein musikalisches Leben zwischen Eskapismus und Einsichten.
Du hast dich jahrelang für die Legalisierung von Cannabis in Deutschland stark gemacht und wurdest von vielen Menschen als Spinner oder Träumer bezeichnet. Wie fühlt sich jetzt mit der „Beinahelegalisiserung“ das Erwachen an?
Götz Widmann: Wie singt John Lennon so schön: „You may say I’m a dreamer, but I’m not the only one“. Dass es da jetzt doch eine spürbare Liberalisierung gab ist einfach ein weiteres Beispiel dafür, warum es so wünschenswert ist in einer Demokratie zu leben. Man kann Realitäten verändern, wenn es einem nur gelingt, Mehrheiten zu verändern. Und das ist uns, bei allen aktuellen Diskussionen, in den letzten Jahrzehnten definitiv gelungen. Und das hat vor allem deswegen geklappt, weil der Kampf um die Legalisierung fast immer ein charmanter, liebenswerter Kampf war, der die Lacher und die Sympathien auf seiner Seite hatte und seinen Gegnern argumentativ permanent überlegen war. Also grundsätzlich große Freude, auch wenn bei den Details des neuen Gesetzes meiner Meinung nach da noch einige Luft nach oben ist
Wo müsste die Politik unbedingt nachbessern?
Götz Widmann: Die Cannabis Social Clubs, wo sich die Menschen ja legal versorgen sollen, sind komplett überreglementiert. Es gab da am Anfang eine Menge Initiative, die erstickt aber zu einem großen Teil unter den unfassbaren bürokratischen Auflagen. Die Investitionen sind enorm, aber Gewinn darf keiner erwirtschaftet werden. Wie soll das auf die Dauer in der Welt, in der wir leben, funktionieren? So wird man den Schwarzmarkt auf keinen Fall trocken legen.
Wünschenswert wäre ein Modell, wo man gute Qualität mit kompetenter Beratung in einem Fachgeschäft kaufen kann. Ich würde es lieben dafür Steuern zu zahlen, wo gibt es sowas sonst? Zur Ehrenrettung der Regierung muss man sagen dass die das ursprünglich vorhatten, es dann aber an einer EU-Vereinbarung, die auch Deutschland unterzeichnet hat, gescheitert ist. Ich bin sonst begeisterter Europäer, in dem Fall war es aber leider suboptimal.
Welche Tipps empfiehlst du Jugendlichen, die dich nach deinen persönlichen Erfahrungen als Jugendlicher im Umgang mit Cannabis fragen? Welche Tipps sollten sie deines Erachtens beim Konsum beachten?
Götz Widmann: Ich hab da so paar Credos, die wahrscheinlich für jedes Alter gelten. Ganz wichtig: Frustrausch ist nie gut, sollte man die Finger von lassen. Der Rausch ist uns für die schönen Momente des Lebens geschenkt worden. Niemand ist stark genug, das 100% durchzuhalten, aber man sollte es möglichst oft vor Augen haben. Und dann finde ich eines noch superwichtig, das hat mir mal mein Kollege Stefan Stoppok erklärt, ich fand das sehr weise: gerade weil der Rausch so etwas Wunderschönes sein kann, sollte man es nie so übertreiben, dass man es dann irgendwann mal ganz bleiben lassen muss. Wenn du jeden Tag breit bist, merkst du es gar nicht mehr, und dabei verliert man etwas ganz Wunderbares.
Gibt es Momente oder konkrete Situationen, an die du dich erinnerst und die du aus heutiger Sicht bereust, sie nicht nüchtern erlebt zu haben?
Götz Widmann: Das hält sich in Grenzen, na klar ist mir auch schon mal ein Suff verrutscht, aber insgesamt kann ich das ganz gut timen. Ich bin der festen Überzeugung, dass ein kontrollierter Umgang mit Rausch das Leben schöner macht, zumindest meins. Ich finde man sieht die Dinge dann aus vielfältigeren Perspektiven, das erweitert den Horizont und hilft einem manchmal, weisere Entscheidungen zu treffen. Ausserdem macht es einfach Spass. Ich muss aber dazu sagen, dass sich das bei mir auf den Konsum von Hanf und Hopfen beschränkt, ich konsumiere nur Substanzen die mir auch schmecken. Tabletten oder Pulver haben mich nie angezogen.
Erlebst du, dass du mit zunehmenden Alter beim Schreiben von guten Songtexten mehr oder weniger „Inspiration in Form von Drogen“ benötigst? Was meinst du, warum das so ist.
Götz Widmann: Das ist heute bei mir noch genauso wie es vor über 30 Jahren war, als wir mit Joint Venture angefangen haben. An meiner Arbeitsweise hat sich nichts geändert. Die besten Texte schreibe ich nach wie vor, wenn alle anderen schlafen und ich endlich in aller Ruhe einen Kühlschrank leer und einen Aschenbecher vollmachen kann. Ich sehe dann so eine leuchtende Fläche und auf der kommen mir Dinge zugeflogen die sonst nicht in mir sind.
Auf deinem neuen Album feierst du wie immer brachial das Leben und die Liebe, die es braucht, damit es lebenswert ist. Ist es eine bewusste Entscheidung deinerseits gewesen, in aufgeregt und aggressiv aufgeladenen Zeiten wie den unseren Stellung zu beziehen?
Götz Widmann: Ich werde immer Stellung für die Liebe und die Lebensfreude beziehen. Nur weil alle anderen verrückt geworden sind, muss ich ja nicht mitmachen. Ich denke, es sind aber auch paar Lieder auf dem Album, die felsenfest in unserer abgefuckten Realität verankert sind, da kommt man leider nicht drumherum. Ich muss ja sagen, je mehr sich diese ganze Putin- und AFD-Desinformation in den Köpfen mancher Menschen festsetzt und ihr Ziel erreicht, unsere demokratischen Begriffe zu entwerten und Streit in unsere Gesellschaft zu tragen, umso mehr macht sich in mir eine gewisse Sehnsucht nach Eskapismus breit. Aber ich habe beschlossen ihr nicht nachzugeben, weil das hieße, diesen furchtbaren Menschen kampflos das Feld zu überlassen. Und wenn wir den Kampf gegen den Hass, die Lügen und den Zynismus gewinnen wollen, brauchen wir unbedingt die Liebe und den Spaß am Leben, das sind unsere allerbesten Waffen.
Findest du in deinen Songs so etwas wie deinen inneren Frieden oder sind sie viel mehr der Weg, diesen zu finden?
Götz Widmann: Gute Frage, das ist so ein interaktiver Prozess. Oft sind es auch Dinge über die ich mich aufrege, die einen Song auslösen. Manche Songs schreibt auch eher die Wut.
Ist „Romi“ im gleichnamigen Song für dich eine solche integre Person, die ihren inneren Frieden gefunden hat?
Götz Widmann: Romi ist ein ganz toller Mensch. Sie zieht ihre Energie daraus, anderen Liebe zu geben. Von solchen Menschen kann man nicht genug in seiner Nähe haben.
Ich finde „Trinkerdisneyland“ eine gelungene Hommage (nicht nur) an deine jugendliche Erinnerungen und spannt gleichzeitig den Bogen in die Gegenwart. Schließt sich deiner Meinung nach der ideale Ring des Lebens in der Kneipe?
Götz Widmann: Ganz so feierlich würde ich es nicht ausdrücken. Aber für alle Menschen, die der Glaubensgemeinschaft der Trinker angehören, ist die Kneipe ein sakraler Ort, an dem sie spirituelle Höhepunkte erleben können. Ich bin der Meinung, wir ehren das nicht genug in unserer Gesellschaft.
Geht es bei „Krankenwagen“ um die unkontrollierte Datenflut und den Folgen für den Einzelnen?
Götz Widmann: Für mich ist das eher ein alberner Song über Leute, die sich von ihren Gadgets terrorisieren lassen. Wie zum Beispiel der Freund, der auf seine Smartwatch schaut und dir dann allen Ernstes erklärt, dass er jetzt geht, weil er heute noch 2734 Schritte laufen muss. Ich bin da natürlich auch absolut nicht unbefleckt, mein Smartphone ist definitiv mein Boss.
Musikalisch und textlich sticht meines Erachtens der einzige Punkrocksong „Großkonzern“ heraus, der gesellschaftskritisch mit Amazon und Co.abrechnet, ohne diese beim Namen zu nennen. Wie bewertest du Kunstschaffende, die alles Mögliche unternehmen, damit Ihre Kunstwerke nicht auf diesen Marktplätzen verkauft werden?
Götz Widmann: Gibt es die? Falls ja habe ich grossen Respekt vor ihrem Idealismus. Wenn man wirklich ein Leben lang von seiner Kunst leben will, bleibt einem allerdings manchmal nichts anderes übrig, als die Dinge so zu akzeptieren wie sie sind. Ich habe von Anfang an versucht, mit meiner Musik einen Indieweg zu gehen, ohne Partner aus dem Big Business, aber gerade mein Indievertrieb würde mir was erzählen, wenn ich jetzt auf die Idee kommen würde, dass er meine Platten nicht mehr über Internetplattformen verkaufen darf. Oder über spotify. Dann gäbe es mich halt da nicht mehr, das wäre eigentlich die einzige Konsequenz.
Mich nerven zum Beispiel auch die teilweise völlig überzogenen Gebühren, die Ticketdienstleister wie eventim oder Ticketmaster auf die Onlinetickets draufschlagen. Die sacken, ohne sich irgendwie am Risiko einer Veranstaltung zu beteiligen, teilweise 20% des Ticketpreises ein. Das lässt sich nur ganz schwer mit meinem Gerechtigkeitsempfinden vereinbaren, aber trotzdem, versuch mal ein Konzert zu verkaufen ohne die. Da kommt dann halt keiner.
Ich wünschte, ich könnte hier jetzt eine heldenhaftere Antwort geben, aber dann gäbe es dieses Interview wahrscheinlich nicht, weil du noch nie von mir gehört hättest.
Und natürlich die Abschlussfrage, welcher Song auf „Blütenduft“ eigentlich dein persönliches Lieblingslied ist?
Götz Widmann: Ich glaube Romi, weil der Matthias Keul da so unfassbar geil Lapsteel spielt.
Das Interview führt Pressure Redakteur Sven
Lest auch das Album Review: Unsere Plattenkritik zu Widmanns „Blütenduft“ gibt es hier.
Mehr erfahren über Götz Widmann auf www.goetzwidmann.de
Fotos in diesem Beitrag von Pauline Strassberger