Peter „Zoni“ Niemann im Verlorene Jungs Interview zum Album „Teufel oder Engel?“ im Jahr 2001. Ursprünglich erschienen im Oi!Vision Online-Musikmagazin.
Peter, Du bist Sänger in der Band „Verlorene Jungs“ – stell dich bitte kurz vor, woher kommst Du, welche Musik hörst Du privat und welche Eindrücke hast Du seit Eurer Bandgründung 1996 gesammelt?
Wie jetzt, nur ich allein oder alle? Also dann fange ich erst mal mit mir an, da kenne ich mich am besten aus: ich bin Peter, Sänger der Band, arbeite in nem Stahlwerk hier in Dinslaken, wo ich seit ca. 10 Jahren lebe. Ursprünglich stamme ich aus Magdeburg, wo ich bis ’89 gelebt habe. Mein Musikgeschmack ist weit gefächert und nicht an irgendwelche Stile gebunden, meine absoluten Faves allerdings sind Punkrock, insbesondere Deutschpunk, Oi und stinknormale Rockmusik im allgemeinen, bevorzugt in deutscher Sprache, weil mein englisch hundsmiserabel ist. Torsten und Stefan (Bass und Gitarre) sind Brüder.
Die haben immer hier in Dinslaken gelebt. Die musikalischen Faves der beiden sind relativ unterschiedlich, Stefan hört viel neueren Punkrock und Oi der alten Schule, bei Torte darfs gern ein bisschen härter sein, der hat auch jede Menge Faves im HC Bereich. Bernd, der Schlagzeuger, lebt schon immer in Düsseldorf und hört viel englischen Punk und Oi der achtziger, aber auch jede Menge neue Sachen. Der ist da relativ offen und steht auch ganz neuen Sachen immer gerne aufgeschlossen gegenüber. Eindrücke haben wir seit 96 in einer solchen Fülle gesammelt, dass sie sich hier unmöglich mit wenigen Worten wiedergeben lassen.
Wie wurde Eure noch relativ junge Band in der Szene aufgenommen und welchen Tipp würdet ihr anderen Nachwuchs Bands im Oi!Punk Bereich mit auf den Weg geben?
Wir hatten es am Anfang sehr leicht. Ich arbeitete zu dieser Zeit noch beim Scumfuck, was uns viele Wege ebnete. Der erste Studiotermin stand schon wenige Monate nach unserer Gründung an – kurz darauf kam schon das Demo – und beim ersten Longplayer waren wir erst knapp über n Jahr zusammen. Die Presse stand uns am Anfang immer sehr wohlwollend gegenüber, wir hatten bis auf sehr wenige Ausnahmen allerbeste Kritiken und auf unseren Konzerten war von Anfang an die Hölle los. Kurzum, wir haben vieles geschenkt bekommen, wofür andere jahrelang kämpfen müssen. Ich weiß auch nicht woran es gelegen hat. Vermutlich war es richtig alles sofort zu realisieren, ohne groß darüber nachzudenken. So haben wir in 5 Jahren 3 Longplayer veröffentlicht.
Aber ich weiß nicht ob dass gute Tipps sind – kann nämlich auch alles heftig nach hinten losgehen. Und das Wohlwollen der Szene kann sich auch sehr schnell ins Gegenteil verkehren, wenn man den falschen Leuten auf die Füße tritt, wie wir es getan haben…
Man kann sicher viele Tipps geben, die einem selber geholfen haben, aber dass muss noch lange nicht auch anderen helfen. Man kann so was unmöglich verallgemeinern, wichtig allein ist, dass man sich selbst verwirklicht, dass man weiß was man will, dass man sich auch vor mächtigen Feinden nicht in die Hose scheißt. Wichtig ist in jedem Fall auch das viel und ordentlich geprobt wird, ohne dass der Spaß dabei auf der Strecke bleibt und das sich die Musiker 100%ig verstehen und miteinander zurechtkommen. Ehrlich zu den Leuten sein ist absolut wichtig – die Hörer merken ganz genau ob du es ehrlich mit ihnen meinst und ob du weißt wovon du redest, oder ihnen nur was vormachen willst. Authentizität ist das A und O, man hört, was echt oder aufgesetzt ist. Und dann Augen zu und durch.
Euer 3. Album „Teufel oder Engel?“ wird am 14.04.01 erscheinen – was hat sich seit Eurer letzten Produktion musikalisch/textlich verändert und welche Erwartungen knüpft Ihr an die CD?
Die Musik ist ausgereifter als auf den Vorgängeralben – und vielfach auch etwas härter geworden. Das gleiche gilt für die Texte. Wir haben uns weiterentwickelt. Jeder für sich und im Ganzen als Band. Ein Longplayer ist bei uns immer eine Art musikalisch/textliches Fazit der letzten gemeinsam erlebten Jahre, ein Schlusspunkt unter die gemeinsamen Erfahrungen und Erlebnisse eines Zeitabschnitts. Das war nie deutlicher als bei der „Engel oder Teufel“ zu spüren, die zum Teil sehr bitter mit den Geschehnissen der letzten Jahren ins Gericht geht. Die Besonderheit dieser CD ist, dass in den Texten viele gemeinsame Erfahrungen und Empfindungen der ganzen Band verarbeitet wurden, wohingegen es auf den früheren Platten vielmehr um persönliche Dinge einzelner ging. Man kann das schwer beschreiben ohne zu langweilen, aber du wirst verstehen was ich meine, wenn du dir etwas Zeit für die neuen Lieder nimmst und uns aufmerksam zuhörst. Erwartungen, weiß nicht.
Jede Platte war bei uns bisher irgendwie eine Art Experiment. Die erste als erste ja sowieso, die zweite als Eigenproduktion ne Herausforderung und mit dieser probieren ein neues Label, BAD DOG/CORE TEX – mit nem fetten Vertrieb (ZOMBA), aus und sind sehr gespannt auf die Zusammenarbeit. Bisher sind wir sehr zufrieden.
Wie entsteht eine Scheibe bei euch? Wer schreibt Texte, wer die Songs? Gibt es unterschiedliche Musikgeschmäcker und wie kann man es jedem recht machen?
Die Geschmäcker klaffen zum Teil sehr weit auseinander – stimmen aber auch in vielen Komponenten überein, dass macht die Sache mitunter nicht ganz einfach, hat aber auch seinen Reiz… In der Regel schreibe ich die Texte lange im Voraus und habe auch meist konkrete musikalische Vorstellungen was die Umsetzung betrifft. Die anderen experimentieren musikalisch herum – und ich versuche den richtigen Text dafür zu finden. Zu den anderen, insbesondere zu Stefan, habe ich da einen besonderen Draht, er versteht sehr genau was ich textlich ausdrücken will und kann das erstklassig musikalisch untermalen, so dass es – fast schon spürbar wird – was ich sagen will. Oder Torsten bringt irgendeinen Basslauf mit – zu dem ich sofort sage der passt genau zu dem und dem Lied. Bernd kann man am Telefon erklären was man meint und auf der nächsten Probe spielt er das genau so…
Irgendwann passt alles – und dann wird es ausgebaut. Die musikalische Umsetzung passiert gemeinsam, da bringt jeder seine eigenen Ideen mit, ob sie gut sind oder nicht, entscheiden wir dann gemeinsam. Natürlich kann man es nicht immer jedem recht machen, aber in der Regel finden wir Kompromisse, mit denen wir alle leben können.
Was macht Eure Musik aus und durch welche Einflüsse wird sie geprägt – was sagt die Presse über Euch und wie steht ihr zu ihr?
Ich weiß nicht was unsere Musik ausmacht, wir machen sie einfach. Vielleicht ist es die vorhin erwähnte Authentizität. Doch, ich denke dass ist es. Einflüsse gibt es jede Menge. Allerdings sicher mehr unbewusst als bewusst. Alles was uns gefällt fließt ein, wir machen da vor nichts halt. Von Musikerkollegen wurde letztens bemängelt wir würden zu viele Effekte einsetzen, aber so etwas lässt uns unbeeindruckt. Es ist unsere Musik, wir unterwerfen uns keinen aufgesetzten Zwängen. Wenn wir der Meinung sind das ein Effekt in das Lied passt, dann kommter auch rein. Auch die neue Platte hat solche Lieder. Geprägt wird die Musik ausschließlich vom Leben, wie wir es erleben. Es fließt sehr viel Persönlichkeit ein. Das macht unsere Musik aus. Vielleicht. Die Presse schreibt in der Regel sehr gut über uns, was wir natürlich gerne sehen, aber auch Kritik wird angenommen – sehr viel lieber als Heuchelei, sofern sie konstruktiv ist und nicht nur verletzen soll.
Aber wir haben nicht nur Freunde unter den Schreibern, weil wir vielen in den Arsch getreten haben und ne eigene Meinung scheinbar immer weniger zählt. Aber wir leben sehr gut damit – und – die Reihe unserer Feinde ist lang – wer uns anzucken will muss sich hinten anstellen.
Wie kommt Ihr mit den anderen Bands in der Szene generell so aus?
Sehr gut. Wir haben zu mehreren Bands freundschaftliche Kontakte, man schätzt und respektiert sich gegenseitig.
Eure Page www.verlorenejungs.de (Anm.: nicht mehr existent!) scheint es nun schon eine ganze Weile im Internet zu geben – Wer übernimmt die Bearbeitung und wie steht ihr allgemein dem Medium gegenüber?
Ich beschäftige mich seit längerem damit und finde das Internet eine absolut faszinierende Sache. Es ist DAS MEDIUM überhaupt. Unsere Seite ist mit den Jahren gewachsen, die erste Präsenz gab es vor ca. 5 – 6 Jahren, damals noch sehr schlicht und einfach gehalten. Mit den Jahren ist alles Stück für Stück gewachsen, ich habe viel rumprobiert und nachgelesen und wieder rumprobiert um sie zu dem zu machen was sie heute ist.
Das Internet ist das ideale Mittel für eine Band – gerade in unserer Szene – die Leute zu erreichen – und natürlich umgekehrt. Die kommunikativen Möglichkeiten sind nahezu unbegrenzt. Fragen können direkt gestellt und beantwortet werden – noch dazu für lau und ohne die überteuerte unzuverlässige Post in Anspruch nehmen zu müssen. Man kann in Sekundenschnelle verlässliche Infos abfragen, wird mit aktuellen News versorgt, kann ggf. Songs zum antesten downloaden… was will man mehr. Mir ist kein besseres Medium bekannt, dass dir mehr Fülle bieten könnte. Zum Stichwort mp3: Sicher spüren auch Punkbands, dass sich die Leute mp3s besorgen und die CDs heute selber brennen, aber – hej, was solls! Früher haben sie sich Tapes überspielt! Wo ist der Unterschied? Außerdem, seien wir doch mal ganz ehrlich, wer von uns hat denn keine selbstgebrannten CDs zu Hause?
Unsere finanziellen Erträge als Band sind eh so dermaßen gering, dass es auf die paar selbstgebrannten CDs auch nicht mehr ankommt, dass ist meine Meinung zum Thema. Und – mal ganz ehrlich, Original bleibt doch Original – und die CD der Band die ich wirklich gut finde, die hab ich auch im Original, oder? Aber die Label werden ganz sicher reagieren. Das müssen sie ja. Wobei ich von Verboten in der Regel überhaupt nichts halte. Sie werden die Produkte in Zukunft attraktiver gestalten müssen um das Original zu verkaufen. Ich denke da an Beilagen wie Poster, Button und so Gedöhns – da gibt’s ganz sicher kreative Köpfe die schon jetzt gute Ideen haben.
Wie würdet Ihr die deutsche Oi!-Szene aus Eurer Sicht beurteilen?
Das ist regional zum Teil sehr unterschiedlich. In vielen Städten spielt Politik eine große Rolle, andernorts ist das völlig unwichtig. Wir merken das auf unseren Konzerten immer wieder. Ich denke es wachsen ständig neue Generationen innerhalb der Szene heran, die immer aus den Fehlern der vorangegangenen gelernt haben und hoffe dass für die kommenden politische Extreme tabu bleiben.
Wie seht ihr eure musikalische Zukunft?
Wir wollen noch viele Jahre gemeinsam Musik machen. Es gibt schon neue Lieder, Dutzende Texte und jede Menge Ideen. Vielleicht sind wir schon im nächsten Sommer so weit, dass wir ne 5 Song MCD aufnehmen können, aber dass ist alles noch Zukunftsmusik – erst mal müssen wir soweit sein und dann müssen wir das noch mit dem Label klären. Ich sag mal, für die Zukunft ist alles offen. Ich hoffe es wird noch viele Jahre so mit uns funktionieren. Wir werden sehen wies weitergeht.
Ok, vielen Dank für das Interview, wir sehen uns auf dem nächsten Gig!
Der Dank ist ganz auf unserer Seite.
Interview von Marcus Berg im Jahr 2001 – Ursprünglich erschienen im Oi!Vision Online-Musikmagazin