Volker Langenbein (Autor)
Volker Langenbein (Autor)

Im Vergleich zu vielen anderen Menschen war für Dich der Friedhof keine Endstation, sondern ein Wendepunkt in deinem Leben. Kannst du das näher erläutern?

Volker Langenbein: Nach dem Unfalltod meines Vaters war der Umgang mit fremden Menschen für mich gar nicht mehr möglich. Ich habe für sie nichts als Hass empfunden, weil sie am Unfallort einfach vorbeigefahren sind, ohne erste Hilfe zu leisten und das hat sich in meinem damals 16-jährigen Kopf eingeprägt. Und auf dem Friedhof habe ich wieder das Mitleiden mit fremden Menschen gelernt.

Wenn ich z.B. eine Oma bestattet habe und der Ehemann mit 85 Jahren oder älter allein ohne Angehörige zurückgeblieben ist, dann habe ich auf einmal wieder Mitleid bekommen. Das hatte zur Folge, dass ich nach und nach richtig „gierig“ darauf war, Menschen zu helfen. Da hat mich der Friedhof wirklich komplett positiv geändert. 

Du schreibst als Totengräber „Rusty“ in „Totengräbers Tagebuch“ über deine Erlebnisse einen autobiografischen Roman. War das Schreiben für dich Selbsttherapie?

Volker Langenbein: Das stimmt 1:1. Das ist es. Das Buch war mein eigener „Beichtkasten“, auch wenn ich kein gläubiger Katholik bin.

Worin liegt deiner Meinung nach der Vorteil im Vergleich zur mündlichen Kommunikation?

Volker Langenbein: Schriftliche Notizen habe ich mir, bevor ich das Buch geschrieben habe, auch schon immer mal wieder gemacht. Für das Buch habe ich alle Geschichten noch einmal „hochkommen“ lassen und noch einmal für mich durch das Schreiben verarbeitet. Das tat noch einmal richtig weh. Vieles hatte ich wieder verdrängt.

Stellenweise hatte ich beim Schreiben wieder Tränen in den Augen. Ich bin zwar tätowiert und habe eine Glatze, aber ich bin nicht der starke Kerl. Aber ich habe auch keine Probleme das zuzugeben. 

Wie hat dein Umfeld diesen Verarbeitungsprozess wahrgenommen?

Volker Langenbein: Für mein Umfeld habe ich immer „den Harten“ gemacht und mich nicht über mich belastende Dinge ausgekotzt. In der Kneipe habe ich dann solche Geschichten berichtet. Die Anwesenden haben das dann über sich ergehen lassen müssen. Meiner Frau und meinen Freunden habe ich nichts erzählt, da ich mir damals dachte, dass sie ihre eigenen Probleme hätten und ich sie nicht zusätzlich mit meinen Problemen belasten wollte. Im Nachhinein war das ein Fehler, denn so wie ich für meine Freunde in schwierigen Situationen da bin, so haben auch sie das Recht, mir helfen zu dürfen. Das habe ich erst jetzt verstanden. 

Ist das die Kernbotschaft, die du bei deinen Auftritten vor Schulklassen den Jugendlichen zu vermitteln versuchst? 

Volker Langenbein: Ja, Geben und Nehmen ist wichtig. Keiner muss sich vor irgendjemandem verstecken, man soll offen zu seinen Schwächen und zu seinen Stärken stehen. Und es ist niemals eine Schande, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Ich habe früher gedacht, das sei nur was für Schwache. Heute weiß ich, dass Einzelkämpfertum Blödsinn ist.

Fühlst du dich durch diese Veranstaltungen in einer Vorbildfunktion?

Volker Langenbein: Ich bin wahnsinnig stolz darauf, dass ich solche Veranstaltungen mit den jüngeren Leuten über den Tod und das Leben ins Gespräch komme. Ich fühle mich allerdings nicht in der Rolle des Aufklärers oder Lehrers, der den Jugendlichen Vorgaben macht, wie sie ihr Leben zu leben sollen.

Wenn junge Menschen Drogen unbedingt nehmen wollen, dann sollen sie das eben tun. Aber was ich ihnen sagen kann ist, dass ich bereits ganz viele junge Menschen nach dem Drogenkonsum beerdigt habe.

Die wurden dann meistens sonntags nach einem „Vollgas-Wochenende“ abgeholt und montags kamen die Eltern auf den Friedhof, um zu überlegen, wie sie ihre Kinder beerdigen lassen sollen. Und darüber können und sollen sich die Jugendlichen Gedanken machen.

Gibt es bei den Veranstaltungen mit den Schülern bestimmte Geschichten, die du aussparst und dem Alter der Teilnehmer entsprechend kürzt?

Volker Langenbein: Das kann man nicht pauschalisieren. Es gibt junge Leute mit 14 oder 15 Jahren, die haben einen Reifegrad eines 25-Järigen und es gibt auch 25-Jährige, die einen Reifegrad eines heranwachsenden Jugendlichen haben. So wie die Frage kommt, so kommt auch die Antwort. Ich überlege mir vorher kein Konzept, das Leben hat mich so geprägt, dass ich die Dinge so sage, wie ich sie sehe und nicht „um den heißen Brei“ herumrede.

Welche Fragen werden von den Jugendlichen besonders oft gestellt?

Volker Langenbein: Das sind Fragen nach übersinnlichen oder paranormalen Erfahrungen mit den Toten. Oder wie ein Toter aussieht. Viele Fragen sind sehr persönlich, z.B. welche Gefühle ich beim Abholen von Verstorbenen hatte. Die Jugendlichen sind bei diesen Veranstaltungen voll dabei und sehr interessiert.

Beim Thema „Drogen und Tod“ sind sie ziemlich ruhig. Das ist für mich ein Zeichen, dass sie das wirklich beschäftigt und das finde ich klasse.

Das Interview führte Sveni im August 2021 für Pressure Magazine

Weiterlesen: Buchbesprechung von „Totengräbers Tagebuch“

Buch Cover Totengräbers Tagebuch
Buch Cover Totengräbers Tagebuch

>> Das Buch jetzt bestellen oder probehören bei Amazon.de