Von Nord nach Süd und von Ost nach West. HÄMATOM stehen für klare Worte und brachiale Melodien. Mit ihrem neuen Album „Bestie der Freiheit“ äußert sich die Band zum Wahnsinn dieser Zeit.
Von einem Kellergewölbe im Jahr 2004 über „Wir sind Gott“ auf Platz 5 der Deutschen Albumcharts zu neuen bestialischen Hymnen der Freiheit: Nach einer gemeinsamen Session beschließen 4 Musiker eine Band abseits der üblichen Metalpfade zu gründen. Die Pseudonyme Nord, Sued, West und Ost entstehen und legen zusammen mit den Masken den Grundstein des Gesamtkonzepts: Namen und Aussehen sollen keine Rolle spielen, nur die Musik im Vordergrund stehen.
Es ist Zeit, der Welt, die im Umbruch steht, etwas entgegenzubrüllen. Dafür haben HÄMATOM sich der Bestie angenommen und 13 neue Songs produziert, die wieder eindrucksvoll beweisen, was HÄMATOM am besten können: mit dem Irrsinn unserer Zeit abrechnen. Mit Pressure Magazine sprach SÜD von Hämatom über die Albumentstehung und die Hintergründe der Songs.
Hi Zusammen, mit einer Album-Veröffentlichung ins neue Jahr zu starten ist eine spannender Einstieg. Wie und wo habt ihr reingefeiert und welche Vorsätze, Ziele oder Wünsche habt ihr für das Jahr 2018?
Wir haben dieses Jahr fast alle getrennt gefeiert, nur NORD und OST haben sich gemeinsam bis in die Morgenstunden weggesprengt, so wie sie es jedes Jahr machen. Ich persönlich bin durch einen Zufall einen Tag vor Silvester in eine wilde Party gerutscht, so dass ich bei der Jahreswende mehr ums Überleben kämpfen musste und dann gegen zwei Uhr morgens schon schlapp gemacht habe. Was unser WEST gemacht hat, wollen wir gar nicht wissen, der alte Freak hat sich bestimmt wieder irgendwas ganz krankes ausgedacht.
Ein großer, globaler Wunsch wäre, dass sich diese Entwicklungen hin zu Grenzen und Mauern wieder ändern. Immer mehr konservative, rechtsorientierte Regierungen haben derzeit einen Auftrieb, der mehr als besorgniserregend ist. Und unsere persönlichen Ziele sind gerade, alle unsere Vorbereitungen für den Release fertig zu bekommen. Ist gerade viel zu tun, da wir gleichzeitig zur Veröffentlichung auch unsere Release-Tour starten und diverse Special-Auftritte und Autogrammstunden absolvieren.
Mit „Bestie der Freiheit“ habt Ihr das neue HÄMATOM Album in den Startlöchern. Was hat es mit dem Titel auf sich und was hat die Produktion diesmal für Euch besonders gemacht?
Die Welt befindet sich im Umbruch. Alles, was uns verbindet und in den letzten Jahrzehnten mühsam aufgebaut könnte wieder zerstört werden. Stimmen werden laut, die nach Mauern und Zäunen rufen. Es wird gegen alle Werte der Menschlichkeit gehetzt. Und genau da halten wir dagegen und kämpfen und erwecken eine Bestie zum Leben: Die BESTIE DER FREIHEIT, die genau das verteidigt, was es um jeden Preis zu verteidigen gilt: Unsere Freiheit!
Dieses Mal haben wir uns für die Zusammenarbeit mit einem neuen Produzenten entschieden: VINCENT SORG (DIE TOTEN HOSEN, BROILERS, IN EXTREMO) und wir haben uns für den Songwritingprozess auf die wunderschöne Insel Formentera zurückgezogen, was ein wirklich sehr inspirierender Ort war.
Diesmal habt ihr euch dazu entschieden, die Platte in den renommierten Principal Studios zu produzieren. Mit welcher Erkenntnis und Gefühl habt ihr die Produktion dort abgeschlossen? Wie ist die Zusammenarbeit mit Vincent Sorg verlaufen?
Mit VINCENT haben wir eine erste Testsession absolviert, die ein Ergebnis hervorbrachte, welches beide Parteien mehr als zufrieden stimmte. Also machte man sich ans eingemachte und das besondere bei VINCENT SORG ist, dass er schon in der Demophase der Songs entscheidend mitarbeitet, vorhandene Ideen komplett zerpflückt, um sie dann wieder besser neu zusammenzubauen. Das ist sehr aufwendig, lohnte sich aber total. Und so wurde der Entstehungsprozess des neuen Silberlings die wohl aufwendigste Produktion der Bandgeschichte. Wir haben dadurch das Gefühl wirklich 110% gegeben zu haben. Es wurden teilweise noch Gesangsstellen in der Mixphase neu eingesungen, wenn wir nicht zufrieden waren, was sehr untypisch ist. Normalerweise macht man ein Häkchen und dann bleibt es eben so, dieses Mal wurde aber wirklich gefeilt und geschliffen, bis alle zufrieden mit dem Ergebnis waren.
Marius Müller-Westernhagen hat sich mit der „Freiheit“ bereits in den 90ern befasst und in seinem bekanntesten Song die Textzeile geschrieben: „Der Mensch ist leider nicht naiv. Der Mensch ist leider primitiv“. Hat sich daran in den letzten 28 Jahren etwas geändert oder wirkt die Katastrophen in Summe einfach nur dramatischer in Zeiten von reißerischen „Push“-Nachrichten auf dem Smartphone?
Hm, ich glaube ja immer an das gute im Menschen, sonst würde ich mich und alles aufgeben – Ich habe da so einen kleinen „Hobby-Pädagogen“ in mir. Klar, der Mensch ist irgendwo auch triebgesteuert und dadurch sind primitive Verhaltensmuster erkennbar und oft ist Weitsicht nicht die Stärke vieler Menschen, aber es gibt immer Hoffnung finde ich.
Und wenn Du „Push“-Nachrichten ansprichst, so ist das Internet ein Wahrnehmungsverstärker in beiden Richtungen. Bist Du zum Beispiel bei Facebook und findest die AFD super, dann hast Du bestimmt auch viele Freunde in der Timeline, die ähnlich denken und Du bekommst nur noch AFD Posts, die ein verzerrtes Weltbild wiedergeben. Das Internet wird hierdurch ein Realitätsfilter, der alles andere als objektive Berichtserstattung liefert. Hast Du aber lauter Freunde, die nur Party machen und gut drauf sind, so denkst Du Dir auch den ganzen Tag: WOW, HEUTE IST JA WIEDER MAL ALLES GEIL!
Zurück zur Frage: Es hat sich viel geändert und irgendwie auch nichts. Besorgniserregend ist, dass wir gerade in einem offenen Europa leben, welches es vor 28 Jahren in dieser Form nicht gab und ich es als wunderschön empfinde, doch gefühlt immer mehr Leute wieder gerne Grenzübergänge hätten.
Wer schrieb die Texte auf der neuen Platte und wie werden die Texte im Bandverbund diskutiert?
Für die Texte ist OST hauptverantwortlich. Er schreibt und schreibt und schreibt, entwickelt inhaltliche Visionen und ist permanent auf der Suche nach neuen Wortkombinationen und – spielen. Wir wollen in diesem Bereich unsere Fans und uns selbst jedes Mal aufs neue überraschen und nicht mit schon dagewesenen Floskeln langweilen. Wir, der Rest der Band kommen dann als eine Art Berater ins Spiel, wenn OST seine Skizzen präsentiert und geben nochmal unsere Ideen oder jeglichen anderen Input dazu.
Die BESTIE DER FREIHEIT ist übrigens unser wohl persönlichste Album, was die Texte angeht. Haben wir bisher immer den Spiegel der Gesellschaft vorgehalten, gehen wir bei unserem aktuellen Album einen Schritt weiter und lassen Gefühle und Meinungen von HÄMATOM zu. Wir erzählen, was WIR bei dem ein oder anderen Thema empfinden, das ist neu für uns!
Der Hämatom-Sound hat sich von Mal zu Mal immer professioneller weiterentwickelt. Was inspiriert Euch musikalisch und geht ihr bei Euren Proben oder im Studio vor, um an neuen Songs zu feilen?
Die Inspiration bestimmter Bands findet eher unbewusst statt, wir hören alle sehr vielseitig Musik und unterschiedlichste Stilrichtungen an. Unsere Hörgewohnheiten gehen weit über Metal hinaus und ich glaube die prägende musikalische Einflussnahme ist auch zur Jugendzeit passiert, jetzt versucht man einfach sein eigenes Süppchen zu kochen. Ansonsten gibt es vor jedem Album immer einen Art Spatenstich des Songwritings, bei dem man auslotet, wo wir stehen und wo wir hinwollen und dann wird experimentiert. Aber meist ist viel weniger Kalkül dahinter, wie man sich das vorstellt, man jammt einfach und bastelt am Rechner Demos zusammen und irgendwann macht es KLICK und eine neue Idee ward geboren.
Einer der Highlights ist der Titel „Zur Hölle mit eurem Himmel“. Wie gläubig sind denn die Bandmitglieder und wie definiert ihr den „Glauben“ für Euch persönlich?
Ich will an dieser Stelle nur für mich sprechen: Ich bin eine Art Agnostiker, ich weiß nicht, ob es einen Gott gibt! Wenn ich in der Kirche sitze, fühlt es sich für mich nicht göttlich an, das wirkt alles wie von Menschenhand ausgedacht, da fühle ich mich nicht mehr wohl. Wenn ich mich aber alleine in Ruhe mit mir und meiner Umwelt selbst beschäftige wächst stets die Vorstellung , dass es da oben irgendwas transzendentales gibt. Inhaltlich kann ich allerdings zum Beispiel den Aussagen Jesus nichts falsches finden, er hat auf jeden Fall viele Dinge gesagt und getan, die ich genau so stehen lassen kann.
Mit dem Song „Lichterloh“ zieht ihr alle Register und fahrt auf mit Streichern und Chören zu einem hochemotionalen Text. Was bedeutet Euch der Song? Außerdem begebt ihr Euch mit diesem Song damit auf äußerst „poppiges“ Niveau. Was meint ihr, wie der Song bei Euren Freaks ankommen wird?
Uns bedeutet der Song wahnsinnig viel, weil er genau das Gefühl einer der wohl wichtigsten Zeiten des Lebens aufblühen lässt: Die Zeit, als man als Jugendlicher in Cliquen zusammen um die Häuser zieht und glaubt, man kann die Welt aus den Angeln heben. Eine Zeit, die man nicht mehr reproduzieren kann und eine Zeit, die wie keine andere das restliche Leben prägt. Hier wären harte Gitarren Riffs unpassend gewesen, so dass wir selbstbewusst mit dieser Version nach draußen gehen können und ich bin davon überzeugt, dass unsere Freaks dieses Baby abfeiern werden!
A propo „Lichterloh“. Auf Euren Show gibt es zunehmend immer aufwendigere Pyrotechnik. Wie sicher fühlt ihr Euch dabei und gab es im laufe der letzten Jahre schon einmal einen ernsten Vorfall, da eine Pyro außer Plan schiefgegangen ist?
Pyros machen natürlich Spaß und ist nach wie vor ein Medium, wie kein anderes, um Musik nochmal extra zu visualisieren und zu emotionalisieren. Ernstzunehmende Gefahren gab es zum Glück noch nicht und wir haben natürlich immer extra dafür ausgebildete Techniker dabei, so dass wir uns sicher fühlen.
Mit dem Song „Wehleidige Monster“ zeigt ihr den besorgten Bürgern des Landes den Mittelfinger und behandelt thematisch die politischen Entwicklungen hierzulande, sowie rechte Ressentiments in der Gesellschaft. Aus welcher Motivation ist der Text vorausgegangen?
Die Motivation zogen wir genau aus diesen immer mehr und lauter werdenden Stimmen dieser sogenannten „Besorgten Bürger“, die glauben zu einer Problemlösung beizutragen ohne selbst zu merken, dass sie eigentlich ein Teil des Problems sind. Ihre billigen Versuche zu hetzen und Parolen der Intoleranz selbstbewusst und unreflektiert umherzuschreien macht uns so aggressiv, dass es diesen Song einfach gebraucht hat.
Die Grenzen vom Wutbürger zum Verschwörungstheoretiker ist äußerst gering, wenn man das Thema mit wenigen Klicks recherchiert. Was war die wirrste Theorie von der ihr gehört habt und was war der Auslöse den Song zu schreiben?
Die Idee des Songs ist durch immer wiederkehrende absurde Beiträge in den Timelines der Sozialen Netzwerke gekommen. Und man muss sagen, dass es durchaus auch zum Lachen anregt, wenn man die absurden Theorien liest, also durchaus teilweise auch eine humoristische Bereicherung des Lebens ist! Und besonders absurd sind natürlich die „Chemtrails“. Super, wie hier jegliche naturwissenschaftlichen Zusammenhänge ignoriert werden. *lacht*
Überspitzte „Meinungsäußerung“ äußert sich leider auch immer unverblümter in sozialen Netzwerken, sei es gegenüber der hiesigen Bundesregierung, aber auch Diffamierungen und Beleidigungen gegenüber Mitmenschen und Personen des öffentlichen Lebens nehmen exorbitant zu. Wie stehen die Bandmitglieder von Hämatom den sozialen Medien gegenüber und der „Chance“, dass sich jeder zu jedem Thema frei äußern kann und die Stimme von einzelnen oder wenigen oft mehr Gewicht erlangen als die der „schweigenden“ Mehrheit?
Grundsätzlich sind als Band die sozialen Netzwerke natürlich der Oberhammer: Wir können Videos produzieren und die einer großen Hörerschaft vorführen. Eine Tatsache, die in den neunziger Jahren, wenn Du bei VIVA keinen Fuß in die Tür bekommen hast, nicht möglich gewesen wäre.
Außerhalb diesem Promotionvorteil als Band ist es natürlich wie oben schon mal erwähnt ein Medium, welches zu einer Verschiebung der Wirklichkeitswahrnehmung führen kann, da sich jeder nur in den Kreisen bewegt, in denen er sich bewegen will. Wenn jemand anfällig für Verschwörungstheorien ist, wird er Millionen Menschen finden, die auch so denken und volle Bestätigung für diesen Irrsinn erhalten.
Ein Idiot bleibt in der Regel ein Idiot! Aber, dass sich Menschen im ändern können, haben auch bereits in der öffentlichen Musikbranche einige Bands und Musiker eindrucksvoll bewiesen. Eine Euch näher bekannte Person ist Frei.Wild-Sänger Philipp Burger, der offen über seine Vergangenheit und seinem Wandel spricht und im Grunde ein glaubwürdiger Charakter dafür wäre, politisch Extreme zum nachdenken und somit zu einem positiven Wandel zu bewegen. Kann so etwas funktionieren? Wie denkt ihr darüber?
Da bin ich zwiegespaltener Meinung. Ich war mal auf einem Punkkonzert, da hat der Sänger über Merkel gelästert – schon lange her. Der Sänger dieser Band ist jetzt Merkel-Fan *grinst* – und ein Fan dieser Band hat geschrien „aufhören“. Dann kam der nächste Song und dieser Fan ist wieder voll abgegangen. Also fand der Fan die Musik geil, hatte aber eine eigene festgefahrene Meinung. Das war ein persönliches Erlebnis, bei dem mir klar wurde, dass Einflussnahme durch Musik nicht oberflächlich, direkt passieren muss, aber natürlich kann.
Kurze Antwort: Ich weiß es nicht, aber schlecht ist es mit Sicherheit nicht: NAZIS RAUS zu rufen und Kante zu zeigen und zumindest durch Themen in Songs anzuregen, Meinungsbildung ist aber komplexer. Jeglicher Verantwortung kann man sich aber als Musiker nicht entziehen, man hat auf jeden Fall Vorbildfunktion und sollte genau überlegen, was man auf der Bühne kundtut.
Wie wichtig war Euch diese Klarstellung im Song? Vor allem nach dem Euch ja vor wenigen Jahren auch ein Nazi-Vorwurf angedichtet wurde, nachdem ihr mit eurem damaligen Label-Kollegen Philipp Burger ein Song-Feature „Totgesagt doch neugeboren“ herausgebracht habt.
Nach diesem Vorwurf war uns klar, dass man nicht müde werden darf, gerade in der heutigen Zeit, sich eindeutig zu positionieren. Der Vorwurf, rechts zu sein, war für uns ein brutaler Schlag ins Gesicht, der wirklich weh getan hat, da wir alle eine Punk Vergangenheit hinter uns haben und somit nicht wussten, wie uns geschah.
Wir haben dadurch uns auch viel über Stigmatisierung und Pauschalisierungen Gedanken gemacht und uns hat das Niveau dieser Schlammschlacht wirklich schockiert, die ja alles andere als Problemorientiert ist. Es ist ja teilweise einfach Zeitvertreib gelangweilter Menschen herumzukacken, damit sie herumkacken können…
Am 25.1.2018 startet in unserer Heimatstadt München Euer erstes Konzert der Tour. Welche Überraschungen habt ihr im Gepäck und worauf dürfen wir uns freuen?
Tja, da muß man schon selbst vorbeikommen, aber es wird natürlich nochmal eine Schippe auf die WIR SIND GOTT Tour draufgelegt.
Herzlichen Dank für das ausführliche Interview. Die abschließenden Worte an Eure Fanbase gehören der Band.
Am 25.1. beginnt unsere Release-Tour, würde mich freuen, Euch dort zu treffen!!!
Interview mit Marcus Liprecht am 18. Januar 2018
Lest auch unsere weiteren Hämatom Interview über Reichtum Ruhm und Horoskope und ein Hämatom Interview aus dem Jahre 2012
Aktuelle Tourdaten HÄMATOM 2018
HÄMATOM kommen passend zur Album Veröffentlichung am 26. Jauar 2018 auf Tour. Im März folgt noch eine Show mit J.B.O. und schließlich wird die Band beim Full Metal Mountain in Österreich gastieren. Hier alle Dates im Überblick:25.01. Backstage Werk, München
26.01. Essigfabrik, Köln
27.01. Grosse Freiheit 36, Hamburg
28.01. Huxley’s, Berlin
01.02. Arena, Wien
03.02. Schüür, Luzern
30.03. Aladin, Bremen mit J.B.O.
02.04. – 08.04. Full Metal Mountain
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