Mittwoch, April 24, 2024

Die Mainzer Punkband WILDE ZEITEN im Interview zum Atomparty-Album

Im Oktober 2011 feierte die Mainzer Punkband WILDE ZEITEN ihre Releaseparty zu ihrem neuen Album „ATOMPARTY“. Pressure Magazine nutze die Gelegenheit mit der Band kurz darauf ein Gespräch zu führen.

Das Außergewöhnliche hierbei war allerdings der Veranstaltungsort, der auf dem Schiff „Möve“ auf dem Rhein stattfand. Dass der Herrgott ein Herz für Punker haben muss, stellten wir an diesem Tag fest und begaben uns bei strahlendem Sonnenschein auf das restlos ausverkaufte Personenschiff, auf dem sich den Fahrgästen ein feuchtfröhliches Konzert auf dem Wasser bot. Pressure Magazine nutze die Gelegenheit mit der Band kurz darauf ein Gespräch zu führen.

Zum neuen Album „Atomparty“ (zum Review) gab es eine spektakuläre Releaseparty auf dem Rhein. Wie kam es zu der Idee, das Ausflugsschiff „Möve“ zu chartern?

Michel: Das stand da blöd rum, da sind wir draufgegangen, und haben gesagt: „So, denn ma prost“

Alex: Schon bei der Produktion der Scheibe wurden neue Wege bestritten, darum stand für uns fest, dass auch die Releaseparty etwas besonderes sein musste.

Matze: Die Idee stand schon länger im Raum, nur irgendwie hat die Gelegenheit gefehlt. Und wenn wir eine Gelegenheit hatten, dann das nötige Kleingeld. Jetzt haben wir aber einfach beschlossen dass wir das zum Release der neuen Scheibe einfach mal machen.

Michel: So ein Schiff ist halt nicht ganz billig. Außerdem: Wo stellt man´s danach hin? Wir haben mächtig Ärger bekommen mit unserem Proberaumvermieter!!!!

Euer Fazit zur Releaseparty?

David: Der Aufwand und die Mühe haben sich gelohnt!

Alex: Es hat unglaublich viel Spaß gemacht! Sowohl bei uns, als auch bei allen Teilnehmern, konnte man über die komplette Schiffsreise ein Lächeln im Gesicht erkennen.

Matze: Wir haben schon gedacht, dass es eine feine Sache wird. Aber jede Erwartung wurde einfach übertroffen. Es war fantastisch! Sogar das Wetter hat mitgespielt und uns den wahrscheinlich sonnigsten und wärmsten Tag des Jahres beschert. Wer hätte das denn nach diesem Sommer noch gedacht? Ich hab immer gedacht Petrus ist ein Mainzer, nun weiß ich aber, dass er auch ein Fan von uns ist.

Michel: Es war super! Es kamen gut 120 Leute zusammen, alle super drauf, einige waren sogar aus der Schweiz angereist – vermutlich, weil sie für den Franken hier in Deutschland gerade mehr bekommen als zu Hause! Das Schiff fuhr nach 10 Minuten nochmal zurück, um Bier nachzuladen. Das wurde alles komplett weggeschlabbert!

Der Albumtitel „Atomparty“ hat keinen wirklich eindeutigen Bezug zu den Songs auf eurem neuen Album. Weshalb also dieser Titel?

Michel: Das klingt einfach super! ATOMPARTY: Klack und Peng. Dieser Zwang, daß der Titel immer in nem Song vorkommen muß, das finde ich etwas steif. Atomparty ist einfach so ein Gesamtgefühl, das diese Produktion hat.

Matze: Ich denke, den Bezug findet man. Er ist nicht ganz offensichtlich, macht aber Sinn. Es ist einerseits das ultimative Feiern thematisiert, anderseits aber auch der Tanz unserer Gesellschaft auf dem Vulkan, welchen man auch als eine Art von Atomparty sehen kann. Und spätestens nach Fukushima hat der Begriff für uns eine weitere Dimension erreicht, an die wir vorher nicht gedacht haben, und uns in der Entscheidung das Album so zu nennen bekräftigt

Michel: Es ist auch immer schwierig, ein Album mit einem Titel zu beschreiben. Der Titel „Atomparty“ kann super interpretiert werden, und repräsentiert die Texte des Albums insgesamt ziemlich genau.

Welche Songs charakterisieren euer neues Album am besten?

Matze: Wenn ich drei herausgreifen muss, würde ich „Mensch“, „Uns kann nichts mehr passieren“ und „Wir lassen uns das Feiern nicht verbieten“ auswählen, denn diese drei Songs repräsentieren in etwa die thematische und musikalische Bandbreite der Songs. Wer diese drei Songs mag, wird vermutlich mit dem ganzen Album was anfangen können

Alex: Ok, Matzes Auswahl ist schon ziemlich treffend. Ich würde vom Stil her noch „Telefon“ oder „Superstar“ nennen, da diese Songs einen vom Arrangement her mitnehmen.

Michel: Mensch beschreibt unseren mitteleuropäischen Dämmerzustand als ewig wehleidende angepisste Gesellschaft. Kaum einer begreift, dass sich sein Leben nur ändert, wenn er´s selbst ändert. Das finde ich charakteristisch für unsere Sicht der Dinge. Vielleicht sind wir als Bands sowieso auch Beobachter der Gesellschaft und ihrem Zustand, das drückt sich dann natürlich in den Texten aus.

Eure neuen Songs klingen sehr „erwachsen“, sprich gereift und gleichzeitig entgegen einem allgemeinen Trend sehr optimistisch. Was steckt dahinter?

Alex: Auf dem Papier sind wir ja auch alle schon erwachsen…(lacht).

Michel: Erwachsen? Ich bin vor einigen Jahren erst 21 geworden! (lacht) Nee, im Ernst: Was bedeutet eigentlich erwachsen? Das, was ich mir als Kind darunter vorgestellt hab, fand ich scheiße, bis jetzt bin ich auch Gott sei Dank nicht so geworden! Aber ich fände es blöd, heute noch Deutschland-Bullenstaat!!! zu schreiben. Die Realität hat viel mehr Facetten, man wird mit den Pauschal-Text nur selten einem Thema wirklich gerecht, auch wenn’s Spaß macht. Ich hab diesmal außer bei „Banker“ weitgehend differenzierter getextet als auf den Alben davor, einfach, weil ich Bock drauf hatte. Erwachsen finde ich das aber eigentlich nicht so besonders (Wir lassen uns das Feiern nicht verbieten…)!

David: Wir sind halt auch nicht mehr die jüngsten. Der Gedanke ist auf dieser CD, sich musikalisch ein Bisschen neu zu orientieren. Neben dem Punkrock ließen wir auch viel mehr andere Einflüsse zu. Was für Einflüsse das sind, könnte ich jetzt nicht im Einzelnen sagen. Aber wir alle wollten mal was neues.

Aus euren neuen Songs kann man Einflüsse von u.a. „The Clash“ heraushören. Welche Musik hat euch den persönlich in den letzten Jahren geprägt?

Michel: Ich hab früher fast nur Hosen gehört, inzwischen mach ich so viel mit Musik, daß ich oft daheim froh bin, wenn mal nix läuft. Ich mag nach wie vor The Boys, TV Smith, halt die alten Engländer. Rastaknast und Dritte Wahl, Daily Terroristen machen zum Beispiel auch tolle Musik, finde ich!

Alex: Ich würde behaupten, dass es mittlerweile einen gewissen WZ-Sound gibt, der immer weiter entwickelt wird. Neben klassischen Punkrock höre ich privat auch sehr viel Ska oder auch mal Dinge wie Liedermaching a` la „Strom&Wasser“.

Matze: Ich würde sagen, The Clash. Nee, im Ernst, Clash zählen bei uns allen sicher zu den wichtigsten Einflüssen, aber es gab natürlich viele andere auch. Bei mir wird sicher noch ein Schuss Green Day dabei sein, eine Portion Ramones und eine Würze Hosen. Aber ich kann es schwer beurteilen, ob das sich nun gerade bei dieser Platte manifestiert hat, oder ob es nicht schon seit Ewigkeiten so war.

Einer eurer neuen Songs trägt den Titel „Revolution“. Gibt es eurer Meinung nach in der heutigen Zeit im Bereich des Punks überhaupt noch so etwas wie Revolution?

Matze: „Revolution“ bezieht sich, glaube ich eher auf die Gesellschaft als ganzes. Man hört überall das Gejammer, aber keiner will raus auf die Straße und den Mund aufmachen. Die Punkbewegung hat schon insgesamt viel bewegt, und das, was 1976/77 losging, hat vieles zum Guten verändert. Aber für eine Revolution bedarf es einer Massenbewegung, und das war Punk noch nie. Punk hat der Gesellschaft einerseits den Spiegel vorgehalten, andererseits hat es alternative Lebensmodelle aufgezeigt.

Michel: Gibt’s Punk überhaupt noch? Und war Punk ´ne Revolution? Ich sehe den derzeitigen Nachfolger vom Punk im Hip-Hop. Punk entstand vor über 30 Jahren in einer bestimmten gesamteuropäischen Szenerie. Die hat sich längst total verändert. Punk spielte damals eine soziologische Rolle, das würde so heute nicht mehr funktionieren, weil das Umfeld, was diese Gegenwehr verursacht hat, heute so nicht mehr existiert. Es gibt keine Pflanzen ohne den Boden, aus dem sie hervorwachsen!

Heute existiert ein anderer Boden, also auch andere Pflanzen. Aber jede Generation hat ihre Revoluzzer, das hat sich nie geändert.

Wie beurteilt Ihr die Entwicklung der Punkszene in den letzten Jahren?

David: Wir hören immer von schwindenden Besucherzahlen bei Punkkonzerten, im Großen und Ganzen merken wir das aber bei unseren nicht so stark. Und selbst wenn es dann so sein sollte, hat das nichts mit unserer Band, unserer Musik oder den Veranstaltern zu tun. Ich glaube, dass Punk über die Jahre einem Auf und Ab unterworfen ist. Das können aber die alten Hasen sicher besser beurteilen, die zum Teil schon seit den 80ern das Ganze mitmachen.

Matze: Ich denke, es gab nie „die Szene“. Es gab schon immer eher verschiedene Szenchen die sich an und für sich schon unterschieden haben in Ansichten, der Musik, dem Aussehen, die man aber trotzdem gut zusammenfassen konnte unter „Punk“ als Oberbegriff. Daher definiert „Punk“ auch jeder anders, und ich finde das auch gut so, ganz im Sinne von „no rules“. David hat schon Recht, in Mainz war es, seitdem ich denken kann, ein Auf und Ab. In den letzten 15 Jahren haben sich die Gesichter natürlich auch vollständig durchgetauscht, aber ich finde, das ist ganz natürlich.

Michel: Punk war und ist ja im Kern erstmal ´ne Jugendbewegung, wie viele andere Strömungen auch. Also so ein Ding von 16 bis 21 Jahren plus minus. Also hast Du einen komplett – Durchtausch der Stammcrew alle 5 Jahre, bis auf die üblichen Verdächtigen, die hängenbleiben. Deshalb kann in ´ner Stadt mal ein paar Jahre alles wegbrechen, und 5 Jahre später steppt da der Bär, da steckt man nicht drin. In Großstädten sind die Bedingungen für Szenen generell besser als auf dem Land. Mainz ist eher ländlich, da gibt’s außer ein paar Bahnhofspunks und Pennern keine Zellen mehr. In Berlin zum Beispiel wird’s Punks im Sinne der Sache sicher auch in 20 Jahren noch geben, denke ich!

Apropo Entwicklung, frühere Alben wurden von Dr. Uwe Faust produziert. Wie kam es zu dem Wechsel?

Matze: Ein Jahr nach dem letzten Album „Aufgeräumt wird später“, im Herbst 2009, ist Dr. Uwe Faust aus Wanne in den Himmel umgezogen und unterhält dort eine WG mit einigen alten Freunden. Er ist ja nicht weg, nur woanders.

Michel: Das war gar nicht so einfach für uns, da Faust unser zweites und drittes Album mit uns gemischt hat. Er hat mich schon seit der Tatort Aldi 1996 betreut. Man entwickelt gemeinsam den Stil der Band weiter. Wenn so einer dann abhaut, ist da erst mal Ratlosigkeit, wie´s weitergehen soll. Wir haben dann aber Voraufnahmen gemacht, und fanden dabei Spaß an der Idee, dieses Album einfach mal komplett selber zu machen. Das ist ja auch ein Stilmittel. Man lernt viel als Band dabei, und man hat dann eben echt was Eigenes, das finde ich absolut super!

Was Ihr schon immer einmal sagen wolltet?

David: Laute Musik, warme Texte und kaltes Bier. Das sind Wilde Zeiten, das bin ich.

Matze: Lasst Euch von niemandem erzählen was schwarz und was weiß ist, bildet Euch immer eine eigene Meinung. Und was auch immer kommt, lasst Euch das feiern nicht verbieten.

Michel: Freut Euch des Lebens, es ist ziemlich kurz, also macht was aus Euren Tagen, macht Euer Ding! Und besucht uns auf den Atomparties, wir freuen uns auf Euch!

Und glaubt dem Matze nicht alles, was er sagt! (lacht)

Alex: Bleibt tolerant und genießt eure Zeit.

Vielen Dank für das Interview!

Interview von Marcus Berg im November 2011

Mehr zum Thema:

Album Review: Wilde Zeiten – „Atomparty“

Offizielle Homepage: www.wildezeiten.com

Fotos: Pressure Magazine / Cover: Wilde Zeiten

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