Donnerstag, April 25, 2024

Der W – Schneller, höher, Weidner

Label: 3R Entertainment
Veröffentlichung: 25.04.2008

„Der W Zwo Drei“, „Schneller, Höher, Weidner“, „Des Weidners neue Kleider“, Diese Slogan hören sich zunächst einmal nach einem drastischen Selbstdarstellungs-Trip an. Ist es auch, aber im positivsten und sprichwörtlichsten Sinne: Stephan Weidner hat mit seinem ersten Soloalbum “Schneller, höher, Weidner“ ein Werk geschaffen, das vor Ehrlichkeit und greifbarem Engagement regelrecht zu leben scheint. Wie schon im Review zur vorangegangenen EP “Geschichtenhasser“ beschrieben, hat es Weidner hier geschafft, die Stärken seiner Böhsen Onkelz mit in seine neue Karriere als Solokünstler zu transportieren, ohne sich dabei nur von der eigenen Vergangenheit zu ernähren.

Beim Durchhören der knappen Stunde des Albums wird noch deutlicher, dass sich hinter “Der W“ kein Fortsetzungsprogramm der Böhsen Onkelz verbirgt, sondern ein von diesem Abschnitt geprägter und natürlich beeinflusster Fortschritt. Kommen wir zu den einzelnen Songs. Bei denen, die schon auf “Geschichtenhasser“ Platz gefunden hatten und sich somit mit meinem damaligen Review überschneiden, erlaube ich mir, die Texte zu übernehmen.

Der W Zwo Drei“ – Einfach eine coole Nummer zum Auftakt. Schön gespickt mit reichlich Pathos und einem sehr ordentlichen Schuss Selbstironie. „Denken, schreiben, dichten – kreieren und vernichten. Für Freunde meiner Darbietung, nochmal zur Erinnerung: „Hier kommt der W, zwo, drei…“. Hat bei mir 3-4 Durchläufe gebraucht, um im Ohr hängenzubleiben und zu gefallen. Ist jetzt absolut kultverdächtig. Der W. textlich in Höchstform.

Geschichtenhasser“ – Erinnert anfangs musikalisch als auch beim Gesangsrhythmus an “Narben“ von den Onkelz. “Geschichtenhasser“ ist eine nette, punkige Nummer, der Bass kommt gut zur Geltung, genau so die gut eingesetzte Leadgitarre. Vom Stil her ist die Nummer nicht weit entfernt von den letzten Aufnahmen Weidners, sprich der Maxi-CD der Nordend Antistars zur Weltmeisterschaft 2006. Als Hörer fühle ich mich direkt wohl und freue mich, irgendwie wieder “zuhause” zu sein – die Musik, der philosophisch angehauchte und trotzdem direkte Text, der Chor im Hintergrund – kann man das poppig oder gar charttypisch nennen? Ja, kann man – ist aber nicht schlimm, hört sich nämlich gut an.

Waffen & Neurosen“ – Sehr schön rockige und basslastige Mid-Tempo-Nummer. Neid, Missgunst und Gleichgültigkeit der Menschen beim eigenen Handeln werden hier textlich thematisiert. “Da draußen ist Nichts, nichts für dich – das klingt so schlimm wie es ist! Nur Wünsche und Makel – und Herzen die schlagen…“. Im Refrain gibt’s zeitweise Unterstützung von Gary Meskil, Sänger von Pro Pain. Insgesamt ein recht düsterer Song, vor allem der Refrain hat´s mir angetan, kommt schön aggressiv und mit voller Überzeugung rüber.

Asche zu Asche“ – Die erste Ballade vom W. Hier werden noch einmal 25 Jahre Böhse Onkelz und dazugehöriges Ende, der emotionale Abschied verarbeitet. Sehr deutlich und nachvollziehbar kommt der wohl nötige Abstand von mittlerweile fast 3 Jahren zur Geltung. Ein trauriger, aber auch mutmachender Text mit entsprechender Begleitung von Akkustikgitarre, Streichern und Schlagzeug. Auch seine eigene Rolle innerhalb der Band und beim Beschluss, das Ganze zu beenden, beschreibt Stephan noch einmal explizit. “Mein Herz spürt Verlust, mein Fleisch den Schmerz – ich schmecke die Onkelz auf der Zunge und im Herz“. Der Einsatz der Streicher in diesem Lied ist ein gutes Beispiel für den eigenen Stil von Stephans Produktion – einfach nur geil, wie die Instrumente hier zur Dramaturgie beitragen.

Tränenmeer“ – Thematisiert die allgemeine Negativhaltung, die Depression als Zeitgeist. Rockig, bassig, gezielt mit Effekten untermalt. Der Refrain ist für mich sowohl textlich als auch musikalisch einer der stärksten überhaupt auf dem Album. “Rettet sich, wer kann – es ist Angst am Werk! Du havarierst in deinem Tränenmeer!“. Auch hier kommen Streicher absolut dramatisch in Szene gesetzt zum Einsatz, absolute spitzenklasse, da kann selbst Rammstein nur schwer mithalten. Ein perfektes Zusammenspiel von harter Rockmusik, klassischen Instrumenten und Elektro-Effekten.

Mein bester Feind“ – Punk. Das Schlagwort trifft es hier ziemlich gut. Die gute-Laune-Nummer auf dem Album. Der Song macht keine Pause und erinnert mich in positivster Weise an “Nummer 1“ von den Onkelz, auch der augenzwinkernde und spitze Text hat hier seinen Anteil: “Zu meinem Bedauern stelle ich fest, dass du nichts hinterlässt. Und was du sagst, ist nutzlos wie die Hoden vom Papst!“ Herrlich! “Angst“ – Selten wurde ein Gefühl, das wohl jeder kennt, so vielseitig und zutreffend in einem Text verarbeitet. “Ein schwarzer Prinz auf einem schwarzen Thron – die lauernde Fratze der Depression!“ Ein dunkles Lied. Das Intro ist unschlagbar gut und kraftvoll, das Lied insgesamt einer meiner Favoriten.

Stille Tage im Klischee“ – Lockert die Atmosphäre wieder auf und greift das gute, alte Thema “Alkohol“ auf. Natürlich verfeinert mit weidnerscher Textgenialität und gute-Laune-Refrain. Stephan Weidner arbeitet hier teilweise wie in einigen anderen Songs auch mit Verzerrungseffekten bei der Stimme, zum Glück immer passend und nie aufgesetzt oder nur zur Effekthascherei – nichts wirkt zufällig sondern gut durchdacht und einfach nur gekonnt inszeniert. “Stille Tage im Klischee, zwei im Sinn und einen im Tee. Ein klares JEIN zum Alkohol – Ich schieb die Schuld dem Bösen zu.

Schatten“ – Macht deutlich, dass es sinnvoll und oft auch nötig werden kann, die Vergangenheit hinter sich zu lassen, um einen Neuanfang starten zu können. Auch wenn ich mich wiederhole: genialer Text, mit den typischen Wortspielen Weidners. Stephan schafft es, eigentlich banale, einfache und eigentlich in Texten viel zu häufig verwendete Worte so zu strukturieren und gegen- bzw. miteinander spielen zu lassen, dass sie wieder genial und unverbraucht sind. “Vergiss nicht, zu vergessen – tritt aus dem Schatten und seinen Fesseln!

Bitte töte mich“ – der etwas andere Love-Song. Geht auch in Richtung Punk, mit schön obligatorischem “Whoohoohoo“ im Refrain und geilem Gitarrensolo. Hervorragende Wahl, Nina C. Alice von Skew Siskin für dieses Duett auszuwählen. Sie und Stephan harmonieren stimmlisch sehr gut miteinander und transferieren das spürbar geflossene Herzblut direkt in die Venen der Zuhörer. “Sind hier drin 1000 Grad, oder ist es Fieber? Wir tauschen unsere DNA und wir zeugen Krieger!

Zwischen Traum und Paralyse“ – der wohl traurigste Song auf “Schneller, höher, Weidner“. Abschied ist das Thema. Dieses Lied ist Stephans verstorbenem Freund Markus Löffel gewidmet. Um die Onkelz zu zitieren: “Für all diejenigen, die viel zu früh gestorben sind“. Und mit den Worten Weidners: “Mögen Engel dich begleiten, beim Segeln durch seltsame Zeiten. Du siehst auf mich mit tausend Augen – lass dein Licht für mich scheinen!“ Sehr gefühlvolle Ballade…

Liebesbrief“ – ist eine der musikalisch härteren Nummern, sehr basslastig und schön flott. Zusätzlich mit schon erwähnter verzerrter Stimme, ein Stilmittel das mir nicht häufig gefällt, in diesem Fall aber passend ist. Textlich ein augenzwinkernder Biografie- und Selbstdarstellungs-Trip – als “Dankeschön“ an pubertierende, Bravo-lesende W-Groupies: “Dagegen – das ist mein Leben! Mich in die Nesseln setzen – ja das kann ich am besten!“ Haut mich persönlich nicht vom Hocker, ist aber auf jeden Fall auch hörenswert.

Ein Lied für meinen Sohn“ – wie man am Titel schon ablesen kann ein sehr persönlicher Text für Stephans Sohn. Ein Wegweiser, ein Angebot zur Hilfe, ein Aufruf zur zukünftigen Eigenständigkeit. Sicherlich einer der persönlichsten Texte, die Stephan je geschrieben hat. “Bleib frei. Was immer du brauchst, ich versuche es dir zu geben! Und alles andere auch..“. Emotionaler und ehrlicher geht es nicht, ganz stark ist vor allem der Refrain.

Pass gut auf dich auf“ – hat wieder das Thema “Abschied“, diesmal im Zusammenhang mit einer endenden Beziehung, verletzten Gefühlen und der entsprechenden Verarbeitung der Vorgänge. Nicht unbedingt einer meiner Favoriten, textlich und musikalisch ist die Nummer (absichtlich) einfach gehalten. Trotzdem wird ein Gefühl gut transportiert, das wohl jeder kennt. “Mein Traum ging länger, als all mein Leben – es beginnt der Sturm in meiner Seele“.

Wie in den Besprechungen der einzelnen Lieder sicherlich schon deutlich wurde, hat Stephan Weidner hier ein regelrechtes Feuerwerk an Klasse abgeliefert. So sehr mich die Hörproben und die EP schon begeistern konnten, das vollständige Album toppt das Ganze und lässt keine Zweifel an der Berechtigung der vorangegangen Erwartungshaltung. Viel besser geht es nicht, hier hat jemand mit Geduld und Verstand ein Werk geschaffen, das nur so spriesst vor guten Ideen, tollen Arrangements und dem schon angesprochenen Herzblut. Als Zuhörer merke ich regelrecht, dass die Produktion und Veröffentlichung für Stephan Weidner einerseits eine große Freude, andererseits aber auch zu einem wahrscheinlich noch größeren Anteil Entlastung dargestellt haben muss. So viel Authentizität und Detailliebe kann man nur an den Tag legen, wenn man zu 100% dazu steht. Kommerz? Ich bitte euch, wer der Veröffentlichung dieses Meisterwerkes kommerzielle Absichten unterstellt, dem kann nicht mehr geholfen werden!

Natürlich bezieht sich das vor allem auf den Inhalt, aber auch auf das Äußere: auch hier wird die absolute Spitzenklasse fast noch übertrumpft, es gibt zwei Booklets mit allen Texten und eine entsprechende Bebilderung, das Ganze ist in einem Digipak verstaut, welches sich in einem Schuber befindet. Die Spielzeit von 54 Minuten ist auch mehr als ordentlich. Mir bleibt nichts anderes, als die Höchstwertung zu vergeben, und ohne dass ich den “W“ in den Himmel loben möchte: Weidner so!!

Review von Boris Fischer

Mehr zum Thema:

Offizielle Homepage: www.der-w.de

Bandprofil von Der W Stephan Weidner bei Pressure Magazine

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