Das Groezrock-Festival im belgischen Meerhout ging dieses Jahr in die 21. Runde. Und das wurde gebührend gefeiert! 34.000 Besucher aus ganz Europa waren angereist, um Bands wie Rancid, Refused, Hot Water Music und Anti Flag zu feiern und nach üblicher Festival-Manier so richtig auf die Kacke zu hauen. Und während von musikalischer Seite auch keine Wünsche offen blieben, ließ die Organisation an einigen Stellen leider etwas zu wünschen übrig.

Redakteurin Diana Ringelsiep war für Pressure Magazine vor Ort und berichtet.
 
Als die voll bepackten Festivalbesucher am Freitagabend den nicht enden wollenden Marsch vom Parkplatz Richtung Campingplatz antreten, nehmen sie das noch mit Humor. Doch angekommen am vermeintlichen Ziel, vergeht den meisten das Lachen dann doch. Denn dort werden sie mit tausenden anderen durch ein Nadelöhr auf den Campingplatz gezwängt. Zwei Stunden später, ist von Geduld und guter Laune nicht viel übrig. Auf den letzten Metern wird gedrückt, gedrängelt und geschimpft.
Auf dem heiligen Rasen angekommen geht dann ein Kampf um die Zeltplätze los, wie man ihn selten gesehen hat. Als schließlich alles steht, weiß so mancher nicht mehr zu seinem Zelt zu kommen. Wand an Wand aufgebaut, kein Platz, um Vorzelte zu spannen, keine Gänge dazwischen – geplante Lager mit Freunden, in deren Mitte man Tisch und Stühle aufstellen kann – Fehlanzeige.
 
Diejenigen, die mit Wohnmobil, Camper oder Bulli angereist sind, haben auf ihrem Campingplatz zwar mehr Platz, ihr Lager einzurichten, dafür aber ein anderes Problem: Zum Festivalgelände ist es von dort aus noch weiter zu laufen, als von den öffentlichen Parkplätzen aus. Bei einem Fußmarsch von 20-30 Minuten pro Strecke muss es also wohl durchdacht sein, ob man zwischen den Konzerten mal ein Bier auf dem Campingplatz trinken oder sich eine Jacke holen möchte, denn für solche „Ausflüge“ gehen mindestens eineinhalb Stunden drauf.
 
Doch auch wenn die Stimmung am Anreisetag etwas gedrückt ist – am Ende des Tages freuen sich alle auf die Konzerte am kommenden Tag und stoßen auf das anstehende Wochenende an.
 
Doch am nächsten Morgen dann böses Erwachen auf beiden Campingplätzen. Bei den Campern sind in der Nacht iPhones, Bargeld und sogar Festival-Tickets aus mehreren Wohnmobilen und Bullis gestohlen worden – und das, während ihre Besitzer darin geschlafen haben. Später hört man auch auf dem Zeltplatz immer wieder von Diebstählen. Langsam fällt es wirklich schwer, an der Stimmung mit der man sich auf die Reise gemacht hat, festzuhalten. Dabei hat das Festival noch gar nicht richtig angefangen.
 
Doch Bands wie Off With Their Heads, Reel Big Fish und die Bouncing Souls sorgen im Laufe des Tages schließlich dafür, die richtige Festival-Stimmung aufkommen zu lassen! So tanzt man sich den Ärger von der Seele und gönnt sich das ein oder andere Jupiter am Bierausschank. Besonders die niederländischen Punkrocker der Heideroosjes schaffen es am Nachmittag die Main Stage zu rocken. Textsicher grölt der Großteil des Publikums die niederländischen Songtexte mit, was nicht nur lustig klingt, sondern auch den Rest der internationalen Zuschauer zum Tanzen animiert. Später sorgen u.a. Face To Face, Lagwagon und Heaven Shall Burn dafür, die gute Atmosphäre zu halten, doch insgeheim fiebern alle nur einem Moment entgegen: Mitternacht. RANCID!
 
00:00 Uhr: Der überdimensionale „Pavillon“, über der Hauptbühne, ist mehr als voll. Die Spannung kaum auszuhalten. Gedränge von allen Seiten, hysterisches Lachen, Gesänge und „Rancid„-Rufe. Dann ist es soweit. Mit dem Song „Radio“ stürmen die etwas in die Jahre gekommenen Punkrocker aus Kalifornien auf die Bühne und lassen die Bombe platzen! Dass sie bereits 20 Bühnenjahre auf dem Buckel haben, ist ihnen nicht anzumerken, im Gegenteil! Tim Armstrong sieht aus, wie einem Rancid-Bilderbuch entsprungen, mit der schwarzen Kapuze, die er unter seinem Hut trägt. Lars Frederiksen kündigt einen Kracher nach dem anderen an und Matt Freeman massakriert seinen Bass wie nur er es kann.
 
Natürlich profitieren sie an diesem Abend davon, das europäische Publikum die letzten Jahre so auf die Folter gespannt zu haben. Doch bei einer Show wie dieser, wäre auch kein T-Shirt trocken geblieben, wenn sie erst am Abend vorher auf dem Campingplatz gespielt hätten. „Maxwell Murder“, „The Wars End“, „Fall Back Down“ – was will man mehr? Das war also Headliner Nummer Eins. Und zwar völlig zu Recht. In dieser Nacht kehren nur breit grinsende, glückliche Menschen zu ihren Zelten zurück.
 
Am nächsten Morgen ist die Erwartungshaltung groß. Ein straffer Zeitplan ist Programm, wenn man alles sehen möchte, was man sich vorgenommen hat. Mit Red City Radio und den MXPX-All-Stars geht es dann auch direkt sehr vielversprechend los. Um 14:00 Uhr steht dann schon wieder Lars Frederiksen auf der Bühne. Diesmal nicht mit Rancid, sondern den Old Firm Casuals und auch nicht auf der Hauptbühne, sondern der etwas kleineren Impericon Stage – der Stimmung tut das allerdings keinen Abbruch.
 
Ab 16.00 Uhr lohnt es sich dann erst mal nicht mehr, die Hauptbühne zu verlassen. Dort geben sich nämlich keine Geringeren als Hot Water Music, Alkaline Trio, Good Riddance und Thrice die Verstärkerkabel in die Hand! Blauer Himmel und Sonnenschein runden die allgemein herrschende Glückseligkeit ab und auch das Bier schmeckt gleich viel besser, wenn man sich zwischendurch mal auf der Wiese niederlassen kann.
 
Am frühen Abend zeigen dann die Pittsburgher Polit-Punks von Anti Flag auf der Impericon Stage, dass sie auch nach fast zwei Jahrzehnten Bandgeschichte kein bisschen ihrer Wut auf den Staat und die Politiker dieser Welt eingebüßt haben. Ohne, dass es nach leeren Floskeln klingt, machen sie dieser Wut Luft – auch zwischen den Songs. Das anwesende Publikum ist auffallend jung, außergewöhnlich viele Zuschauer sind mit dem Merch der Band ausgestattet und als bei „Die For Your Government“ alle geschlossen die Fäuste recken, ist das wie eine Zeitreise zu den ersten Anti Flag Konzerten die man selbst vor zehn Jahren besucht hat. Plötzlich weiß man wieder, wie sehr man damals daran glaubte, die Welt verändern zu können und bekommt augenblicklich eine Gänsehaut. Und schon streckt man selbst die Faust Richtung Bühne. Vielleicht, weil einem bewusst wird, wie wichtig es ist, dass es Bands wie diese gibt. Bands, die Generationen von Punkrockern zusammenbringen und dafür sorgen, dass uns der Nachwuchs nicht ausgeht.
 
Dass Künstler wie Anti Flag, Tom Gabel und Chuck Ragan (zusätzliche) Akustikshows auf dem Festival spielen, ist ja generell eine sehr begrüßenswerte Idee gewesen. Weshalb man Publikumsmagneten solcher Kaliber allerdings auf die Bühne eines winzigen, geschlossenen Zeltes stellt, bleibt wohl ein weiteres Geheimnis der Veranstalter. Allein bei Chuck Ragan stehen draußen anfangs so viele Leute wie drinnen. Allerdings nur solange, bis er das erste Lied anstimmt und sie enttäuscht feststellen müssen, dass sie dort nicht nur nichts sehen, sondern auch nicht wirklich etwas hören können.
 
Um 22:00 Uhr ist dann endlich soweit. Der langersehnte Höhepunkt des Festivals steht bevor. „REFUSED“ steht in Riesen-Lettern auf dem Bühnenbanner zu lesen, das von der Decke hängt. Als es schließlich mit einem Knall auf die Bühne fällt und der Großteil der Anwesenden zum ersten Mal mit eigenen Augen die Band erblickt, die vor 14 Jahren ihre Auflösung bekannt gegeben und es trotzdem geschafft hat, sich in den Soundtrack unserer Jugend zu spielen – ja, in diesem Moment läuft es einem einfach nur eiskalt den Rücken hinunter und dann kann man nicht anders als auszuflippen!
 
Dennis Lyxzén scheint genauso überwältigt zu sein, wie die zehntausenden Fans vor denen er steht. „Wisst ihr eigentlich, dass das hier das größte Konzert ist, das wir jemals gespielt haben?“, fragt er kopfschüttelnd, „Bevor wir uns vor 14 Jahren aufgelöst haben, hatten wir Probleme, 120-Mann-Clubs zu füllen. Und dann kommen wir wieder und stehen hier! Als Headliner auf dem Groezrock-Festival! Das alles ist unfassbar für uns!“ Und dann spielen sie weiter. Geben alles. Das Publikum dreht durch. Lyxzén fliegt über die Bühne wie eine Mischung aus Iggy Pop und Michael Jackson. Permanent schreiend – und das perfekt.
 
Nach einer knappen Stunde meldet er sich ein letztes Mal zu Wort. Ihm sei aufgefallen, dass bei all den Bands, die an diesem Wochenende aufgetreten seien, keine einzige Frau auf der Bühne stand. Ganz große Scheiße sei das und wenn die Veranstalter Refused noch einmal wiedersehen wollen, müssten sie erst mal an diesem Frauen-Mangel arbeiten! Sie haben sich also nicht verändert, machen den Mund auf und sagen, was ihnen nicht passt. Früher wie heute. Ein Glück.
 
Nach einer Stunde neigt sich das Vergnügen bereits dem Ende. Die Euphorie der letzten 60 Minuten beginnt sich mit Enttäuschung zu mischen, weil nun schon alles vorbei sein soll. Laute Zugaben-Rufe schmettern durch die Luft. Beinahe verzweifelt.
 
Dann kommen sie zurück: „The New Noise“! Dann hat sich niemand mehr unter Kontrolle. Tausende springen gleichzeitig los. Als sie das nächste Mal den Boden berühren, haben sie alle verloren, mit denen sie das Konzert bis dahin angeschaut haben. Doch das ist egal, denn die Hütte wird jetzt abgerissen.
 
Alles in allem war es ein tolles Wochenende, was in erster Linie natürlich an dem Bomben-Line-Up lag! Die seitlich offenen Pavillonzelte, die während der Shows vor Sonne und Regen schützten waren eine tolle Sache und auch die Bier-Preise auf dem Konzertgelände waren in Ordnung.
 
Doch bei einem Gesamtpreis von 125,00 € für ein zweitägiges Festival sollte man sich nicht in dem Maße über organisatorische Dinge ärgern müssen. Wenn Mitarbeiter bezahlt werden können, die den Leuten vor den Dixie-Toiletten Klopapierblättchen reichen, sollte es auch möglich sein, zusätzliche Eingänge einzurichten, um die Ankunft-Prozedur von 2-3 Stunden halbieren zu können.
 
Und auch wenn an der Entfernung zu den Parkplätzen nichts geändert werden kann, so sollte es doch wenigstens möglich sein, den Wohnmobil- und Bulli-Campingplatz etwas mehr ins Festivalgeschehen zu integrieren. Denn soweit vom Schuss dieselbe Campinggebühr wie alle anderen für eine Wiese zu bezahlen, auf der es drei Dixie-Klos für alle und keine einzige Dusche gibt, ist nicht wirklich fair und macht auch keinen Spaß.
 
Aber es gibt ja nichts, woran man nicht arbeiten kann.
 
Bericht von Diana Ringelsiep
 

 

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