Donnerstag, März 28, 2024

Rammstein – Liebe ist für alle da

Rammstein haben sich in den vergangenen Monaten bekannterweise wenig beliebt gemacht. Abmahnungen gegen Fanseiten, der Ticketverkauft auf eigene Faust, der alles andere als reibungslos ablief und zu guter letzte ein Video, von dem sich sogar die eigene Plattenfirma lautstark (und natürlich entsprechend PR-trächtig) distanziert hat. Schon vor der Veröffentlichung von „Liebe ist für alle da“ stand damit eine Frage im Raum: Provoziert die Band eigentlich auch noch auf musikalische Weise oder nur noch durch juristische Querelen und Ticket-Problemchen?

Nun ist das Album da und kurz vorab war in Interviews zu lesen, in dem man großspurig behauptet, dass keiner außer den sechs Mannen mehr böse sein wolle. Die letzten Alben über hat das hier und da zwar ganz gut geklappt, im großen und ganzen kamen „Rosenrot“ und „Reise, Reise“ jedoch manchmal schlicht zu beliebig rüber – Ausnahmen wie etwa „Benzin“ natürlich inbegriffen. Wohin geht „Liebe ist für alle da“? Zunächst mal ziemlich kräftig vorwärts, der Opener „Rammlied“ zeigt schon nach wenigen Sekunden, dass hier jemand ja doch noch Arsch treten kann.

Verspielte Elektronik zu Beginn, daraufhin die bekannte Bombast-Gitarrenuntermalung: Rammstein-typische Trademarks finden sich schon im zweiten Song der Scheibe, „Ich tu dir weh“. Wie der Titel vermuten lässt, greift man textlich einmal mehr in die S/M-Schublade – auch das kennt man von frühen Rammstein-Veröffentlichungen noch gut. Geht hier gar wer zurück zum alten Material? In Sachen gesellschaftliche Tabuthemen hat man ganz offensichtlich nichts verlernt. Daran knüpft „Wiener Blut“ nahtlos an – wer außer Rammstein könnte den Inzestfall von Amsdetten sowie die Entführung von Natascha Kampusch entsprechend darbieten? Richtig, vermutlich niemand, denn von Rammstein werden derartige Inhalte schließlich geradezu erwartet. Das hat schon beim Kannibalen von Rottenburg in „Mein Teil“ für Ärger gesorgt und auch dieses Mal werden die entsprechenden – wiederum PR-fördernden – Empörungen in der Presse nicht ausbleiben. Darauf kalkuliert man vielleicht nicht, aber Einspruch wird sicher ebenso wenig erhoben.

Hätten Rammstein jedoch nicht mehr drauf als bloße Provokation, wäre dieses Review hier zu Ende. Doch da ist noch „Haifisch“: Der groovt zunächst mal wie Sau, dann wird im Refrain wunderbar Mecki Messer persifliert und im Mittelteil finden sich auch noch Trompeter. Rammstein oder eine Swing-Band? Irgendwie beides und das erstaunlich harmonisch. Der Blick über die Genregrenzen kann jedoch auch daneben gehen, wie „Frühling in Paris“ zeigt. Eine Ballade und Rammstein können zusammenpassen, aber auf den Refrain in Französisch hätte man vielleicht doch besser verzichtet.

Dann lieber ein klischeeüberfrachteter, aber letztlich spassiger Track wie „Pussy“. Oder „Mehr“, mit dem man wohl tatsächlich einen Kommentar zur Wirtschaftskrise abgibt. Den natürlich nicht ohne ein gewisses Augenzwinkern, das beim Hörer schon ein gewisses Verständnis von Zynismus voraussetzt (und im Gegensatz zu den Hosen nicht „warum werde ich nicht satt?“ fragt, sondern gleich mal ein „ich werde nie satt“ draus macht). Zum Schluss des Albums dann nochmal ein Blick über den Tellerrand: „Roter Sand“ könnte direkt aus der Feder von Ennio Morricone stammen und gehört in einen staubtrockenen Italowestern, wo nicht viel geredet, sondern geschossen wird.

Was fehlt? „Liebe ist für alle da“, der Titelsong, erinnert zwar hier und da ein wenig an „Asche zu Asche“, vermag aber leider nicht länger im Ohr hängen zu bleiben. Gleiches gilt für „B********“. Diese zwei Lückenfüller außer Acht gelassen, können Rammstein immer noch auf ganz subtile, doppelbödige Weise böse sein. Wer’s nicht versteht, regt sich weiterhin fleissig auf (merke: schlechte PR gibt es nicht), wer will, kann darüber nachdenken und die Texte – die eben nur auf den ersten Blick einfach gehalten sind – entzurren (die eine oder andere Überraschung samt Lacher inklusive).

In musikalischer Hinsicht erfinden sich Rammstein selbstredend nicht neu, weshalb auch, die bisherige Mischung aus Elektro, Bombast und Industrial ist immer noch nicht durch. Hier und da einige Innovationen oder Retro-Anklänge, die manchmal klappen, manchmal daneben gehen, aber insgesamt auch nicht dafür sorgen, dass der Sound auf „Liebe ist für alle da“ die große Rammstein-Neudefinition wäre. Stattdessen kam ein Album dabei rum, dass durchaus unterhält, kurzweilig ist und in bekannter Manier für Grinsen sorgt. Wer die Band davor nicht mochte, wird es auch jetzt nicht tun, Fans oder Gelegenheits-Hörer dagegen dürften keinerlei Grund zur Klage haben.

Pressure Magazine
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