Label: Übersee Records / Long Beach Records
Veröffentlichung: 04 / 2007
Metal-Riffs, Punk und Ska in einem Song? Kling ungewöhnlich? Oder gleich unmöglich? Auf jeden Fall einzigartig, erstmal. Damit bekommen P.O. Box schon vor dem Review den Exoten-Status aufgedrückt. Und das ist noch längst nicht das einzige Alleinstellungsmerkmal der Band, wie der PR-Neusprech-Mann wohlklingend anmerken würde.
Die Eckdaten: P.O. Box kommen aus Nancy, Ostfrankreich, und sind seit 2001 unterwegs. Mit dem Album „… and the lipstick traces“ liefert die Band, die laut Booklet stattliche zehn Mitglieder zählt, 2007 ihr Debüt auf „Übersee Records / Long Beach Records“ ab, 13 Songs, knapp 36 Minuten. Und Ska, dessen Freund ich erklärterweise nie so recht war. Wäre das hier ein reines Ska-Album, wäre die Kritik sicher schon mit dem letzten Absatz zu Ende gewesen, man darf mir hier gerne Verbortheit attestieren. Aber es ist ja nicht nur Ska, was „P.O. Box“ machen, da sind ja noch die Riffs. Die klingen schon schwer nach Punk, schnell vorwärts, pointiert, nicht gerade kompliziert.
Hier und da ein deutlicher Metal-Einschlag, da wird’s dann doch schwerer, wie beim Opener „N.C.“ oder „Chalk it up to the experience“. Doch kaum gewöhnt man sich dran, wird’s plötzlich Ska. Und die Mische passt gar, geht ins Ohr, macht Spaß.
Mehr noch: Im Booklet gibt man sich ungewöhnlich nahbar, den Lyrics geht erst mal ein kleineres Manifest voraus, demzufolge wir uns auf okönomisch und kulturell auf ein neues Level zubewegen, was den Konsum von Musik anbelangt. Und „P.O. Box“ deshalb komplett unter Creative Commons License stehen. Richtig gelesen, das ganze Album kann auch kostenlos und legal aus dem Netz geladen werden.
Damit verpasst der Hörer allerdings das innovative restliche Booklet. In dem stehen nämlich nicht nur die Lyrics, sondern auch Erklärungen zu deren Bedeutung. Klasse, hier will jemand seine Hörerschaft zum Denken anregen. Das schließt die Möglichkeit aus, dass es sich um Spaßpunk handelt, et voila: Konsumkritik, Amerika-Kritik sogar Kritik an der so genannten Independent-Szene. Prima, langsam gefällt das richtig.
Zu guter letzt dann hinten drauf eine ausführliche Erklärung, dass der Albumtitel eine Hommage an den „Lipstick Traces: Secret History of the 20th century“ betitelten Essay des Kulturkritikers Greil Marcus handelt. Versehen mit einem Link zum entsprechenden Wikipedia-Eintrag. Puh, hier ist jemand wirklich Creative Commons, was die Verbreitung von Wissen und Kultur anbelangt. Sehr konsequent, nächster Pluspunkt.
Zusammenfassend bieten „P.O. Box“ solide Kost in musikalischer Hinsicht, dort mit ihrer durchaus einzigartigen Mischung auch etwas Einzigartiges, das bestenfalls Querverweise an die Mad Caddies oder Against Me! zulässt und Fans dergearteter Combos auch zusagen dürfte. Textlich gute politische Kost. Und der fette Bonus für den kreativen Umgang mit neuen Medien und dafür, dass man sich mal Gedanken über den Wert der Ware Musik macht, statt nur nen Copy kills music – Sticker auf die CD zu drücken und damit singend Richtung Untergang des Formats zu spazieren.
Wertung: 0=5 Sterne