Samstag, April 20, 2024

Fucked Up – The Chemistry of Common Life

Label: Matador
Veröffentlichung: 17.10.2008

Das wird eine längere Geschichte, wer also keine Lust drauf hat, links hiervon stehen die Sterne, das sagt oberflächlich schon mal so gut wie alles. An die neue „Fucked up“ unvoreingenommen heranzugehen, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Schließlich hat die Band, seit Kollege as mir irgendwann 2007 „Hidden World“ vorgespielt hat, einen Stand bei mir, der gelinde gesagt als „hoch“ beschrieben werden kann. Das hat einen einfachen Grund: Sie machen etwas, das ich zum damaligen Zeitpunkt für nicht mehr so recht möglich gehalten hatte: Hardcore mit dem Flair jener Tage, als Konzerte noch in Garagen und Wohnzimmern stattfanden, als das Wort „Eintritt“ bestenfalls die Beschreibung für den Sechserträger Bier war, den jeder mitbrachte. Die Tage, über die heute 400-seitige Bücher wie „Dance of Days“ geschrieben werden. Letztlich eine Zeit, die man altersbedingt nicht mitbekam und daher bestenfalls in Zelluloidvariante verehren kann, „American Hardcore“ hat da ja schon ganze Arbeit geleistet. Hoffnungslose Romantisierung sei hier also gestattet, denn eines ist klar: „Fucked up“ haben das gepackt. Schweißtreibend, intensiv, laut, dreckig, obszön, schnell, was auch immer. Und dabei doch nicht so klingend, als wolle man etwas wiederherstellen, dass schon lange zerklüftet und kaputt ist, sondern auf einem ganz neuen Level agieren. Songs mit sieben Minuten Länge, die dennoch Hardcore von der ersten bis zur letzten Sekunde sind? Kein Problem, wer hat gesagt, dass man sich nicht ein zweiminütiges Intro leisten könne, dass erst langsam dahinfliesst, sich dann mehr und mehr steigert und letztlich in Riffs endet, die jeden Toughguy-Muscleshirt-Moshpit das Fürchten lehren? Eben. Das hat die komplette Scheibe über ohne Aussetzer geklappt, im Gegenteil, mit „Vivian Girls“ wurde ein Schlusspunkt gesetzt, der eigentlich nur offene Münder hinterlassen kann. Seither ging das ja nicht anders weiter: 18-Minüter über Schweine, dazu arg gewalttätige Videos auf Youtube, hier ein Skandal, dort ganz viel DIY, Interview-Statements die gleichermaßen von viel Wissen wie auch bösem Humor zeugen. Und nun „The Chemistry of Common Life“, nicht mehr auf Jade Tree, sondern Matador. Elf Titel, fast 53 Minuten, vom Drei- bis Siebeneinhalbminüter alles dabei. Und ein denkbar guter Start mit „Son the Father“. Es ist klar, dass das Flöten-Intro nur der Anfang ist, klar, dass die langsam auftauchende Gitarre schneller werden wird, ebenso dieser Elektro-Effekt und nach einenhalb Minuten endlich ein heiserer Schrei, zehn Sekunden später Pink Eyes und die Gewissheit, dass sich zu diesem Song in Minutenfrist ein Wohnzimmer samt darin befindlichen Personen zerlegen lässt. Das funktioniert selbst mit deutlich hörbaren weiblichen Vocals, das ist die Platte, die ich erwartet hatte, die ich hören will. Die Platte, die mich mit „Magic Word“ bereits das erste mal vor den Kopf stößt. Pardon, aber was ist das denn bitte? Schön, da sind die schrammeligen Passagen bei, aber dieser Midtempo-Aufbau passt einfach nicht. Daran ändert auch der zähflüssige Songaufbau, für den man die Band ansonsten mag, nichts. Damit kein Ende: „Golden Seal“ kann gerne leicht melancholisch anfangen, auch die dezent eingesetze Elektronik kann sich mit so etwas gut verstehen. Insofern es nicht in einem dreieinhalb Minuten langen Instrumental wie diesem endet, dass belangloser nicht sein könnte. Dafür knallt „Days of Last“ zunächst mal wieder ordentlich, „Fucked up“ nehmen sich wieder viel Zeit, um den Song einzuläuten, was leider nicht verhindert, dass es dem Track als ganzem betrachtet an Abwechslung fehlt. Kaum Tempowechsel, arg monoton und alles andere als auffällig oder mit Ecken und Kanten. „Crooked Head“ ist hier schon zwingend nötig, hier könnte der Anfang auch problemlos aus „Hidden World“ übernommen worden sein. Zehn Punkte hierfür, der Song enthält wieder alles, was man an „Fucked up“ schätzen kann. Gleiches gilt für das schon vorab veröffentlichte „No Epiphany“, wo eben jene Zähflüssigkeit, die die Band auszeichnet, nicht in Monotonie, sondern beeindruckender Vielfalt dargeboten wird. „Black Albino Blues“ ist dann trotz arg melancholisch angehauchtem Refrain vielleicht sowas wie ein Album-Highlight. Das leider nicht darüber hinwegtäuscht, dass es von nun an merklich in die andere Richtung weitergeht. „Royal Swan“ nervt einfach nur, vielleicht liegt es an der Orgel, vielleicht an den grausam schrägen, weiblichen Background-Vocals. „Twice Born“ dagegen stellt nochmal so etwas wie einen Lichtblick dar, hier klappt es eben doch mit zwei Sängern, respektive einer Sängerin. „Looking for God“ ist ein schönes Instrumental, durchaus traurig, sauber aufgebaut und leider vorhersehbar, deshalb aber nicht weniger packend. Bleibt „The Chemistry of Common Life“, solide „Fucked up“-Kost, die einfach nicht recht zünden will. Und damit wäre es das. Viele werden die Band für diese Scheibe feiern, Dinge über kreative und stilistische Feuerwerke, die man hier abfackelt, schreiben. Oder „Fucked up“ für ihre Nonkonformität in alle Himmel loben – denn das muss man der Band lassen, sollte es ihr Stil sein, keinem Stil treu zu bleiben, dann bringen sie das auf „The Chemistry of Common Life“ schon arg glaubhaft rüber. Dennoch machen Elektronik-Experimente oder weibliche Backing-Vocals noch keine gute Platte und passen nicht zu jeder Band. „The Chemistry of Common Life“ hat sicher für Fans, die den Vorgänger und einige des zahllosen EPs kennen, einiges Bekanntes mit an Bord. Aber es reicht nicht an ein „Hidden World“ heran, dafür sind zu viele Durchhänger, zu viele Langweiler enthalten. Es fehlt die Abwechslung, das Neue, dass den Vorgänger seinerzeit zu einer Platte machte, die glauben ließ, die 80er wären nie zu Ende gegangen und Hardcore würde weiterhin in stinkenden Wohnzimmern gemacht. „Fucked up“ haben selbiges leider verlassen und bewegen sich auf „The Chemistry of Common Life“ bevorzugt auf sicheren, oft einfach nur seicht dahindümpelnden Pfaden. Verdammt schade.

Wertung: 0=3 Sterne

Pressure Magazine
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