Dienstag, April 23, 2024

Der W – Geschichtenhasser

Klar ist schonmal, dass die Fans einiges erwartet: es handelt sich hier schließlich nicht um irgendeinen Künstler, sondern um den ehemaligen Bassisten und Chef der Böhsen Onkelz, einer der erfolgreichsten und kontroversesten deutschen Bands überhaupt. Zu der damit begründeten Vorfreude auf neues Material der ehemaligen Bandmitglieder gesellt sich seit Monaten auch die gewaltige Werbetrommel seitens des W, der auf seiner Homepage alle digitalen Mittel nutzt, um die Spannung und Gier auf sein Album ans Maximum zu treiben. Die Hörproben waren schon sehr vielversprechend, ebenso die präsentierten Videoschnipsel zur Produktion sowie die mitwirkenden Gastmusiker (u.a. Pro Pain und Jacob Binzer, Gitarrist von D-A-D).

Soweit das Vorgeplänkel, kommen wir zu den Fakten und vor allem zur Musik: “Geschichtenhasser“ erinnert anfangs musikalisch als auch beim Gesangsrhythmus an “Narben“ von den Böhsen Onkelz. Kurze Unterbrechung: ich denke, dass in diesem Fall die Vergleiche mit den Onkelz durchaus sinnvoll und gerechtfertigt sind, da ich davon ausgehe, dass ein Großteil der potentiellen Hörer des “W“ nunmal Onkelzhörer sein werden. Weiter im Text: “Geschichtenhasser“ ist eine nette, punkige Nummer, der Bass kommt gut zur Geltung, genau so die gut eingesetzte Leadgitarre. Vom Stil her ist die Nummer nicht weit entfernt von den letzten Aufnahmen Weidners, sprich der Maxi-CD der Nordend Antistars zur Weltmeisterschaft 2006.
Als Hörer fühle ich mich direkt wohl und freue mich, irgendwie wieder “zuhause” zu sein – die Musik, der philosophisch angehauchte und trotzdem direkte Text, der Chor im Hintergrund – kann man das poppig oder gar charttypisch nennen? Ja, kann man – ist aber nicht schlimm, hört sich nämlich gut an. “Du kannst es“ ist mein Favorit auf der EP. Auch schön rockig, zusätzlich mit Effekten versehen, wird uns hier ein absolutes Motivationsmonster geboten – der Text ist eine reine Aufforderung, den Arsch hoch zu kriegen und sich selbst aus der Scheisse zu ziehen und an die eigenen Stärken zu glauben: “Es wird nie einfach sein, nichts kommt von allein..du kannst es, du kannst es, ja du kannst es! Heile dich selbst, steh auf wenn du fällst..ja du kannst es!“ Banal, altbekannt – und trotzdem wie gesagt mein Favorit, da Stephan diese Nummer dermaßen gut und emotional inszeniert. Vor allem zum Ende kommen mir die elektronischen Effekte aber ein bischn zu viel zum Einsatz, das wäre nicht nötig gewesen, stört aber nicht weiter. “Liebesbrief“ ist die musikalisch härteste Nummer, sehr basslastig und schön flott. Zusätzlich mit verzerrter Stimme, ein Stilmittel das mir nicht häufig gefällt, in diesem Fall aber passend ist. Textlich ein augenzwinkernder Biografie- und Selbstdarstellungs-Trip – als “Dankeschön“ an pubertierende, Bravo-lesende W-Groupies: “Dagegen – das ist mein Leben! Mich in die Nesseln setzen – ja das kann ich am besten!“ Haut mich persönlich nicht vom Hocker, ist aber auf jeden Fall auch hörenswert. “Und wer hasst dich?“ (dieser Song ist nur im Paket bei itunes enthalten – mehr dazu weiter unten!) ist musikalisch zwischen den bisher vorgestellten Songs einzuordnen.
Textlich zieht Der W hier wieder alle Register und beschreibt Selbstgefälligkeit, Selbstverliebtheit sowie Überheblichkeit: “So selbstverliebt, dass du nicht merkst: du bist der Dolch in ihrem neidischen Herz!“ Der Text ist der stärkste auf dieser EP, typisch Weidner – absolut direkt und trotzdem metaphorisch geprägt – mir fällt kein anderer Songschreiber ein, der diese beiden Textmerkmale so gekonnt kombinieren kann. Als Bonus gibt es auch noch ein Video zu “Geschichtenhasser“, welches hauptsächlich Herrn Weidner in Aktion zeigt und im schwarz/weiss-Comicstil gehalten ist. Die Technik gefällt mir sehr gut, allerdings stören mich die sehr schnellen Schnitte ziemlich – obwohl ich von Filmen schon einiges gewohnt bin. Deshalb geht der Daumen hier nur schräg nach oben. Kommen wir zu einem Fazit, meine Damen und Herren: die Erwartungshaltung war im Fanlager über alle Maßen groß, um nicht zu sagen überdimensional! Meine anfangs eher verhaltene Stimmung stieg mit den Hörproben ebenfalls in ähnliche Sphären – und wird mit dieser EP nun auf diesem Level gehalten.
Stephan Weidner schafft es, die musikalischen Stärken seiner Böhsen Onkelz weiter zu nutzen und setzt dazu gewohnt gekonnt seine Texte mit Wiedererkennungswert ein. Der W rockt wirklich und hat keine leeren Versprechungen abgegeben, das ist bester Deutschrock, der Lust auf mehr macht und die Wartezeit auf das Album mehr als nur überbrückt! Wer sich die EP besorgen möchte, kann das ab heute unter anderem bei iTunes tun – hier gibt es sogar einen Bonussong (“Und wer hasst dich?”) im Paket, der sonst nirgendwo erhältlich ist. Wer lieber die greifbare, normale CD haben möchte, muss sich noch eine Woche gedulden und kann dann im CD-Laden um die Ecke zugreifen.
Pressure Magazine
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