Donnerstag, März 28, 2024

Broilers – The Anti Archives – DVD Review

Die „Jüngste Oi!-Band Deutschlands“ von einst ist erwachsen geworden – oder wie Blumendraht die Karriere der Broilers besiegelte.

Nach nunmehr 15 Jahren Bandhistorie war es für die Broilers Zeit mit „The Anti Archives“ ein Resümee zu ziehen und das bisher Erlebte auf einer Doppel-DVD festzuhalten. Das mir nun hier vorliegende Ergebnis ist nicht nur optisch sehr ansehnlich aufgemacht, sondern beinhaltet auch eine unglaubliche Menge an Filmmaterial. Was die vier Jungs und die Dame hier servieren ist ein mehr als zwei Stunden Live Set, im ausverkauften „Stahlwerk“ in ihrer Heimatstadt Düsseldorf, garniert mit einer Show im zum Bersten gefüllten Leipziger Kultclub „Conne Island“. Doch damit nicht genug, denn auf der zweiten DVD gibt es zusätzlich noch eine 90 Minuten lange Dokumentation über die frühen Anfänge und die Entwicklung der fünf Düsseldorfer.

Im Folgenden wende ich mich erst einmal der zweiten DVD zu, die den Dokumentations-Teil über die Band beinhaltet. Der Doku-Teil ist aus haufenweise altem und neuen Videomaterial zusammengestellt worden und ermöglicht eingefleischten und jungen Fans einen interessanten Einblick in längst vergangene Zeiten der Band. Überraschend ist insbesondere, dass die beiden Knirpse Andy und Sammy schon in jungen Jahren den ganzen Quatsch, den sie veranstaltet haben, wie beispielsweise ihre Kindereien auf der Fahrt zum Erlebnispark, mit eigener Videokamera für die Ewigkeit festgehalten haben. Beim Anblick dieses Videomaterials kann sich der Betrachter auch lebhaft vorstellen, welchen Spaß die Hauptprotagonisten bei der Vorauswahl ihres eigenen Materials vor dem Schnittpult gehabt haben müssen.

Man erinnert sich also zurück an die Zeit in der alles begann – An das Jahr 1992. Im zarten Alter von gerade mal 11 oder 12 Jahren lernten sich Andi Brügge und Sammy Amara im Religionsunterricht kennen, und nach ein Paar anfänglichen Differenzen, ein wenig später auch mögen. Von dem Gedanken besessen einmal wie ihre großen Idole, die Sex Pistols, auf einer Bühne zu stehen und einfach nur Krach zu machen, wünschten sich die Jungs zu Weihnachten ein Schlagzeug und eine Gitarre. Für diese herbeigesehnten Geschenke hatte der gute alte Santa Claus wohl ein Herz, so dass sie schließlich auch unter dem Weihnachtsbaum der beiden Knirpse lagen. Als in jener Nacht, beim ersten Experimentieren mit der Gitarre, Sammy eine Saite riss, wollte er das Gitarrenspielen schon gleich wieder an den Nagel hängen – doch der Vater von Sammy fackelte nicht lange und reparierte „situationsfachmännisch“ die Gitarre, indem er die gerissene Saite spartanisch mit einem Blumendraht zusammenknotete. Gewusst wie! Nun mit funktionstüchtigem Equipment ausgestattet, standen gemeinsamen Proben nichts mehr im Wege. Der Keller von Andi’s Eltern fungierte als Proberaum und die ersten musikalischen Gehversuche unter dem Bandnamen „Die Jünger“ wurden unternommen. Von einer Beherrschung der Instrumente konnte man zu dieser Zeit aber wirklich noch nicht sprechen. Darauf kam es aber damals auch gar nicht an, solange man selbstbewusst -vorwiegend ohne jegliche Englisch Vorkenntnisse-, bekannte Songs der musikalischen und optischen Vorbilder, wie zum Beispiel die Sex Pistols oder The Clash covern konnte, und einfach Spaß daran hatte. Selbstverständlich standen auch deutsche Punksongs hoch im Kurs, so dass Songs von den Toten Hosen, den Ärzten, Slime oder Normahl mit auf der Cover-Tagesordnung standen. Die Band selbst stellt ironisch mit Blick auf ihre Vergangenheit fest, dass Andys Punkerfrisur, damals der eines Trolls glich. Dem kann man als Betrachter nur süffisant zustimmen, allerdings stellt man auch hinsichtlich Sammy’s Frisurenexperimenten fest, dass in der Vergangenheit einige optische Parallelen zum Sänger der Teenieband Tokio Hotel, Bill Kaulitz bestanden. Gott sei dank kann man da nur sagen, dass sich Sammy`s Optik zum Guten entwickelt hat. Aber Spaß beiseite, wir waren ja alle einmal jung und haben vermutlich auch alle ähnliche schockierende Stylecrimes durchlebt. 😉

Nach einigen Besetzungswechseln rekrutierte die junge Band 1994 die bezaubernde Bassistin Ines – die, unklar, ob wegen der Band, oder dem unwiderstehlichen Charme des Schlagzeugers Andi, bis heute die Band bereichert. Durch die ersten Kontakte mit der Skinheadszene und fasziniert vom Spirit of ´69 veränderte sich nicht nur der Musikgeschmack, sondern auch das Auftreten der Band. Gehört wurde nun vermehrt englische Oi!- und Ska- Musik, die Mode wandelte sich, Creeper Shoes und Dr. Marten Boots standen derzeit hoch im Kurs. Der smarte Sammy bastelte sich sein erstes Ben Sherman „Button down“, indem er dem Kleiderschrank seines Vaters ein kariertes Hemd entnahm und sich daran kurzerhand zwei Knöpfe an den Kragen näht um den Style perfekt zu machen.

Auf der Suche nach einem dem Genre entsprechenden Bandnamen entscheidet man sich für „Broilers“ – wegen des Oi!`s im Namen, ganz so, wie es sich für eine richtige Oi-Band damals auch gehörte.

Nun endgültig angekommen in der antirassistischen Oi! und Rudeboy Szene folgen die ersten eigenen Songs und die ersten Konzerte vor stetig wachsendem Publikum. 1997 bewirbt man sich mit den ersten Aufnahmen beim damaligen Scumfuck Label, bei dem die Broilers schon kurz darauf ihre erste 7-Zoll Single „Schenk Mir Eine Blume“ veröffentlichen. Ein Jahr später folgte dann das erste Debütalbum „Fackeln im Sturm“. Den Respekt der damals eher verschlossenen Szene, hatte sich die Band damit verdient. Von nun an lag es unter anderem auch in den Händen der Broilers, die Szene mitzugestalteten, was bei einem Rückblick aus der heutigen Zeit auch unübersehbar deutlich zu Tage tritt.

Die Zeit vergeht und die Musik von Rancid, den Dropkick Murphys und Social Distortion prägt die Entwicklung der Band. Man beginnt den Musikstil weiterzuentwickeln. Die verschiedenen Einflüsse schlagen sich auf das nun folgende Album „Verlierer Sehen Anders Aus“ nieder, welches 2000 von dem österreichischen Label DSS Records veröffentlicht wurde. Auch die Bandbesetzung ändert sich. Gitarrist Menke verlässt aus privaten Gründen die Band.

Kurz darauf zieht ein cooler Punker mit hohem Iro aus der Parallelklasse die Aufmerksamkeit von Andy und Sammy auf sich. Kurzerhand lädt man diesen in den Proberaum ein und macht Ron, nach einem kurzen Vorspiel zum festen Bestandteil der Band. Unter die ursprüngliche Ausrichtung des Oi!-Punk mischen sich im Laufe der Zeit immer mehr musikalische Einflüsse aus dem Rock’n’Roll-Bereich und -resultierend aus diversen Bandfreundschaften- auch verschiedene Einflüsse des Psychobilly-, Ska- und Reggae. Mit jeder weiteren Veröffentlichung verabschiedet sich nicht nur die Band, sondern auch Teile ihrer bisherigen Anhängerschaft, aus der Oi! Szene. Das musikalische Spektrum öffnet sich somit Schritt für Schritt für eine breitere Hörerschaft bestehend aus völlig unterschiedlichen Bereichen. Gründe, für die nun sehr breit aufgestellte Hörerschaft sind mitunter in dem mittlerweile Genreübergreifende Musik-Mix und die Experimentierfreude der Band, die sich von nun an auch hin und wieder durch Einladungen von Gastmusiker bei Songproduktionen inspirieren lässt, zu sehen.

Diese Phase der Wandlung wird in der Dokumentation sehr deutlich durch den Beitrag über den legendären Besuch beim ehemaligen Jugend- und Mediensender Giga TV im September 2005. Die Broilers waren von Giga eingeladen worden, um ihr neues Album „LOFI“ und ihr Video „Ich Bin Bei Dir“ zu präsentieren. Die Gelegenheit wurde seitens der Band genutzt, um die Zuschauer über den Ursprung der unpolitischen Skinheadszene aufzuklären und so Vorurteile aus dem Weg zu schaffen. Trotz eines überzeugenden Interviews von dem sympathischen wirkenden und souverän auftretenden Sammy, warf die Szenepolizei der Band „Verrat“ und den „Verkauf ihrer Seele“ vor.

In diesem Zeitraum stößt Chris zur Band, der nach einem Casting-Aufruf über die Broilers Webseite zu einem Vorspiel geladen wird und durch seine Orgel- und Keyboard-Künste überzeugen kann. Das ehemalige Bandmitglied der Porters ergänzt die musikalischen Strukturen maßgeblich.

Abgerundet wird der Doku-Bereich insgesamt durch einige witzige und interessante Zwischensequenzen, in denen Kommentare von Freunden der ersten Stunde zu hören sind. Darunter finden sich Persönlichkeiten wie Markus Claas, der auf seinem damaligen Label die erste Single der Band produzierte oder der ehemalige Gitarristen Michael Menke (1998-2001). Auch befreundeten Bands wie Volxsturm, oder 4 Promille, sowie Spiller von Emscherkurve77 oder Eddy von Loikaemie kommen zu Wort und haben „wilde Räubergeschichten“ auf Lager. Auch Kommentare ihrer Label Kumpanen The Generators und The Grit sind vertreten. Diese Ordensschwestern haben mit den Broilers, schon so manche Aftershow-Party und durchzechte Nacht erlebt und plaudern hier ordentlich und ganz privat aus dem Nähkästchen.

Zusätzlich zum Doku-Bereich bietet der Bonusteil außerdem noch alle je produzierten Musikvideos der Band, die sämtlich in Eigenregie entstanden sind. Sammy’s direkter Draht zu Film- und Kunststudenten hat in Verbindung mit seinem Perfektionswahn dazu geführt, dass eine Reihe an wirklich ansehnlichen Videoclips das Licht der Welt erblickten. Unter ihnen die Songs „Hey Suburbia“ (2004), „(Ich bin) bei Dir“ (2004), „Ich sah kein Licht“ (2006), „Meine Sache“ (2007), „Ruby Light & Dark“ (2008).

Als besonderen Gimmick kommt als Beilage zur limitierten DVD-Edition eine 3D-Brille, mittels der sich der Zuschauer die neuste Videoinszenierung zum Song „Zusammen“ (2009) ansehen kann. Die spezielle 3D-Brille verschafft dem Clip einen ganz besonderen räumlichen Eindruck, der die Künstler und deren Instrumente für den Betrachter nahezu greifbar werden lässt.

In alter D.I.Y-Tradition kommt das Coverartwork der DVD natürlich auch diesmal aus der Feder des „Pixelschiebers“ Sammy Amara. Wie bekannt sein dürfte, gibt der gelernte Grafikdesigner hier ungern die Zügel aus der Hand und vereint die Funktion des Artdirektors, Supervisors und Cutters gerne in seiner Person.

Fakt ist, dass eine Produktion in einem derartigem Umfang neben Liebhabern und Gönnern auch Neider auf den Plan rufen und ganz klar die Lager spalten wird. Der vorwurfsvolle Ruf „Kommerz“ wird sich wie immer kaum vermeiden lassen. Aber dieses Phänomen, ist mittlerweile ja bei jeder Band bekannt, die im Laufe der Jahre an Bekanntheit zugenommen hat und sich dann im Rahmen der Selbstvermarktung derartiger Merch-Artikel wie der einer DVD bedient. Gerade weil die Bandmitglieder sich nie mit dem zufrieden gegeben haben, was sie erreicht haben, sondern sich steht’s selbstkritisch hinterfragt und neu erfunden haben, dürfte diese DVD nicht nur für langjährige Begleiter, sondern auch für neue Fans der Band unterhaltsam und interessant zugleich sein.

Ich glaube daher nicht, dass diese Art der Selbstvermarktung den Broilers letztlich schaden wird. Schon ihr beschriebener Wandel, weg von der Skinheadszene rief viel Kritik hervor, wurde aber konsequent beibehalten und nicht zu letzt gerade wegen ihrer Weiterentwicklung mit einem Haufen neuer Fans belohnt. Vielmehr wird der jugendliche Charme der Band, gepaart mit Ehrgeiz und Kreativität, den Broilers auch in Zukunft eine generationsübergreifende Fangemeinde bescheren, neue Trends setzen und auch noch den ein oder anderen Fan der ersten Stunde begeistern können.

DVD Review von Marcus Liprecht

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