Als sich 4 PROMILLE 2007 auflösten, dachten viele Fans: „Das war’s, die sehen wir nie wieder!“ Aus „nie“ wurden dann doch nur vier Jahre, und seit 2011 sind die Düsseldorfer Oi!-Legenden wieder unterwegs. Nach einigen Besetzungswechseln meldet sich die Punkrockkapelle nun ohne Volker Grüner und auch ohne Sängerin Melly als Quartett zurück – Martin Bayer und Thomas (Pommes) Müller an Gitarre und Gesang, Ralf (Basspromillo) Schmidt am Bass und Jason Kubke am Schlagzeug. Und jetzt, ganze 10 Jahre nach dem letzten Album „Vinyl“ oder genauer 8 Jahre nach einem kurzen Lebenszeichen mit der EP „Reset“, steht mit Zeitgeist endlich der neue Longplayer in den Startlöchern.
Die Rückkehr der Durstigen: 4 PROMILLE sind wieder da!
Man könnte fast meinen, die Band hätte die letzten zehn Jahre damit verbracht, das Geheimnis ewiger Jugend zu ergründen, denn „Zeitgeist“ klingt, als wären sie nie weg gewesen. Klar, da sind sie, die vertrauten Klänge von damals: rau, direkt und glasklare, wie auch eingängige Stimme des Sängers. Doch da ist auch etwas Neues, vielleicht sogar… eine Prise Reife? Ja, richtig gehört. Denn zwischen den Hymnen über Bier, Freundschaft und den obligatorischen Kater am nächsten Morgen haben sich auf einmal Themen wie Verlust, Liebe und der Tod eingeschlichen. Aber keine Panik – das ist immer noch 4 Promille, nur eben mit einer überraschend emotionalen Note. Quasi: Alk und Philosophie.
Der Albumauftakt? Wie es sich gehört, mit einem instrumentalen Intro, das Bock macht – live wird dieser Einstieg sicher auch großartig zünden. Direkt im Anschluss gibt es mit „Bereit“ das erste ordentliche Brett. Der Song ist eine pathetische „Wir sind wieder da und bereiter als je zuvor“-Nummer, die vor Energie nur so strotzt. Doch hinter der kraftvollen Fassade steckt mehr: „Bereit“ ist auch eine Abrechnung mit verlogenen Weggefährten und falschen Freunden, die den Weg der Band gekreuzt haben. Keine Frage, hier ist viel Herzblut drin, und man kann förmlich spüren, wie die Jungs auf der Bühne schwitzen werden, wenn dieser Song die Meute zum Toben bringt.
Nostalgie trifft auf neue Energie: Der „Zeitgeist“ von gestern und heute
Zeitgeist, der Titeltrack, stellt sich dann die uralte Frage: „Früher war alles besser?“ – wirklich? Hier servieren 4 PROMILLE eine feine Reflexion über Vergangenheit und Gegenwart, verpackt in allerbesten Oi!-Punk. Es ist ein typischer 4 Promille-Song, der Fans der alten Tage genauso wie neue Hörer abholen wird. „Früher war alles besser..“ – wer hätte das gedacht? Aber hey, wie war das noch mit der „Alten Schule“? Richtig, 4 Promille bleiben sich treu, auch wenn die Jahre ins Land gezogen sind.
Eine Überraschung wartet mit „Lied vom Rhein“. Erwartet man hier eine Hommage an die Heimat, bekommt man einen Uptempo-Track, der irgendwo zwischen Nostalgie und völlig absurden Textzeilen schwankt. „Wir sind wie Rost am Fahrrad, wir gehen hier nicht weg“ – klingt ganz sympathisch. Doch der Vergleich „wie Pilz am Pimmel“? Uff. Da hätte vielleicht eine weibliche Meinung, wie etwa die von Melly aus der früheren Bandbesetzung, im Songwriting ganz gut getan. Trotzdem: Die Nummer macht irgendwie Bock, und musikalisch geht das Ganze ordentlich rock’n’rollig à la „Johnny B. Goode“ nach vorne. So lautet die Quintessenz des Liedes „Jedes Arschloch kann hier glücklich sein. Arm oder reich hier sind alle gleich“.
Für alle Freunde der gepflegten Erinnerungslücken gibt’s „Blackout“. In bester 4 Promille-Manier besingt der Song die Eskapaden durchzechter Nächte, und das mit einem herrlich ska-lastigen Rhythmus, der live garantiert jeden Saal zum Skanken bringt. „Verdammt, was hab ich nur gemacht, mir fehlt ja fast die ganze Nacht“ – wer hat das nicht schon mal gedacht? Hier zeigt die Band wieder ihre humorvolle Seite, und wenn die Menge bei Konzerten mit Bierchen in der Hand „Blackout“ grölt, dürfte das einer der besten Momente der Show werden. Obendrein gibt „Blackout“ dem früheren Band-Klassiker „Ich werd‘ mich ändern“ förmlich die Klinke in die Hand. „Ich ruf gleich mal die Bande an, und dann fangen wir von vorne an“. Soo sieht’s aus!
Doch es gibt auch ernstere Töne auf Zeitgeist. Der Song „Abschied“ behandelt das Ableben geliebter Menschen mit Gänsehaut-Garantie. Ein Song, der es tatsächlich schafft, den Verlust von Freunden so authentisch zu vertonen, dass man zwischen dem Feiern des Lebens und der Wehmut des Endes hin- und hergerissen ist. Fast so, als würde man in der Kneipe sitzen und plötzlich bemerken, dass die Runde kleiner geworden ist. Zeilen wie „Wir hatten Ideen für tausend Leben, doch die Sterne standen stark dagegen“ gehen tief unter die Haut. Musikalisch ist der Track überraschend energetisch, doch die emotionale Tiefe sorgt dafür, dass dieser Song besonders nachhallt. Wer hätte gedacht, dass 4 PROMILLE uns mal mit solchen bewegenden Textzeilen überraschen würden?
Natürlich gibt es auch etwas Gesellschaftskritik, wie im Song „Denunziant“, der das kleinkarierte Blockwart-Verhalten unserer Zeit aufs Korn nimmt. „Die größte Pest in diesem Land – die Augen überall und das Notizbuch in der Hand“ – ein herrlicher Seitenhieb auf die Spießbürger, die sich über jede Kleinigkeit aufregen.
Was das Album-Artwork angeht, gibt sich die Band allerdings betont zurückhaltend. Ein cleanes Cover, das an Bergsteigerromantik erinnert, und ein Booklet, in dem die Bandmitglieder nur von hinten im Nebel zu sehen sind. Fast schon anonym. Die Musik mag glänzen, aber die Aufmachung könnte ein wenig mehr Persönlichkeit vertragen. Doch hey, vielleicht wollten 4 PROMILLE in der aktuellen Besetzung einfach ein wenig mysteriös bleiben – oder sie haben sich wirklich nur auf das Wesentliche konzentriert: den Sound.
Mit „Auf bald“, dem letzten Track des Albums, kommt dann die unvermeidliche Träne im Knopfloch. „Auf Wiedersehen, Goodbye“ – man könnte meinen, das sei das Ende. Doch keine Sorge, 4 PROMILLE haben versprochen, dass sie noch lange nicht fertig sind. Zum Glück, denn nach diesem Album wollen wir noch mehr hören!
Gesellschaftskritik light: Wo bleibt der Biss von früher?
Trotz all der musikalischen Stärken von Zeitgeist bleibt ein Aspekt etwas auf der Strecke: die gesellschaftskritische Schärfe, die man von einer Band wie 4 PROMILLE eigentlich erwarten würde. Während frühere Alben mit rotziger Attitüde und bissigen Kommentaren zu sozialen Missständen aufwarteten, wirkt die Kritik hier oft wie ein lauer Abklatsch vergangener Tage. Songs wie „Denunziant“ versuchen, ein gesellschaftliches Thema aufzugreifen, doch die Vergleiche wirken eher wie Kleinkrieg am Gartenzaun als wie eine ernsthafte Abrechnung mit den Problemen der heutigen Zeit. Gerade in einer Ära, in der es an gesellschaftlichen und politischen Reibungspunkten nur so wimmelt, hätte man sich von 4 PROMILLE mehr Mut zur klaren Kante und weniger Nostalgie gewünscht. Stattdessen bleibt vieles auf Zeitgeist im Persönlichen und verpasst damit die Chance, wieder eine lautstarke Stimme des Protests zu sein.
Unterm Strich bleibt festzuhalten: Auch wenn die Jungs von 4 PROMILLE lyrisch vielleicht etwas zahmer geworden sind, musikalisch liefern sie auf Zeitgeist ordentlich ab. Die Mischung aus altbewährtem Oi!-Punk, neuen Einflüssen und tiefgründigeren Themen sorgt dafür, dass das Album solide ist. Für alte Fans ein Muss, für neue Hörer ein Einstieg, der Lust auf mehr macht. Ach, und noch ein Tipp am Rande: Kauft euch am besten gleich die Vinyl-Version bei Coretex Records. Denn wie sagte schon eure Oma: „Früher war alles besser.“
In diesem Sinne: Auf die alten Zeiten, auf die neuen Zeiten – und auf das nächste Bier mit 4 PROMILLE!
Album Review von Marcus
4 PROMILLE – Zeitgeist Tracklist:
01. INTRO
02. BEREIT
03. ZEITGEIST
04. ENDLOSER SOMMER
05. 2 MINUTEN
06. ABSCHIED
07. LIED VOM RHEIN
08. BLACKOUT
09. VOLLIDIOTEN
10. ENGEL
11. DER DENUNZIANT
12. AUF BALD