amphi festival  im tanzbrunnen koeln

Amphi Festival vom 21. – 22. Juli 2012

Der Sommer 2012 in Deutschland – ein Trauerspiel. Aber die doch recht kühlen Temperaturen für Mitte Juli halten 16.000 Fans und Besucher der „schwarzen Szene“ nicht davon ab, an diesem festen Termin nach Köln zu pilgern und sich mit Gleichgesinnten am Tanzbrunnen zwei Tage lang zu treffen und sich von Musik, Lesungen und Theater treiben zu lassen.

Und was ein Glück änderte sich das Wetter zum Sonntag hin und die Sonne zeigte sich von ihrer schönsten Seite…

Das Amphi Festival existiert seit 2005 und findet seit 2006 jährlich auf der rechten Rheinseite in Köln statt. Und dieses Jahr bin auch ich mit dabei.

Es ist mein erstes Amphi Festival. Und dazu kommt: Es ist nicht meine Musik und auch nicht meine Szene. Seit 15 Jahren sind Techno und House meine musikalischen Wegbegleiter. Aber das bringt mich nicht davon ab, mich an diesem Wochenende auf Gothic, New Wave und Rockmusik einzulassen. Und irgendwie bin ich aufgeregt und erwartungsvoll.
Heute falle ich mit meinem „langweiligen“ Outfit auf. Denn die meisten tragen schwarz oder dunkle Farben, viele Ketten oder sind extravagant geschminkt.

Schon am Anfang komme ich aus dem Staunen nicht mehr heraus. So viele Eindrücke von Menschen, Farben, Masken, Musik und viele verschiedene Stände mit Essen, Snacks, Getränken, Schmuck, Kleidung, Accessoires oder anderen Merchandise Artikeln.
Ich könnte mindestens zwei Stunden an einer Stelle sitzen und den vorbeilaufenden Besuchern zugucken und den „Verkleideten“ hinter her schauen. Frei nach dem Motto: Sehen und gesehen werden. Schon die erste halbe Stunde vor Ort beeindruckt mich.

Was auch auffällt, sind die verschiedenen Nationalitäten, die hier an einem Wochenende zusammen kommen. Ich höre Niederländer, Kroaten, Engländer, Franzosen, Spanier und Polen.

Schon bald komme ich mit zwei Besucherinnen aus der Nähe von London ins Gespräch.

Die Mädels fallen mir auf, weil sie Neonpink- und grün und bunte Dreads in den Haaren tragen. Ich spreche sie auf ihren Look an und möchte wissen, welche Lebenseinstellung sich dahinter verbirgt.

Lucinda (22) verrät mir, dass sie als Cybergoth-Girl beim Tanzen alles um sich herum vergessen kann; den täglichen Stress und Druck. Es macht ihr großen Spaß und ist ein Ausdruck ihres Lebensgefühls.

Rachie Turner (25) hörte früher auch elektronische Musik, bis sie dann ab ihrem 14. Lebensjahr Synthie Pop für sich entdeckte. Tagsüber und auf der Arbeit in einem großen Industrieunternehmen trägt sie „normale“ Kleidung in gedeckten Farben. Nur an besonderen Events oder Abenden steigen die zwei in ihre Cybergoth-Outfits. Für das Frisieren der Haare benötigt man übrigens rund drei Stunden.
Rachie ist schon das dritte Mal beim Amphi und freut sich am meisten auf Eisenfunk: „Jedes Festival ist anders, aber hier gefällt es uns total gut. Eigentlich ist es doch vor allem wichtig, dass man happy together ist und dabei ist es egal, woher du kommst oder welche Kleidung du trägst.“

Weiter geht es ins Theater.

Dort möchte ich mir die Lesung „Die Zeit formt“ von Oswald Henke anschauen. Ich bin fünf Minuten zu spät im Saal, es hat schon angefangen und ist gut besucht. Ich bekomme keinen Sitzplatz mehr, bleibe also stehen. Doch wie eine Lesung wirkt es nicht auf mich. Schlagzeug, Gitarre, Klavier und Streicher unterstützen musikalisch den Lyriker und Autor, dessen viertes Buch bald erscheinen wird. Oswald Henke spricht düstere, melancholische Texte – mal leiser, mal lauter. Liedzeilen, wie „Noch während der Geburt erstickt“ oder „Die Stille ist abstrakt“ stimmen mich nachdenklich.

Einige können die Texte mitsprechen und wirken ebenfalls betroffen. Die meisten sitzen und lauschen andächtig dem „Meister“. Mit einer balletttanzenden Braut bei einem Stück wird die geheimnisvolle und andächtige Stimmung verstärkt. Für mich trifft hier Rock auf Klassik und Herr Henke erzählt Geschichten in seinen Stücken, die zum Nachdenken anregen.

Ich wechsele die Location und gehe ins Staatenhaus zu „Shadows in the dark“, die das erste Mal beim Amphi spielen. Die Stimmung ist aufgeheizt, viele tanzen mit geschlossenen Augen zu den elektronischen Klängen. Ich treffe auf Christian und Roman und möchte von ihnen wissen, was die Musikrichtung EBM für sie bedeutet.

Christian aus München findet Electronic Body Music wesentlich gehaltvoller als zum Beispiel Techno. Die tanzbaren Hymnen und Texte enthalten Aussagen, was bei anderen elektronischen Musikrichtungen eben nicht der Fall ist. Roman aus Nürnberg ist auch schon im dritten Jahr in Köln und bedauert, dass es in seiner Wohngegend so wenige Clubs gibt, in denen EBM läuft. Er erzählt mir, dass es im Ruhrpott, also in Dortmund, Bochum, und auch in Köln viele Clubs gibt und man jedes Wochenende auf die Musik dort tanzen kann.

Ich geselle mich zu Dirk, Nina und Patricia, die in einer langen Reihe anstehen. Sie warten seit über einer Stunde, um von ihrer Lieblingsband „And One“ ein Autogramm zu ergattern. Patricia aus Sachsen hat die Band das erste Mal vor zwei Jahren in Dresden gehört und ist seitdem ein großer Fan. Für Nina aus Bielefeld ging die Fanliebe sogar so weit, dass sie sich hat den Bandnamen auf den linken inneren Oberarm verewigen lassen. Für sie ist es „einzigartige Musik und eine Band, die ihren Stil über die Jahre beibehalten hat.“

Bei dem Auftritt von Eisbrecher treffe ich auf die Stammgäste Andreas und Christian. Ich spreche sie auf ihre goldenen „Sisters of mercy“ Aufkleber auf ihren Jacken an und möchte wissen, warum ich mir den Auftritt auf jeden Fall angucken sollte. Die Gruppe kommt auch im siebten Jahr zu dem familiären Wochenende am Kölner Tanzbrunnen. „Das Leipziger Festival ist da schon spezifischer.“ Privat hören die beiden Koblenzer auch gerne mal Bands aus den 80er Jahren, wie Wave, Joy Division, Bauhaus und The Cure. Das Highlight ist da ganz klar DAF am Abend.
„Eisbrecher sind auch nicht mehr das, was sie mal waren. Erst machen sie Musik, dann wechseln sie zum Fernsehen zu DMAX und den Auto-Checkern und dann wieder zurück. Das ist für uns nicht authentisch.“
Sisters of mercy haben den Gothic Rock populär gemacht“, erklären mir die beiden. Vor noch einem Jahr haben sie sie in Luxemburg auf ihrer angeblichen Abschiedstour gehört. Aber heute stehen sie wieder als Headliner auf der Bühne. „Wenn die spielen, ist der Sound oft schlecht.“
Das liegt dann aber meiner Meinung doch eher an dem technischen Aufbau und nicht an den Sisters.

Mein letzter Gesprächspartner ist Marco aus Iserlohn, der das dritte Mal das Amphi besucht. Normalerweise fährt er mit seinen Jungs jedes Jahr nach Leipzig zum Wave-Gotik-Festival. In diesem Jahr aber hat ihn das musikalische Programm nicht angesprochen; also ging es in die Domstadt. „In Leipzig das ist natürlich alles viel größer und zieht sich durch die ganze Stadt. Hier gibt es nur ein Gelände, aber dafür ist die musikalische Bandbreite viel größer.“
Am meisten freut Marco sich auf den Sonntagabend, wenn Project Pitchfork auf die Bühne kommen.
Und dann erfahre ich noch Interessantes zur Band Unheilig. Marco hat die Band 1998 in Leipzig in der Moritzbastei spielen gehört. „Da waren vielleicht so 80 bis 100 Leute dort und die kannte bis dato noch keine Sau,“ berichtet der Iserlohner. „Dann wurde die Band immer größer, sie haben weitere CDs releast und spielten in immer größeren Konzerthallen.“ Marco gönnt ihnen den Erfolg, aber zum Amphi Festival würde Unheilig wohl nicht mehr kommen. „Ein typisches Beispiel dafür, wenn eine Band ihren Stil und ihre Musik ändert und sich eben nicht treu bleibt.“ Bisher habe ich die Band um den Grafen immer mit dem Unglück auf der Love Parade 2010 in Duisburg assoziiert.
Lustigerweise spielt die Band genau an dem Abend im Müngersdorfer Stadion vor ausverkauftem Publikum.

Nach spätestens drei Stunden habe ich mich an die teils skurrilen Outfits gewöhnt und fühle mich richtig wohl unter „Rockern“ und schwarz gekleideten Leuten aus der ganzen Welt. Alle meine Vorurteile wurden vollständig abgebaut. Ich habe es selten erlebt, dass auf einem Festival eine derart friedliche Stimmung herrscht. Alle meine Interviewpartner haben mir verständnisvoll ihre Sicht der Dinge auf Musik und Lebensgefühl vermittelt. Eine absolut freundliche und familiäre Atmosphäre hat auch mich zum Fan werden lassen. Nur weil sie „Freaks“ geschimpft werden,  schwarz tragen, Latex, Leder, Gasmasken, mittelalterliche Gewänder, Neon-Flokati Stulpen oder viel Schminke – heißt es nicht, dass sie gefährlich oder böse sind. Im Gegenteil: Ich habe mich zwei Tage lang extrem wohl gefühlt und gut „aufgehoben“. Ich würde wieder kommen!

Das letzte Kontrast-Bild wird mir in guter Erinnerung bleiben: Sonntagnachmittag, Sonnenschein, Beach Club mit weißem Sand, riesigen Disco Kugeln und weißen Liegen – und überall schwarz gekleidete, entspannte Amphi Festival-Besucher!

Text: Sarah Schlifter

Fotos: Axel Gross

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Offizielle Homepage: www.amphi-festival.de

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