Morrissey in Straßburg: Singendes Enfant terrible 

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Seit 1987 ist Ex-Smiths-Sänger Morrissey als Solokünstler unterwegs. Auf seiner diesjährigen Europa-Tournee machte der 63-Jährige „Moz“, wie der britische Sänger von seinen Fans und der Musikpresse außerdem genannt wird, mit zwei neuen Songs im Gepäck auch Halt in Straßburg und wusste mit Leinwandbildern zu provozieren. 

Ein Bericht zum Konzert am 18. März 2023

Auf der Leinwand im Salle Erasme flimmern Clips der Rock- und Popmusik, ein Ausschnitt aus der englischen Quiz-Show University Challenge (Frage: „Bei welcher Gruppe war Morrissey“?“ Antwort: „The Smiths“) und ein Ausschnitt aus einem Interview mit dem britischen Schauspieler und Komiker Kenneth Williams, das immer wieder von vorne beginnt und eine Offenbarung anzukündigen scheint: „This man Morrissey is a revelation“ (dt: „Dieser Mann, Morrissey, ist eine Offenbarung“). Als nach einem Video der Drag Queen Lypsinka der leibhaftige Steven Patrick Morrissey die Bühne betritt, hielt die Fans nichts mehr auf ihren Sitzen. Vor Stehapplaus gab der britische Künstler mit dem Song „Alma Matters“ den musikalischen Auftakt des Abends.

Bereits nach seiner zweiten Nummer „I Wish You Lonely“ platzierte der 63-jährige Morrissey den ersten Smiths-Klassiker „Stop Me If You Think You’ve Heard This One Before“. Wer an dem Abend den vielleicht bekanntesten und vom New Musical Express (NME) als zwölfbesten Song aller Zeiten bewertete Smiths-Hit, „There Is a Light That Never Goes Out“, erwartete, wurde enttäuscht. Stattdessen standen „Girlfriend in a Coma “, Please, Please, Please Let Me Get What I Want“ und „Half a Person “ auf der Setlist des Künstlers, der mit seiner Ex-Band The Smiths vom NME 2014 zum einflussreichsten Künstler ever gekürt wurde. 

Mit seiner früheren Gruppe The Smiths, deren Gründungsmitglied Morrissey 1982 war, hatte der 1959 in Manchester geborene Sänger mit irischen Wurzeln 9 Top-Ten-Alben. Seit der Auflösung der Band 1987 ist er als erfolgreicher Solokünstler unterwegs. Es folgten zwei Top-Ten-Alben und acht Top-20-Alben in den USA. 1991 dann die erste Welttournee. Sein Konzert im Hollywood Bowl in Los Angeles war nach nur 22 Minuten ausverkauft, und damit schneller als ein Konzert der Beatles. 2006 wurde Morrissey von den Zuschauern des BBC-Fernsehens zur zweitgrößten lebenden britischen Ikone gewählt (vor Sir David Attenborough und Sir Paul McCartney) und 2007 in einer landesweiten Zeitungsumfrage zum „Greatest Northern Male“. 2012 erhielt er die Auszeichnung Key to the City of Tel Aviv und veröffentlichte im Folgejahr seine Autobiografie, die zur zweitschnellst verkauften Autobiografie in der britischen Geschichte wurde (das Buch hielt sich sechs Wochen auf Platz 1, fünf Wochen auf Platz 2 und vier Wochen auf Platz 3 und ist weiterhin ein britischer Bestseller). Morrisseys Lieder wurden von David Bowie, Nancy Sinatra, The Killers, Marianne Faithfull, Chrissie Hynde, My Chemical Romance, Thelma Houston, Christy Moore und vielen anderen gecovert. 

Morrisseys eigene Inspirationsquellen und sein Interesse für Musik, Film und Literatur bekam auch das Publikum in Straßburg zu Gesicht und Gehör. Während des Konzerts projizierte die Leinwand Bilder der Dichterin Anne Sexton, der Schriftsteller Oscar Wilde, James Baldwin, Ezra Pound, der Schauspielgröße James Dean und des 30er-Jahre Leinwandhelden William „Billy“ Halop, der italienischen Schauspielerin Margherita Caruso, der Glam Rock-Band New York Dolls und und und. Zu provozieren wusste der als Exzentriker bekannte Morrissey, dessen Texte von sozialem Außenseitertum, Tierrechten oder mehrdeutiger Sexualität handeln, auch an diesem Abend. So wurde immer wieder die Leinwand zum Hingucker. Auf ihr zu sehen war während des Songs „I’m Throwing My Arms Around Paris“ ein vor dem Triumphbogen die Trikolore schwenkender Anhänger der „Gelbwesten“.

Eher zum Wegschauen waren dann die Bilder zum Song „The Bullfighter Dies“, bei dem der Sänger das Publikum in eine spanische Stierkampfarena versetzte und zu Zeugen jenes Spektakels machte, bei dem Speere tief ins Fleisch der Stiere gestochen werden und literweise Blut aus den malträtierten Leibern strömt. Und als einer der Stiere den Spieß im wahrsten Sinne des Wortes umdrehte und einen Torero auf die Hörner nahm, kam dem Vegetarier und Tierrechtler Morrissey lautstark ein zufriedenes „Olé“ über die Lippen. 

Blutig wirkte auch die Kulisse im Salle Erasme während des Songs „Jack the Ripper“, als die Strahler rotes Licht auf die Bühne warfen und durch den roten Bühnennebel der Serienmörder Charles Starkweather auf der Leinwand zu sehen war.  

Derartige Provokationen taten dem Fandom um Morrissey indes keinen Abbruch. Vor der Bühne griffen die Fans regelrecht nach ihrem umjubelten Idol und zogen dadurch auch die Blicke des aufmerksamen Sicherheitspersonals auf sich. Mehrmals mussten Sicherheitskräfte eingreifen, da Fans auf die Bühne stürmten, sei es um Morrissey um den Hals zu fallen oder um ihm eine LP als Präsent zu überreichen.

Apropos Platte. Einen Vorgeschmack auf sein neues Album „Without Music the World Dies“, lieferte „Moz“ mit dem gleichnamigen Song und einem weiteren mit dem Titel „The Night Pop Dropped“. Wie der Sänger dem Publikum verriet, sei das Album in den La Fabrique Studios in St-Remys in Frankreich entstanden.

Nach etwa anderthalb Stunden verschwand Morrissey mit seiner Band in den Backstage-Bereich, um nach wenigen Augenblicken in neuem Outfit – statt Hemd ein T-Shirt mit einem Aufdruck der Popsängerin Cilly Black – wieder die Bühne zu betreten und mit dem Song „Suedehead“ seine einzige Zugabe an diesem Abend zu spielen. Zum Abschied inszenierte sich Morrissey erneut als Enfant terrible und lenkte noch einmal die Blicke des Publikums auf die Leinwand. Dort lief eine Filmszene aus dem 30er-Jahre-Streifen „The Blood of a Poet“ (dt. Das Blut eines Dichters“) des französischen Filmregisseurs Jean Cocteau, die minutenlang immer wieder von vorne beginnt und den chilenischen Schauspieler Enrique Riveros in der Rolle des Dichters in dem Moment zeigt, als dieser sich mit einem Revolver in den Kopf schießt. 

Text: Markus Vögele

Ein Bericht zum Morrissey Konzert am 18. März 2023

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