Man schrieb das Jahr 1999. Es war die Zeit meiner späten Teenagerjahre, eine Zeit also, in der ich bereits einige wichtige Erfahrungen gemacht hatte und in meiner Selbstfindungs- und Abnabelungsphase einigermaßen fortgeschritten war. Das dachte ich zumindest bis zu diesem denkwürdigen Freitag, mitten im Februar. 

Die Luft roch schon muffig-verbraucht, als ich nachmittags das örtliche Jugendzentrum betrat. Mal wieder war Frischluft Mangelware, was der Vorfreude auf den Abend keinen Abbruch tat. Die damals in Szenekreisen bekannte Punkband „Das Untergangskommando“ aus dem etwa 80 Kilometer entfernten Mainz hatte sich großspurig angekündigt. Na ja, eigentlich hatten vor allem wir Organisatoren des Jugendzentrums den Auftritt der Band im Vorfeld groß beworben. Es gab zwei Konzertplakate, ein selbst gemaltes, auf dem ein Punkrocker für das Konzert und für eine regionale Bäckerei, die das Konzert sponserte, Werbung machte und eines mit einer barbusigen Frau, welche allerdings nur als „Eyecatcher“ herhalten musste. Kurz und gut, für Werbung war ausreichend gesorgt und an #Metoo dachte noch niemand…

Gegen 18.00 Uhr entdeckte ein Freund beim Urinieren, dass sich hinter dem Gebäude, etwas verborgen in der Dunkelheit, eine Palette mit Backsteinen befand. Da das Jugendzentrum  einige negative Erfahrungen mit Wurfgeschossen aller Art in der Vergangenheit gemacht hatte, entschloss man sich, die Steine sicher an einer weiter entfernten, noch besser verborgenen Stelle, zu verwahren. Anschließend wurden noch die Sofagarnituren zur Seite gestellt, um Platz für das tanzende Publikum zu schaffen. Dabei entdeckte ich einige getrocknete Kotzreste auf der Rückseite einiger Kissen…und verstand so langsam, warum die Luftqualität im Jugendzentrum sich selbst nach systematischen Lüftungsaktionen nicht merklich verbesserte.

Schließlich traf das Untergangskommando ein und verlangte erst einmal ganz nach „Punkgutsherrenart“ drei Dinge:

  1. Essen
  2. Trinken = Bier
  3. Einen separaten Besprechungs- bzw. Vorbereitungsraum

Die ersten beiden Wünsche konnten relativ leicht erfüllt werden, beim dritten musste improvisiert werden, da das Jugendzentrum aus lediglich einem Raum bestand. So entwickelte die Band spontan beim nahe gelegenen Pizzaservice ihren „Schlacht- und Zerstörungsplan“ für den Abend. Dazu gleich mehr.

Die Vorband „Pater Brown“ war aus musikalischer Sicht ein absoluter Fehlgriff, da alle Bandmitglieder ihre Instrumente einfach zu gut beherrschten. Viel zu gut für die meisten der musikalisch eher anspruchslosen Gäste, die daher die Zeit des Auftritts lieber für ein weiteres Einstiegsgetränk im Außenbereich nutzten.

Das Jugendzentrum blieb entsprechend relativ leer, jedenfalls solange, bis die ersten der -insgesamt recht wenigen- Akkorde des „Untergangskommandos“ erklangen. Die vier Punkrocker zerlegten im Laufe des Konzerts beinahe sprich- und wortwörtlich das Juz, indem der Sänger auf der selbst gebauten Theke entlang spazierte und eine Bierdusche nach der nächsten ins tanzende Publikum sowie in die Nähe des Mischpults schoss. 

So langsam ahnte ich, dass der Abend auch folgenreich für die Haftpflichtversicherung meiner Eltern werden könnte. Diese Befürchtung wurde durch die großformatigen Penis-Zeichnungen auf den Toiletten, welche mit dicken Permanentmarkern und vor allem mit viel Liebe zum Detail angefertigt wurden, auch nicht wesentlich reduziert. 

Ich wägte gerade ab, ob ich angesichts weiterer drohender Ereignisse lieber nach Hause gehen oder tanzen sollte, als mich ohne Vorwarnung „ein Eisbein“ eines 100kg-Punk-Hünen am rechten Oberschenkel traf und mich kurzzeitig bewegungsunfähig machte. Pogo-unfähig wurde ich dadurch für den restlichen Abend allemal.

Auf dem beschwerlichen Weg zur Toilette bemerkte ich, wie meine damalige Fast-Freundin in den Armen eines Anderen lag. Darüber hinaus handelte es sich ironischerweise  ausgerechnet um einen jener Zeitgenossen, deren attraktive Ausstrahlung nur für blind Liebende sichtbar ist. Aber gut, wenn ich schon gedemütigt werden sollte, dann aber auch bitte richtig. 

In diesem Moment stimmte das Untergangskommando „Punk und Polizei“ unter dem lautstarken Gegröle des Publikums an. Entfernt nahm ich das Zerspringen weiterer Gläser oder Flaschen zur Kenntnis. Und es war mir so was von egal. Stattdessen ging ich noch einmal hinter die Theke, um mir ein letztes Bier zu holen. Grußlos verließ ich ohne Groll und Zaudern und vor allem ohne jeden Gedanken an das am nächsten Morgen zu erfolgende Aufräumen das Jugendzentrum. 

Für heute hatte ich wahrlich genug Chaos erlebt und spürte stattdessen eine tiefe und fast verdrängte Sehnsucht nach der Ordnung und Spießigkeit meines Elternhauses. Für die etwa zwei Kilometer Fußweg brauchte ich dann humpelnder Weise übrigens beinahe dreimal so lange wie sonst. 

Immerhin hatte wenigstens der Pferdekuss etwas Gutes, da er mir einige Termine bei der Krankengymnastik bescherte und mein Bewusstsein frühzeitig darin schulte, dass man auch in jungen Jahren „jung und kaputt“ sein kann.

Euer Sveni

Über Svenis Kolumne

Hallo, ich bin Sveni - der Redakteur mit dem Hang zur Nostalgie und dem Herz für Rockmusik der 90er Jahre. Als Teil des Teams beim Pressure Musikmagazin kümmere ich mich um lustige und interessante Berichte zu unkonventionellen Themen.

Hallo, ich bin Sveni – der Redakteur, der in Erinnerungen an die gute alte Zeit schwelgt und sich für alles begeistern kann, was mit Rockmusik aus den 90er Jahren zu tun hat. Als Teil des Teams beim Pressure Musikmagazin schreibe ich gerne lustige und interessante Berichte zu unkonventionellen Themen.

Ob es darum geht, die besten Gitarrenriffs der 90er Jahre und von heute zu ranken oder darüber zu diskutieren, wer der schlimmste Frisuren-Träger in der Musikszene war – ich habe immer eine Meinung dazu. Mein Ziel ist es, dich zum Schmunzeln und Nachdenken zu bringen.

In meiner Freizeit kann man mich oft mit einem Bier in der Hand und einem rockigen Musikstück im Ohr finden. Wenn ich nicht gerade über Musik schreibe, höre ich oft alte Platten von Nirvana und Johnny Cash oder gebe mich der Nostalgie hin und schaue alte Musikvideos auf MTV an.

Ich hoffe, dass ich dich mit meinen Artikeln unterhalten und dich zurück in die Zeit der 90er Jahre entführen kann. Wenn du Lust hast, dich mit mir über dieses Thema auszutauschen, dann hinterlasse mir einen Kommentar unter diesem Beitrag. Rock on!

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