Meine erste Bundestagswahl 1998: Ein denkwürdiges Erlebnis

Ich war gerade 18 Jahre alt geworden und durfte zum ersten Mal wählen, als im September 1998 die Bundestagswahl anstand. Der ewige Kanzler Kohl wurde vom einstigen SPD-Superstar Schröder herausgefordert, und auch die APPD stellte sich mit einem inhaltlich überschaubaren Wahlprogramm – bestehend aus viel Pogo-Anarchie, der Einführung von Mitfickzentralen und der Balkanisierung Deutschlands – zur Wahl.

Die APPD und ihre skurrile Wahlkampftaktik

Beflügelt durch die guten Ergebnisse der Partei im Hamburger Stadtteil St. Pauli bei den Bürgerschaftswahlen hoffte man zumindest, so viele Zweitwählerstimmen zu sammeln, dass es für eine Wahlkampfkostenerstattung und damit für eine monströse Bierparty gereicht hätte. Irgendwie putzig, dass es selbst in meinem damaligen Bekanntenkreis einige Zeitgenossen gab, die glaubten, dass man mit Slogans wie „Asoziale an die Macht“, „Saufen, saufen, jeden Tag nur saufen“ oder „Nie wieder Arbeit“ massenhaft Wähler an sich binden könne. Jedenfalls bis zur großen Bierparty am Wahlabend. Das Danach war den meisten Pogo-Funktionären sowieso egal …

Der Wahlkampf im Sommer ‘98 lief wie erwartet genauso chaotisch ab, wie es das Parteiprogramm vermuten ließ. Aber immerhin gab es einige Wahlkampfveranstaltungen der Partei mit ihrem damaligen Vorsitzenden Karl Nagel, der von Fabsi & dem Peanutsclub, der Terrorgruppe und den Kassierern musikalisch begleitet wurde.

Konzert und Wahlkampf in Freiburg

Einer dieser Auftritte fand Anfang September in Freiburg statt, und weil mein Kumpel Bernd und ich wieder die Terrorgruppe live sehen wollten und wir zudem noch Sommerferien hatten, fuhren wir spontan mit dem sensationell günstigen Ferienticket in die südbadische Stadt.

Als wir dort gegen Nachmittag ankamen, wurden wir am Bahnhof durch eine Handvoll martialisch aussehender Skinheads begrüßt, die mit einer Trommel (Modell: „Die Blechtrommel“, Günter Grass) bewaffnet den Straßenwahlkampf für die APPD unterstützten. Ein seltsames Bild, diese disziplinierte Gruppe zu sehen, die sich für eine Partei engagierte, die den krassen gesellschaftlichen Gegenentwurf propagierte. Vielleicht ging es den Jungs hier auch nur darum, an der Spitze der Bewegung zu stehen, um im Falle der Bierparty ebenfalls ganz vorne mit dabei sein zu können …

Nachdem wir mit zahlreichen Propaganda-Aufklebern („Spuckis“) versorgt waren, verfolgten wir das Ganze nicht weiter und gingen zur Spielstätte, dem Freiburger Haus der Jugend. Während die meisten Hunde vor dem Gebäude warten mussten, ging der Großteil der Zweibeiner hinein – bis auf diejenigen natürlich, die sich den horrenden Eintrittspreis von ca. 30 DM nicht leisten oder im Vorfeld nicht zusammenschnorren konnten.

Terrorgruppe Live – Laut, chaotisch und skurril

Nichtsdestotrotz war es recht schnell vor der Bühne gut gefüllt, und wenn man noch alle anwesenden Filzläuse in die Besucherzahlen mit einbezogen hätte, wäre das HdJ damals bestimmt wegen Überfüllung geschlossen worden.

Die einsetzende Musik von Fabsi & dem Peanutsclub war sehr laut, die aufgeladene Stimmung des Publikums jedoch weitaus weniger gesellig und einladend, als ich es von den kleinen Clubs gewohnt war.

Die Setlist der Terrorgruppe ähnelte leider denen vorheriger Auftritte, die ich in Heidelberg und Mannheim gesehen hatte. Während die Berliner ihre „Melodien für Milliarden“ dem freude- und feiertrunkenen Publikum darboten, zelebrierte im Vorraum am Merchandising-Stand Fabsi vom Weserlabel seinen 40. (?) Geburtstag. Damals hoffte ich inständig, irgendwann meinen 40. Geburtstag nicht im Haus der Jugend oder in irgendeinem anderen Jugendzentrum feiern zu müssen. Und wenigstens dieser Wunsch erfüllte sich dann ja auch, nicht nur dank Corona.

Die APPD-Rede von Karl Nagel – Politische Provokation oder reiner Nonsens?

Aber zurück ins Jahr 1998: Der propagandistische Höhepunkt des Abends wurde durch die Rede des APPD-Vorsitzenden Karl Nagel erreicht. Eine Darbietung, die sich angesichts rhetorischer und inhaltlicher Lücken aus heutiger Sicht einfach nach totaler Rückverdummung anhörte. Wahrscheinlich machte Nagel damit alles richtig, indem er authentisch die Ziele seiner Partei propagierte und sogar optisch glaubhaft für die Inhalte des Parteiprogramms stand. Das wirkte allenfalls auf nüchterne Zuschauer irritierend und provokant, doch die dürften an diesem Abend kaum anwesend gewesen sein. So wurde Karl Nagel durch die Meute beinahe so abgefeiert, wie der nachfolgende Auftritt der Kassierer, deren Humor ich erst Jahre später einordnen konnte, auch wenn ich ihn auch dann noch immer nicht richtig verstand oder verstehen wollte.

Abgang mit infantilem Humor

Das Lied „Sex mit dem Sozialarbeiter“ war für uns Punk-Sozialromantiker schließlich die Motivation zum Aufbruch. Wir gingen also in die Freiburger Jugendherberge, um spontan mit ähnlich bekloppten Teenagern noch eine J.B.O.-Akustik-Session bis tief in die Nacht zu veranstalten. Das stundenlange Singen des Klassikers „Bimber bumber dödel dei“ und der anschließende „Toilettenpapierrollen-Weitwurfwettbewerb“ empfanden wir als noch reizvollere Möglichkeiten, unseren Hang zum infantilen Humor lautstark auszuleben, als einer weiteren APPD-Rede zuzuhören.

Ob wir allerdings dafür zwingend nach Freiburg hätten fahren müssen, ist ein anderes Thema.

Euer Sveni

Über Svenis Kolumne

Hallo, ich bin Sveni - der Redakteur mit dem Hang zur Nostalgie und dem Herz für Rockmusik der 90er Jahre. Als Teil des Teams beim Pressure Musikmagazin kümmere ich mich um lustige und interessante Berichte zu unkonventionellen Themen.

Hallo, ich bin Sveni – der Redakteur, der in Erinnerungen an die gute alte Zeit schwelgt und sich für alles begeistern kann, was mit Rockmusik aus den 90er Jahren zu tun hat. Als Teil des Teams beim Pressure Musikmagazin schreibe ich gerne lustige und interessante Berichte zu unkonventionellen Themen.

Ob es darum geht, die besten Gitarrenriffs der 90er Jahre und von heute zu ranken oder darüber zu diskutieren, wer der schlimmste Frisuren-Träger in der Musikszene war – ich habe immer eine Meinung dazu. Mein Ziel ist es, dich zum Schmunzeln und Nachdenken zu bringen.

In meiner Freizeit kann man mich oft mit einem Bier in der Hand und einem rockigen Musikstück im Ohr finden. Wenn ich nicht gerade über Musik schreibe, höre ich oft alte Platten von Nirvana und Johnny Cash oder gebe mich der Nostalgie hin und schaue alte Musikvideos auf MTV an.

Ich hoffe, dass ich dich mit meinen Artikeln unterhalten und dich zurück in die Zeit der 90er Jahre entführen kann. Wenn du Lust hast, dich mit mir über dieses Thema auszutauschen, dann hinterlasse mir einen Kommentar unter diesem Beitrag. Rock on!

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