Amerika, 1980: Mit der Wahl Ronald Reagans zum 40. Präsidenten der Vereinigten Staaten geht ein konservativer Ruck durch das Land. Die staatliche Überwachung nimmt zu, der Kommunismus ist als „Reich des Bösen“ erneut der große Feind. Gleichzeitig ist die Kultur der Jugend beherrscht von seichtem Disko-Gedudel und sinnlosen New Wave-Sounds, schlechtem Kleidungsstil und politischem Unbewusstsein.
Nicht wenige Jugendliche verspüren den Bedarf nach Kritik, rohen Sounds und einem Gegenentwurf zum vorherrschenden Gesellschaftsmodell. So oder so ähnlich lässt sich die Entstehung von Hardcore vielleicht stark verkürzt erklären.
Steven Blush und Paul Rachmann, beide mit langjähriger Szene-Erfahrung, zeichnen im Film „American Hardcore“ einen kurzen Abriss jener Phase von 1980 bis 86, die heute als „Erste HC-Welle“ beschrieben wird. Bands wie Minor Threat, Bad Brains, SSD, D.O.A., M.C.D., Negative FX und Black Flag hatten zwar damals keinen großen Einfluss auf das Zeit- und Musikgeschehen, waren rückblickend aber stilprägend für vieles, was in den Neunzigern noch kommen sollte – unter anderem Grunge. Im Grunde genommen ging es im HC darum, etwas selbst zu tun und anders zu sein.
Unzufrieden mit den Verhältnissen, der Politik, der Musik, den Leuten um dich herum? Do it yourself, ganz einfach.
Geld stand nie im Vordergrund, Chartplatzierungen, A&R-Deals oder virtuoses Spielen war völlig egal. Stattdessen ging es den meisten Bands darum, unglaublich schnell zu spielen und textlich im Bereich des Sozialkritischen zu agieren. Viel war nicht nötig, um eine Band aus dem Boden zu stampfen, entsprechend schnell breitete sich die Szene von der West- auf die Ostküste aus, zahllose Gruppen entstanden und lösten sich oftmals ebenso schnell wieder auf, nur um gleich mit den nächsten Combo weiterzumachen. Das Ende dieser Zeit wird mit 1986 angegeben, Schuld daran sind unter anderem die Wiederwahl von Reagan 1984, andererseits auch die Gewissheit, das getan zu haben, was man wollte – und damit war die Sache für viele erledigt.
Rachmanns Film liegt zu großen Teilen Blushs Buch „American Hardcore – A Tribal History“ zugrunde. Eine narrative Ebene gibt es nicht, stattdessen wechseln sich Konzertausschnitte und Statements der damals Beteiligten ab. Deren Liste liest sich wie ein who-is-who der Szene. Da Rachmann und Blush über ein großes Insider-Wissen verfügen, erzählen sie entsprechend. So entsteht ein subjektives, teilweise auch unvollständiges Bild der Geschichte, was dazu geführt hat, dass es in Internet-Foren große Kontroversen gibt, warum diese oder jene Band im Film komplett weggelassen wurde. Auch die Beantwortung von elementaren Fragen, etwa bezüglich der Gewalt in der Szene, Sexismus oder der Problematik, zu großen Teilen eine „weiße“ Szene zu sein, verweigern die beiden Filmemacher.
Stattdessen gibt es schlecht aufgenommen Konzertmitschnitte satt, was aufgrund der Seltenheit der Aufnahmen den Film durchaus wertvoll macht. Als Dokumentation funktioniert „American Hardcore“ ganz ordentlich, bis auf die fehlenden Bands und Statements gibt es wenig zu bemängeln. Es ist schon lustig zu sehen, was aus den Kids von damals teilweise für abgewrackte, aber auch etablierte Charaktere wurden. Nervig – zumindest in der deutschen Synchronfassung – ist der Textüberfluss. Da spricht dann jemand, den man erst mal anschauen möchte, gleichzeitig aber auch auf die Untertitel fixiert ist und mit dem Einblenden des Namens – man will ja auch wissen, wer das ist – schließlich komplett überfordert und informationsüberladen zurückbleibt. Das gibt sich aber im Verlauf des Films.
Gegen Ende beginnen sich einzelne Szenen unweigerlich zu wiederholen, die Konzertmitschnitte ähneln sich und abrupt kommt das Ende der Szene, ohne dass es dafür eigentlich eine befriedigende Erklärung gäbe. Für Szene-Vertraute ist der Film nicht schlecht, man erkennt einiges wieder, lacht hier und da, findet sich gut zurecht. Früher oder später vermisst man etwas Tiefgang in den erwähnten Detailfragen, das hätte aber auch mit großer Wahrscheinlichkeit den Rahmen gesprengt, schließlich haben Rachmann und Blush den Anspruch, die Bewegung in gesamt-amerikanischem Umfang zu dokumentieren und nicht nur aus einer einzelnen Stadt heraus. Sonst wären Filme wie „American Hardcore DC“, „American Hardcore Boston“ und so weiter entstanden. Stattdessen beschränkt man sich auf das, was die frühen Jahre stilprägend war: Musik, Lebensgefühl, Charakteristika wie „Straight Edge“ und „DIY“.Damit schafft man für Menschen außerhalb der Szene einen netten Überblick, allerdings schreckt diese Zuschauergruppen wohl der rasante Einstieg ab.
„American Hardcore“ startet nicht mit textlastigen Intros, sondern legt mehr oder weniger gleich los – genau wie eine gute HC-Band der damaligen Tage. Es bleibt eine Doku, die eine (filmisch) bislang wenig beachtete Thematik aufgreift und daher quasi von Grund auf schon einen gewissen Wert hat. Nervige Untertitel und gewisse Längen gegen Ende des Films mögen unvermeidlich sein, daher sehe ich das nicht als derart schlimm an und empfehle den Film allen, die einen kurzen Abriss über die Szene und was damals wichtig war suchen. Für tiefer gehende Beschäftigungen gibt’s dann die Literatur.
Review von Sebastian Kuboth
Darsteller: Sigurd Rachman, Paul Rachman
FSK: Freigegeben ab 12 Jahren
Studio: Sony Pictures Home Entertainment
Erscheinungstermin: 19. Juni 2007
Produktionsjahr: 2006
Spieldauer: 100 Minuten