Von Malochern, Altpunks und der Suche nach Wahrhaftigkeit – Jörg Ingenpaß im Interview

Das Ruhrgebiet, eine raue, ehrliche Region mit eigenem Herzschlag, zieht sich wie ein roter Faden durch die Bücher von Jörg Ingenpaß.

In seinem neuen Roman Geschäftsschluss dreht sich alles um Mäckie – Labelchef, Altpunk, Familienvater. Ein Typ, der geradeaus sagt, was er denkt, und sich dennoch mit den Widersprüchen des Lebens herumschlägt. Denn wie viel Rebellion verträgt das Erwachsenwerden? Kann ein Punk bürgerliche Werte vertreten, ohne seine Glaubwürdigkeit zu verlieren?

Im Gespräch mit Sven vom Pressure Magazin spricht Ingenpaß über Klischees, die keine sind, über das Ende einer Ära und die Frage, warum in seinen Büchern selten ein Happy End zu finden ist. Dabei gibt er spannende Einblicke in die Szene, seine persönlichen Erfahrungen mit der Musikindustrie und die Herausforderungen, als Autor einen Verlag zu finden, der seine Geschichten versteht.

Ein Gespräch über Abschiede, neue Anfänge und die Unvermeidbarkeit des Wandels – viel Spaß mit dem Interview!

Pressure: Bei meiner Recherche im Vorfeld des Interviews ist mir aufgefallen, dass es in deinen Büchern, die du vor „Geschäftsschluss“ geschrieben hast, immer wiederkehrende Konstanten gibt, so findet die Handlung oftmals im Ruhrgebiet statt. Ebenso sind die Protagonisten oftmals ehrliche Menschen, die frei heraus ihre Meinung sagen, unabhängig von den Folgen. Spielst du gerne mit gewissen Stereotypen oder Klischees?

Jörg Ingenpaß: Die Entscheidung, die Handlungen im Ruhrgebiet anzusiedeln, ist ganz bewusst gefällt, da ich selbst aus Duisburg komme. Durch meine lange Abwesenheit habe ich die Gegend wieder mehr schätzen gelernt. Aber ich glaube nicht, dass ich in meinen Büchern viel mit Stereotypen oder Klischees spiele. Z.B. beginnt mein erster Roman „Anleitung zum Glück“ 1965 und endet in den frühen 80er Jahren, der zweite Teil startet dann in den 80er Jahren und endet in  2000.  Klar wird da u.a. auch von „Malochern“ und dem Stahlwerk berichtet, aber das waren keine Klischees, sondern das entspricht der Wahrheit. 

Wie steht es um die Hauptfigur „Mäckie“ in deinem neuen Roman „Geschäftsschluss“? Der Labelchef, Altpunk, Familienvater wird als ehrlich, geradeaus und gefestigt in seinem Weltbild beschrieben. Das sind durchaus Eigenschaften, die sehr werteorientiert und somit fast auch wieder nach Ruhrpott klingen …

Jörg Ingenpaß: Tatsächlich hört sich das auch wieder nach Klischee an, entspricht wahrscheinlich aber einfach öfter der Wahrheit, als man denkt. Ich habe lange Zeit in der Schweiz, in Zürich, dann in Berlin gewohnt und lebe aktuell in Flensburg. Ich habe mittlerweile den Eindruck, dass die Menschen regional- natürlich in ihrer Gesamtheit- immer ein bisschen anders sind. Wenn man dir in Zürich „Ä ganz a schön´s Tägli“ wünscht, meint man, dass man sich besser schnell verpissen soll.

Das erinnert mich an die 18 Monate, als ich nahe der Schweizer Grenze bei Schaffhausen wohnte und mich hin und wieder über die kuriosen Eigenarten der Schweizer Zollbeamten beim Grenzübertritt wunderte …Kommen wir zurück zu Mäckie und seinen kuriosen Eigenarten. Kann oder darf ein Altpunk bürgerliche Werte, wie den Wunsch nach einer intakten Familie vertreten, ohne seine Glaubwürdigkeit zu verlieren?

Jörg Ingenpaß: Meine Erfahrung mit Leuten aus der Szene ist, dass viele bürgerliche Werte schätzen. Früher waren viele Linke gegen das System, heute sind viele Linke für das System. Für mich können Punks durchaus glaubwürdig konservative Werte vertreten. In „Geschäftsschluss“ habe ich versucht, in den dargestellten Charakteren möglichst viele Eigenarten und Denkweisen zu beleuchten. 

joerg Ingenpass am strand

Dies wird deutlich während des Abendessens, welches gleichzeitig das Ende von Mäckies-Label „Abseits-Records“ besiegeln soll. Ein letztes Abendessen und jedem der Beteiligten ist bewusst, dass bald eine Zäsur ansteht, sich etwas gravierend für alle ändern wird. Ich fühle mich bei dem Setting ein bisschen an das „letzte Abendmahl Jesu“ erinnert …

Jörg Ingenpaß: Das Restaurant als Ort der Handlung war eine Schreibentscheidung, um die Geschichte aufzurollen, also eine Rahmenhandlung zu schaffen. Der Restaurantbesitzer Rainer taucht übrigens in allen meinen Romanen auf und da hat sich das für mich angeboten. 

Trat auch das Label „Abseits-Records“ in deinen vorherigen Büchern in Erscheinung?

Jörg Ingenpaß: Nein, das ist nicht der Fall. Im Roman „Lauf der Dinge“, welches in den frühen 80er Jahren startet, taucht Rainer mit seinem Stiefbruder auf, die beide in einer Punkband spielen, allerdings noch ohne eigenes Label. „Abseits-Records“ ist exklusiv für „Geschäftsschluss“ entstanden.

Hat dich beim Schreiben die Gründung eines real existierenden Labels inspiriert?

Jörg Ingenpaß: Es stand kein echtes Label Pate für „Abseits-Records“. Ich habe selbst mal in den frühen 90er Jahren bei einem Label für Dark Wave gearbeitet. Das war mehr ein Job, um mein Studium zu finanzieren und weniger eine Herzensangelegenheit, wie für die Mitarbeiter von „Abseits-Records“, denn die Musik der Label-Bands fand ich meistens grausam, manchmal lächerlich, aber nie wirklich gut. 

Mäckie ist durch die Gründung von „Abseits-Records“ ein mutiger Pionier, der durch kreative Einfälle das Auskommen von sich und seinen Mitarbeitern viele Jahre lang sichern kann. Ist so etwas im Zeitalter von Streamingdiensten, KI und Co. überhaupt noch vorstellbar?

Jörg Ingenpaß: Das glaube nicht, auch wenn wieder mehr Leute Vinyl kaufen. Im Großen und Ganzen ist das Kaufverhalten aber eingeschränkter als früher. Vor allem jüngere Menschen streamen eher, als dass sie einen physischen Tonträger kaufen. Da stehst du als kleines Label leider eher auf verlorenem Posten. Zum Thema KI und der Möglichkeit, selbst Songs ohne Band und jegliches Musikverständnis zu produzieren, möchte ich sagen, dass die Ergebnisse in ihrer Kreativität doch sehr beschränkt sind. Leider wird der Markt gerade mit viel zu vielen dieser Werke, die keiner braucht, überschwemmt.

„Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne.“ Angesichts von „Geschäftsschluss“ bin ich der Meinung, dass dieses Zitat auch auf das Ende des Romans zutrifft. War das eine bewusste Entscheidung, „Geschäftsschluss“ mit einer Moral enden zu lassen?

Jörg Ingenpaß: Ich denke, ich bin mehr ein Typ für solche Enden. Mein Lektor, der alle meine Bücker lektoriert hat, sagte mal, dass es vier Enden in Romanen gibt: Erstens: jeder kriegt am Ende, was er will oder braucht. Zweitens: die Leute kriegen am Ende das, was sie nicht wollen, aber brauchen. Im dritten Szenario bekommen sie nicht das, was sie brauchen, aber wollen. Und die vierten Enden sind die Enden von Jörg Ingenpaß. Ich tue mich wirklich schwer mit einem Happy End, bevorzuge Enden, die ein ganz leichtes Happy End in sich tragen. In meiner Dystopie, die im Jahr 2060 im Ruhrgebiet spielt, sterben zum Schluss die Protagonisten. Das war für mich versöhnlich, weil es die einzige Möglichkeit war, aus der katastrophalen Lage, bedingt durch die Folgen der Klimakrise, herauszukommen.

Noch ein paar Worte über den „Hirnkost-Verlag“, der sich deinem Roman „Geschäftsschluss“ angenommen hat. Wie entstand die Zusammenarbeit, zumal deine anderen Bücher bei anderen Verlagen veröffentlicht wurden?

Jörg Ingenpaß: Ich betreibe das Schreiben als reines Hobby, habe daneben noch einen Job, mit dem ich mein Geld verdiene. Wenn ich dann ein Buch fertig geschrieben habe, suche ich mir etwa 10 Verlage heraus, mit denen ich mir eine Zusammenarbeit vorstellen könnte und schicke ihnen Leseproben zur Bemusterung.

Bei der Bemusterung zu meiner Dystopie erhielt ich an einem Tag zwei Absagen, dem einen Verlag gefiel der Inhalt, jedoch nicht mein Schreibstil, beim anderen Verlag war die Begründung für die Absage genau umgekehrt. Es gehört tatsächlich einfach oftmals etwas Glück dazu, ob der Gegenüber etwas mit dem Geschriebenen anfangen kann oder nicht. Zum Glück war das beim aktuellen Roman beim Verlag „Hirnkost“ der Fall.

Das Interview führte Sven im Januar 2025

Wir wollen deine Meinung:

Kommentiere den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte Namen eingeben

Pressure Redaktion
Pressure Magazine ist ein Online-Musikmagazin, das sich auf die rockige Musikszene spezialisiert hat. Unsere Autoren sind leidenschaftliche Musikfans und liefern dir Artikel, Rezensionen, Interviews und Ankündigungen zu bevorstehenden Musikveranstaltungen. Unser Ziel ist es, dich als Musikfan auf dem Laufenden zu halten und dir eine Plattform für Feedback, Anfragen und Kommentare zu bieten.

Ähnliche Themen

Wacken – Das perfekte Paralleluniversum (Buchkritik)

Was für die Hippies Woodstock war, für die Katholiken der Buß- und Bettag ist, ist für die Metalheads seit mehr als drei Jahrzehnten das...

Mythos Rock-O-Rama – Musikjournalist Björn Fischer im Interview

Rock-O-Rama gilt als das wohl kontroverseste deutsche Label, das die Nachfrage in einem ungewöhnlich skrupellosen Mix von Punk bis Rechtsrock bediente und dabei zahlreiche...

Rock-O-Rama – mehr als ein stinkender Label-Mythos?

Wer kennt sie nicht, die Fotos ausgezehrter Soldaten der letzten Weltkriege, die die Plattencover zahlreicher Punkbands wie „OHL“ (Oberste Heeresleitung) zu Beginn der 80er Jahre „schmückten“...

Interview mit Reinhard Wolff alias „Zwakkelmann“

Reinhard Wolff sprach mit dem Pressure Magazine über Arbeit, Langeweile, sein neues Buch „Shitsingle“ und das kreative Spiel des Lebens. „Arbeit ist das Feuer der...

„Hit the stage“ Autor & Fotograf Tim Hackemack im Interview

Der große Traum jedes Musikers, immer auf Tour zu sein im großen Nightliner, eine Stunde auf die Bühne und dann jeden Abend Party. Wie...
- Werbung -

Aktuelles

Spotify – Der digitale Dämon oder das notwendige Übel?

Ist Spotify das Schlimmste, was Musikern heute passieren kann? Diese Frage sorgt immer wieder für hitzige Diskussionen. Die isländische Künstlerin Björk meinte kürzlich, Spotify...

Pressure folgen:

10,640FansGefällt mir
13,367FollowerFolgen
854FollowerFolgen