Ulf Werner im Interview: Einmal Rudeboy, immer Rudeboy

Es gibt Bands, über die wird auf Pressure nicht berichtet, und zwar zurecht. Zugegeben, es gibt leider auch Bands, über die wir nicht berichten, obwohl ihre Musik sehr wohl den Geschmack der Redaktion trifft. Dumm gelaufen, aber zum Glück reversibel. 
Tatsächlich ist es so, dass unserem Chefredakteur Marcus und mir vor einigen Monaten aufgefallen ist, dass wenig über Rantanplan auf Pressure zu finden ist. Deswegen erklärte ich mich spontan bereit, diesbezüglich was zu starten und wurde- wie durch einen glücklichen Zufall- vor kurzem auf das Buch „Wilde Sehnsucht“ des Rantanplan-Trompeters Ulf Werner aufmerksam.

Pressure: Ok, Ulf, fangen wir an: Ich habe mal in den einschlägigen Lexika nachgeschlagen. Wenn man nach Definitionen des Begriffs Sehnsucht recherchiert, findet man u.a. eine im Duden. In diesem wird die Sehnsucht als ein „inniges, schmerzliches Verlangen“ beschrieben. Gehört deiner Meinung nach der Schmerz zum Leben bzw. zu einem erfüllten Leben dazu?

Ulf: Also zumindest ich verbinde den Schmerz mit Sehnsucht, weil für mich diese Sehnsuchtsmomente oftmals mit Verlust zu tun haben. Wenn ich z.B. Punk-Konzerte als Zuschauer besuche oder selbst als Musiker mit meiner Band auf der Bühne stehe und dann diesen besonderen Moment spüre, wenn der Funke gerade am Überspringen ist und man als Band mit dem Publikum zu einer Einheit verschmilzt, möchte ich nichts lieber, als diesen Moment festzuhalten. Doch das klappt nicht, denn die Magie ist endlich und so wenig greifbar wie ein nasser Aal und diese Erkenntnis ist für mich immer mit einem gewissen Schmerz verbunden.

Pressure: Also das heißt, Künstler haben am besten Sehnsucht, um kreativ sein zu können?

Ulf:  Ja, ich denke schon.  Das Gefühl der sehnsüchtigen Schmerzen kann manchmal helfen, künstlerisch kreativ zu sein, mit deinem Ding weiterzumachen und weiterzugehen als andere. Für meine persönliche Weiterentwicklung ist sie auch sehr hilfreich.  Andererseits entfacht die Sehnsucht eine Unruhe in mir drin, was Neues entdecken und sich neu auszuprobieren zu müssen.

Pressure: Für viele Menschen würde die von dir beschriebene Unruhe Stress bedeuten, den sie in ihrem Alltag zumeist negativ erleben. Welche Werkzeuge hast du für dich selbst entwickelt, dass die Unruhe sich nicht negativ auf dein Wohlbefinden auswirkt?

Ulf:  Also ich bin schon auf jeden Fall schon immer eine getriebene Person gewesen. Und manchmal habe ich auch drunter gelitten, dass ich nirgendwo länger bleiben und verharren konnte, weil es mich irgendwie immer weitergezogen hat. Heute habe ich durch meine Familie  eine Verantwortung, der ich gerecht werden will. In meinen Beruf als Pastor der „Kirche der Stille“ (das ist eine spezielle Kirche mit meditativem Profil, Pressure) versuche ich mich bewusst durch Meditation in die Ruhe zu begeben.

Pressure:  Das heißt also, dass deine Häfen, in dem du Entspannung erlebst, die Familie, die Kirche und vielleicht auch die Musik sind?

Ulf:  Die Kirche ist eine von Menschen gemachte Institution, die immer wieder reformiert werden muss, da arbeite ich mit vielen anderen bunten Herzensmenschen daran. Das ist oft alles andere als entspannend. Demokratie bedeutet Arbeit. Aber in den Räumen der Kirche der Stille und in der Gemeinschaft da erlebe ich oft Entspannung und Verbindung. Mit meinen Mitmenschen tausche ich mich gerne aus. Es gibt bei uns in der Kirche der Stille das Format der „Atempause“, das ist eine halbstündige Meditation, bei der man die Stille erlebt und vom Alltag abschalten und sich im Anschluss miteinander austauschen kann. Das ist ein Angebot, das von vielen als hilfreiche Entschleunigung ihres Alltags wahrgenommen wird. Natürlich hilft mir auch die Musik,  zu mir selbst zu finden. Ich selbst bin ja genauso auf der Suche wie alle anderen auch.

Foto: Ulf Werner
Foto: Ulf Werner

Pressure: Haben die Menschen, die zu der „Atempause“ gehen, ähnliche Motive wie Konzertgänger?

Ulf:  Ja, ich glaube daran, dass beide Gruppen sich auf der Suche befinden und sich nach besonderen Momenten in ihrem Leben sehnen. Sie wollen ihrem eigenen Leben mehr Tiefe verleihen. Ich kenne auch Leute, die finden für sich die Tiefe und die sinnhaften Momente in der Natur, wenn sie z.B. im Wald spazieren gehen. Sogar während meiner Tätigkeit als Barkeeper, als ich hinter dem Tresen mitunter tiefsinnige Gespräche mit den Gästen führen durfte, erlebte ich göttliche Momente.

Pressure: Würdest du der These zustimmen, wonach die Quantität und die Qualität deiner persönlichen besonderen Momente mit zunehmendem Lebensalter und angesichts der eigenen Endlichkeit sich häufen?

Ulf:  Das ist eine interessante Frage. Da müsste ich mal genau in mich gehen. Vielleicht nehme ich diese Momente jetzt bewusster als früher wahr. Mit 23 habe ich gedacht, ich hätte die Welt verstanden. Ich war damals mutiger, als ich das jetzt bin. So etwa mit 30 habe ich dann gemerkt, dass ich überhaupt nicht verstanden hatte, wie diese Welt funktioniert. Ich hatte damals auch mehr Mühe, meine Gefühle zu beschreiben und die besonderen Momente in Worte zu fassen. Generell fällt es mir bis heute manchmal leichter, durch meine Trompete Gefühle auszudrücken als durch Worte.

Pressure: Das Gefühl, mit 23 alles und mit 30 nichts verstanden zu haben, kenne ich leider selbst auch aus eigener Erfahrung. Du beschreibst in „Wilde Sehnsucht“ sehr offen, wie du mit Depressionen, die du den „schwarzen Hund“ nennst, zu kämpfen hattest.

Ulf: Ich bin jetzt seit über 20 Jahren ständig unterwegs. Auf Tour wie auch im echten Leben widerfahren einem dann zwangsläufig immer wieder auch Dinge wie Tod, Trennung oder Verlust, die schmerzlich sind. Einige davon habe ich in „Wilde Sehnsucht“ und z.B. im Songtext „Schwarzer Hund Davidstraße 35“ festgehalten. Durch diese Erfahrungen habe ich gelernt, die besonderen Momente anders zu würdigen und dankbar für sie zu sein, weil ich weiß, wie es ist, wenn man unten ist.

Pressure: Viele Menschen, die über ihre Depression schreiben, sagen im Nachhinein, dass der Prozess des Schreibens fast genauso schlimm wie das Erleben gewesen war. Erst danach ging es ihnen besser.  Wie war das bei dir?

Ulf:  Je öfter ich über das Thema gesprochen oder geschrieben habe, desto besser wurde es für mich, weil ich am Anfang nicht die Worte hatte, um meine Gefühle zu beschreiben.  Später, als ich die Worte gefunden hatte, entstand z.B. der bereits erwähnte Rantanplan-Songtitel auf dem Pauli-Album:

Schwarzer Hund Davidstraße 35

Warum willst du die

Welt verändern?

Was bildest du dir eigentlich ein,

du nichts?

Wenn überhaupt wird dich die Welt verändern,

sie kann auch ganz gut ohne dich!

Er greift jetzt an, mit dem Hass der Welt,

eine Pest, die mich schwächt, langsam frisst und entstellt,

denn die Welt wiegt so viel, ist so viel, wiegt so schwer,

hier ist meine Kehle!

2x Vor meinem Bett,

steht ein schwarzer Hund,

auf dunklem Grund,

drängt mich in den Hintergrund.

Sie nennen mich den

schwarzen Hund!

[…]

Vieles löste sich durch das Schreiben des Textes. Das war ein komisches Gefühl, all das aufzuschreiben. Die musikalische Umsetzung ermöglichte es mir, bisher ungesagte Dinge endlich rauslassen und verarbeiten zu können.

Daneben halfen mir viele Gespräche und ich nahm auch therapeutische Hilfe in Anspruch.

Pressure:  Hast du Ideen, wie unser gesellschaftliches Miteinander aussehen sollte, dass weniger Menschen als aktuell an Depressionen erkranken?

Ulf: Ich setze auf die heilende Kraft der Musik und dass wir im Umgang miteinander und mit uns selbst liebevoller werden. Wenn wir es schaffen könnten uns selbst und andere vorurteilsfreier anzunehmen. Weniger verurteilen, mehr verzeihen. Ich glaube, das würde schon viel zum Positiven verändern.  Ich bin da auch noch am Üben und bewundere diejenigen die das besser können als ich.

Natürlich würde es auch etwas bringen, wenn wir den Leistungsdruck in der Ellenbogengesellschaft verringern würden. Mehr Fehlerfreundlichkeit. Mehr zweite Chancen. Weniger Angst und Einschüchterung. Gerade in den Schulen könnte hierfür wichtige Vorarbeit geleistet werden.

Pressure: Gibt es bei diesem Thema für dich Kulturen oder Gruppen, die es besonders gut hinbekommen, als Gesellschaft miteinander besser- als das bei uns der Fall ist- im Einklang leben?

Ulf: Das ist auch eine gute Frage. Als ich in China unterwegs war, fand ich interessant zu sehen, wie die Familiensysteme dort funktionieren.  Zum Beispiel werden dort ältere oder auch kranke Menschen nicht „abgeschoben“, wie das oftmals bei uns der Fall ist. Sie gehören zum Leben dazu, sind Teil des Zusammenlebens. Das fand ich spannend zu beobachten. Aber dafür habe ich andere Sachen dort gesehen, die ich in unserer Gesellschaft besser gelöst finde.

Unter meinen Mitmenschen befindet sich keine Einzelpersonen, deren Handeln ich bei dem Thema idealisiere oder zum Maß aller Dinge nehme. Klar, es gibt Menschen, die ich toll finde. Menschen, die etwas verändern wollen, die sich trauen, Neues zu wagen, die „Macher“. Da passt es ganz gut, dass ich mich nie als „No-Future-Punk“ gesehen habe, sondern immer für eine bessere Welt streiten wollte. Einmal Rudeboy, immer Rudeboy!

Foto: Ulf Werner
Foto: Ulf Werner

Pressure: Welche Meinung hast du von Mitmenschen, die sich ganz dem westlich-orientierten Yoga oder anderen selbst optimierenden Praktiken hingeben und dabei ihre Umwelt aus dem Blick verlieren?

Ulf: Ich selbst praktiziere ebenfalls Yoga, bin aber kein Experte. Natürlich sehe ich auch eine Gefahr darin, wenn Menschen eine Tätigkeit ausschließlich zur Selbstoptimierung betreiben und dadurch das Wohl der Gemeinschaft vernachlässigen. Gerade durch Corona gibt es viel Arbeit im gesellschaftlichen Miteinander zu leisten. Daher finde ich meine Tätigkeit als Pastor als ungemein sinnstiftend. Wir meditieren zusammen, was meiner Meinung nach mein Leben mehr bereichert, als wenn ich daheim allein die Übungen machen würde. Und nach der Meditation komme ich oft mit meinen Mitmenschen ins Gespräch, in dem man sich austauscht. Wenn man mehr von diesen gemeinsamen Erlebnissen schaffen würde, wäre das zur Gesundung unserer Gesellschaft ein gelungener Anfang.

Pressure: Ist dein Wunsch gleichzeitig als Appell zu verstehen, an Schulen mehr solche gemeinschaftlich erlebten Momente zu initiieren?

Ulf: Das wäre jetzt meine Hoffnung. In der „Kirche der Stille“ kommen immer mal Schulklassen zu Besuch und erleben Projekte, z.B. zu den Themen Achtsamkeit und Entschleunigung. Für viele Jugendliche ist es das das erste Mal, dass sie die Möglichkeit haben, mit anderen Momente der Stille zu erleben. An einer Station probieren sie sich an Klangschalen aus, an einer anderen dürfen sie eine Kerze für jemanden, der ihnen wichtig ist, anzünden. Bei einer weiteren Station können sie, wenn sie möchten, von einem positives Erlebnis erzählen und dafür bekommen sie dann eine kleine Süßigkeit. Das trainiert den Blick auf das Positive. Das ist mein kleiner Beitrag, doch ich glaube, dass ich dadurch viel erreichen kann. Und deswegen freue ich mich über alle Lehrkräfte, die Bock haben mitzumachen, die etwas zum Positiven verändern wollen. Ich weiß, dass das aufgrund der Lehrpläne und Lernziele etc. nicht immer einfach ist, aber sinnvoll ist es auf jeden Fall.

Pressure: Welche Rückmeldungen hast du bis jetzt für dein Buch erhalten?

Ulf: Ich bekomme jetzt viele Interviewanfragen, vor allem von Medien aus dem Mainstreambereich, z.B. größeren Radio- oder Fernsehsendern. Einzelne Fans von Rantanplan haben sich ebenfalls bei mir gemeldet und berichten, dass ihnen das Lesen meines Buches gutgetan hat. Das sind die Rückmeldungen, die mich besonders freuen. Ebenso, wenn nach dem Konzert Menschen zu mir kommen, um mir ihr Feedack geben und mit mir ins Gespräch zu kommen.

Die Release-Party inklusive Lesung fand in der Washington Bar auf St. Pauli statt und es kamen ganz viele Menschen, die auch im Buch vorkommen und die mich teilweise seit über 20 Jahren begleiten. Ich war im Vorfeld ziemlich aufgeregt, da für mich die Meinung dieser für mich im besten Sinne „Herzensmenschen“ von großer Bedeutung ist. Ich war durch ihr anschließendes gutes Feedback ziemlich erleichtert. Noch wichtiger war für mich jedoch das gemeinsame Erlebnis, mit denen Menschen, mit denen ich mich durch die Musik und durch viele andere Dinge, die sie mit mir gemeinsam haben, verbunden fühle.

Pressure: In diesem Sinne: Lasst uns mit unseren Mitmenschen Verbindendes suchen, nicht Trennendes. Musik hilft dabei nicht immer, aber oft. Vielen Dank für das Interview.

Das Interview mit Ulf Werner führte Sven D. im Juni 2025

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