Der Frankfurter Musiker und Böhse Onkelz Songwriter Stephan Weidner veröffentlichte am 27. Mai mit „V sein fünftes Album. Eine ausführliche Unterhaltung über die Produktion und Inhalt des Albums haben wir euch bereits im ersten Teil unseres Gesprächs mit Stephan Weidner präsentiert. Weiter geht es hier im zweiten Teil des Interviews über einzelne Songs, dem Stoizismus und Ausflüge in die Vergangenheit des jungen „W“.

Gibt es für dich neue Instrumente, Hilfsmittel, Tools, die dich begeistern und die du auf neuen Produktion zum Einsatz bringst?

Die gibt es. Das können Plug-Ins sein, Kompressoren, eine neue Gitarre, Bass oder anderes Studio Equipment. Dieses mal waren es ein paar ungewöhnliche Fuzz Pedals mit denen wir die meisten Solos veredelt haben.

Die erste Liedzeile „der Frankfurter Berg ist nicht der Ort für Gefühle“ aus “Das Lied vom Blut” beginnt mit einer Textzeile, die an vergangene Tage deiner Lebensgeschichte erinnert. Was sind die schönen und unschönen Erinnerungen, die du mit dem mit dem ‚Frankfurter Berg’ verbindest?

Ganz allgemein gesprochen: Der Frankfurter Berg war zu meiner Zeit ein fürchterlicher Ort, an dem Kinder nicht aufwachsen sollten. Kein Ort für Gefühle, wie ich schreibe. Schon die Architektur alleine war dazu geeignet, krank und aggressiv zu machen.

Eigentlich die klassische Endstation, bevor man überhaupt ans Fliegen denken kann. Träume hat man da jedenfalls nicht. Gewalt war allgegenwärtig und wenn man eines gelernt hat, dann war das Härte und Solidarität. 

Der Berg bewegt sich nicht“ scheint das Mantra zu sein, das sich schon seit einigen Jahren begleitet und auch schon in der “Memento” Video-Doku aufgetaucht ist. Was drückt der Song für dich aus?

Ich habe vor einiger Zeit die philosophische Schule des Stoizismus für mich entdeckt. Sehr verkürzt gesagt, geht es darum zu akzeptieren, was du nicht beeinflussen kannst. Und dich dafür sehr stark auf sich selbst zu besinnen und eben das Beste aus dem zu machen, was in deiner Macht steht.

Die Stoa lehrte mich zum Beispiel, besonnener zu werden und gelassener mit Schicksalsschlägen umzugehen.

Es gibt ein paar zentrale Lehren im Stoizismus, etwa dass man gelassen auf Dinge verzichten soll, die für dich in einem bestimmten Moment unerreichbar sind. Oder eben, dass man Probleme als Chancen für sich sehen kann, die nur darauf warten, von dir gemeistert zu werden. Es ist egal, wie du sie löst oder wie lange du dafür brauchst. Das steckt im Refrain: „Vor dem Glück kommt der Schweiß, in den Stürmen die Gelassenheit.“

Mit „Alles wieder anders“ beschreibt den Fluch der gescheiterten Beziehung. Was glaubst du, sind heutzutage die häufigsten Gründe für Beziehungskrisen und Trennungen?

Das ist ja völlig individuell. Zu viel Nähe oder zu wenig sind sicher zeitlose Gründe für Krisen in jeder Art von Beziehung. 

Was denkt “Der W” heute über den jugendlichen W.? Wie nah oder fern ist er ihm?

Ein paar Erfahrungen hätte er durchaus auslassen können, es muss auch nicht jeder Fehler gemacht werden, aber es ist schon gut so, wie alles gekommen ist. Es gibt ja diese Phrase: Man ist die Summe seiner Erfahrungen. Und da ich mich heute für einen zufriedenen Menschen halte, kann ich dem jungen W nicht viel vorwerfen. Wobei es sich natürlich falsch anfühlt, wie über eine andere Person zu sprechen.

Die Persönlichkeit wächst wie der Körper, aber was noch nie da war, wirst du später auch nicht mehr pflegen und entwickeln können. Ich bilde mir ein, dass ich auch früher schon neugierig war, mich entwickeln wollte, Grenzen nicht akzeptierte oder sie schon gar nicht selbst setzen wollte. Das führte früher oft zu Frust und auch Gewalt, weil es eben in einer ganz kleinen Welt keine andere Ausdrucksform gab. Oder man kannte sie damals noch nicht. Destruktiv eben. Mit den Jahren haben sich die Möglichkeiten geändert, aber die Grundkonstruktion ist schon noch erhalten.

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Das letzte Boot über den Acheron“ beschreibt laut Griechischer Sage, die Reise über den Fluss der Toten. Wie sehr interessierst du dich für Mythen & Sagen aus anderen Kulturkreisen?

Ich interessiere mich sehr für gute Geschichten und gute Gedanken, egal wo sie herkommen. Wenn sie aus anderen Zeiten und anderen Kulturen stammen, können sie ganz andere Gedankenreisen auslösen als das, mit dem wir im Alltag konfrontiert werden.

Dann natürlich sind wir durch unseren Medienkonsum, egal, ob wir sogenannte Mainstream oder vermeintliche Alternativmedien lesen und sehen, doch auf einen bestimmten Konsens konditioniert: Die Grenzen von Wissenschaft und dem Wissen unserer Zeit, von unseren Lebensgeschwindigkeit, unseren Zahlen- und Zeichensystemen und den Zielen, denen man so hinterherjagt: Sicherheit, Glück, ein langes Leben, Konsum, bestimmten Familienmodellen und und und.

Liest man Texte oder hört man Geschichten aus anderen Zeiten und Kulturen, muss man diesen Erwartungshorizont, diese Schablonen erstmal abschütteln. Das ist eine wertvolle Herausforderung. Im konkreten Fall liebe ich einfach die Metapher: Das letzte Boot über den Acheron, das Ende. Dramatisch, pathetisch, gut.

In unserem letzten Interview haben wir kurz über den „Tod“ gesprochen und du hast uns von Pfarrern berichtet, die Menschen unter Begleitung deiner Liedern verabschiedet haben. Mit dem Song „Für dich“ hast du dich dem Thema von einer neuen Perspektive gewidmet. Wie kam es dazu?

Ich habe den Song für meinen sehr guten Freund Ökbert geschrieben, für seine Freunde und seine Familie. Ökbert war schwer erkrankt, er ist inzwischen leider verstorben. Es war niederschmetternd, diesen großen Menschen, der seinem Umfeld nichts als Liebe, Glück und emotionale Schönheit gegeben hat, in den Tod zu begleiten.

„Für dich“ war der Versuch, der Ohnmacht irgendetwas abzuringen oder ihr wenigstens etwas entgegenzusetzen. Natürlich muss es angesichts des Todes und der Schwere des Verlustes für alle, die ihn kannten oder ihm jemals begegnet sind, beim Versuch bleiben. Wenn der Song irgendjemandem irgendwie ein bisschen zur Seite stand, freue ich mich.

Schon früher zu Zeiten des schwarzen & weißen Albums hast du dich mit Castaneda & Co. belesen. Welche Themen und Bücher haben dich beim Textes für „V“ beschäftigt?

Im Augenblick lese ich viel C.G. Jung und verschlinge alles über Stoizismus, Quantenphysik, Magie und Mystik.

Betrachtet man die jüngsten Tätowierungen an den Fingern und am Hals, gibt es in Fankreisen ein großes Rätselraten, um die Bedeutung von ‚Nagual‘, den Atompunkten am Hals oder der Symbolik auf den Händen. Magst du das Geheimnis lüften und uns erklären, was die Motive für dich bedeuten bzw. deren Bedeutung dir persönlich geben?

Ich habe nicht das Bedürfnis meine Tätowierungen zu erklären. Manche dienen meinem Schutz deshalb verbietet sich die Kommunikation darüber. Über den Nagualismus kann man die Basics auf Wikipedia und anderen Quellen nachlesen.

Carlos Castanenda erwähnte in seinen Büchern einen Schamanen den er den Nagual nannte und brachte mir die Idee des Nagualismus in den 90ern näher. Einfach ausgedrückt geht es um den Glauben an Schutz, Tier und auch Pflanzengeister. Es steckt aber noch so viel mehr darin.

Sofern alle Termin eingehalten werden können, wirst du auch eine ausgedehnte Tour mit den Onkelz spielen und das 40 jährige Jubiläum nachholen. Womit belohnst du dich, wenn dieser Konzerte-Marathon geschafft ist?

Wenn ich mit DER W im November diesen Jahres meine Live Aktivitäten beende belohne ich mich mit dreiwöchigem Dauerknuddeln mit meiner 6jährigen Tochter.

Alle Termine im Überblick – DER W – Tour 2022

02.11.2022 Magdeburg / AMO
03.11.2022 Berlin / Astra
04.11.2022 Nürnberg / Hirsch
05.11.2022 Stuttgart / LKA Longhorn
07.11.2022 Bochum / Matrix
08.11.2022 Bremen / Aladin
09.11.2022 Osnabrück / Rosenhof
10.11.2022 Frankfurt / Das Bett (Ausverkauft!)
12.11.2022 Hannover / Capitol
14.11.2022 Dresden / Alter Schlachthof
15.11.2022 Leipzig / Haus Auensee
16.11.2022 Köln / Essigfabrik
17.11.2022 Obertraubling / Eventhall Airport

Alle News und Live-Termine auf der-w.de

Interviewfragen von Marcus Liprecht und Sven D. – Pressure Magazine

Copyright Hinweis: Textauszüge oder Zitate sind nur im Zusammenhang mit Quellennachweis und Verlinkung auf www.pressure-magazine.de gestattet.

DER W „V“ seit 27. Mai erhältlich

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11 Kommentare

  1. Ich will handeln,
    wenn Faule träumen
    schweigen, wenn Narren reden
    wissen, wenn andere glauben
    hab keine Angst mehr
    vor dem Glück im Leben

  2. Wir müssen uns nicht lieben
    Nicht in den Armen liegen
    Doch wir können uns als Zeichen
    Die Hände reichen…

  3. Lass das äußere geschehen und konzentriere dich auf dein inneres – der Berg bewegt sich nicht

  4. Man weiss, was man verliert – man weiss nicht, was man gewinnt
    Jetzt ist alles wieder anders – ein gebrochenes herz ist blind
    Scherenschnitte von dem stoff – aus dem die liebe ist
    Ein paar jahre sind vergangen – und du hoffst, dass du vergisst

  5. „Leben ist Handlung
    Leben ist Wandlung
    Es ist nie zu spät
    Wer kann der geht“
    aus dem Lied „Lektion in Wermut“ vom Album III

  6. Schließe deine Augen
    Und träume, träume dich selbst
    Leb dein Leben
    Lauf der Hoffnung entgegen
    Liebe zeigt dir den Weg
    Leb dein Leben
    Lauf der Hoffnung entgegen
    Liebe zeigt dir den Weg
    Mein Leben, mein Leben, mein Leben
    Mehr kann ich dir nicht geben
    Du hältst mich, du hältst mich, du hältst mich
    Mich und meinen Traum am Leben

  7. Liebe Angst, warum ich dich nicht mag und trotzdem brauch, du liegst neben mir, warum redest du so laut?

  8. Mögen Engel dich begleiten
    Dir den hellsten Stern am Himmel zeigen
    Ich sehe dich, wenn ich die Augen schließe
    Irgendwo zwischen Traum und Paralyse..“

  9. „Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war?“ ist wahrscheinlich meine Lieblingszeile vom neuen Album

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