Ska-Band Frau Doktor im Interview 2023

Ska, Punk und Soul- diese Kombination funktioniert nie!

Doch, sie funktioniert sehr wohl, und zwar bei Frau Doktor, mit deren Bandmitgliedern Üni, Hardy, Manni zusammen mit Martha und Sven Dehoust am 23.09.2023 im Anschluss an das Konzert im Weinheimer Café Central ein Interview führte!

Zu Beginn bekomme ich von Hardy und Üni einen Ska-Comic mit dem Titel „Make Ska a threat again“ überreicht. In diesem erzählt der Zeichner seine eigene autobiografische Sozialisation mit Ska und welche Bands ihn dabei begleiteten. Neben „Rantanplan“, „Loaded“ und vielen anderen wird auch „Frau Doktor“ genannt. Üni ist von den Zeichnungen so begeistert, dass er gleich mehrere Exemplare erwirbt und nun hofft, dass viele Ska-Begeisterte es ihm nachmachen. Erhältlich ist das Werk bei den einschlägig bekannten Szene-Mailordern „Moskito-Mailorder“, “Edition-Noname“ etc.

Mich persönlich sprechen die liebevoll gestalteten schwarz-weißen Zeichnungen an und die Geschichten der einzelnen Kapitel erinnern mich ein bisschen an meine eigene musikalische Sozialisation, die ebenfalls Mitte der 90er Jahre mit Punk startete und mir das musikalische Fundament und eine entsprechende Einstellung verlieh, die mich später dazu befähigten, ebenso den Reiz der süßen Ska-Musik für mich zu entdecken.

Frau Doktor Ska Band

Diese Leidenschaft motiviert mich bis heute- im Jahre 2023- Interviews mit Ska-Bands wie „Frau Doktor“ für das „Pressure-Magazine“ zu führen.

Und jetzt geht es endlich mit dem Interview los!

Pressure: In „Alte Männer“ kokettiert ihr mit dem Gedanken an eine rosige Zukunft als Greise, in der ihr mit der Welt und Euch selbst im Reinen seid. In „Zeiten“ schaut ihr recht pessimistisch auf die gesellschaftlichen Zustände der Gegenwart. Welche Position überwiegt aktuell, nach zwei Corona- Jahren, angesichts globaler Krisen und des Ukraine-Krieges?

Hardy: Ich habe gerade darüber nachgedacht, dass es im Osten möglicherweise demnächst den ersten AFD-Oberbürgermeister gibt. Und dann was es sonst noch aktuell an „Rechtsruck“ gibt und welche Auswirkungen er möglicherweise bei den anstehenden Landtagswahlen in Hessen haben wird. Eigentlich sind die Zeiten ernster denn je. In „Zeiten“ stelle ich mir einen Menschen vor, der in den 90er Jahren einschläft und 2020 aufwacht und mit den veränderten Verhältnissen- zu recht- seine Schwierigkeiten hat. „Menschenfeinde kommen ganz groß raus“- dieses Liedzitat bringt es ganz gut auf den Punkt. Auf der anderen Seite haben wir das Glück, dass wir die Band haben und wir über die Jahre uns eine großartige Fangemeinde aufbauen konnten, die Spaß an unserer Musik haben. Wie heute Abend in Weinheim.

Üni: Natürlich hätten heute noch ein paar Leute mehr ins Central kommen können, aber das hat hier schon fast “Tradition“. Irgendwie erstaunlich, da die Stadt gar nicht so weit von Wiesbaden entfernt ist und im ebenfalls nahe gelegenen Karlsruhe ebenfalls viele Leute zu unseren Konzerten kommen.
Aber das Schöne ist, dass alle, die heute hier waren, mit dem Song „Zeiten“ genau wie wir was anfangen können und trotzdem insgesamt einen Riesenspaß hatten. Das ist dann für alle eine „runde Sache“, die uns als Band prägt und weiterbringt.

Pressure: Was meint ihr, hat sich „Frau Doktor“ im Laufe der Jahre verändert oder sind es eher die Zeiten, die sich seit Bandgründung fundamental geändert haben?

Üni: Ich glaube, dass wir uns nicht geändert haben. Wir blicken auf die Geschehnisse wie vor 20 oder 30 Jahren. Natürlich verändern sich die Gegebenheiten, wie sie auch in „Zeiten“ beschrieben werden. Wenn sich vor 25 Jahren eine Gruppe von Leuten zusammenrottete, dann waren das ausschließlich „unsere Leute“. Das ist heute anders.

Pressure: Kommen zu euren Konzerten solche „schwarzen Schafe“?

Üni: Mittlerweile kann man das nicht ganz ausschließen, allerdings vermischen sich im Ska die Szenen nicht wie in anderen, in denen die „schwarzen Schafe“ auftauchen. Ich erlebe gerade im Gothic und teilweise auch im Metal, dass es „fließende Übergänge“ gibt, die Freiräume für politische Trittbrettfahrer ermöglichen. Das passiert zum Glück weniger bei Punk und wahrscheinlich gar nicht bei Ska. Dafür ist die Ska-Szene wohl zu klein und ganz klar multikulturell geprägt.

Pressure: Gilt diese Ausprägung auch bei den jüngeren Bands aus den Genres Punk und Ska? Sind sie vielleicht sogar sensibler gegenüber politischen Themen eingestellt?

Manni: Da fragst du wahrscheinlich die Falschen, denn so jung sind wir „alten Männer“ auch nicht mehr und haben daher nicht so den Überblick, wie die jungen Bands „ticken“. Aber mein persönlich Eindruck ist, unabhängig von der Musik, dass viele Menschen aktuell meinen, sich ständig positionieren zu müssen. Das hat meines Erachtens mit den neuen Medien zu tun, in denen es keinen echten Diskurs auf Augenhöhe gibt und Gegenpositionen aus Prinzip niedergemacht werden. Im Grunde ist das Ganze eine Fortsetzung des erfolgreichen Prinzips „Bildzeitung“, die damit schon Jahrzehnte Stimmung macht. Ich finde es schlimm, wenn immer mehr Menschen in ihrer Echokammer oder in ihrem „Algorithmen-Ghetto“ gefangen sind.

Üni: Ich erlebe gerade bei Reggae- und Ska-Bands eine große Zustimmung, kritische Musik zu machen.

Manni: Ska feiert das Multikulturelle, weswegen ich glaube, dass die Zahl der AFD-Anhänger heute in Grenzen gehalten haben dürfte. Wenn wir auf Festivals spielen, dann kommen zwar deutlich mehr Leute als auf unseren Konzerten, aber meistens fühlen die sich einer bestimmten alternativen Szene zugehörig. Politisch rechts eingestellte Menschen wirst du in der Regel auf Ska-Festivals genauso wenig wie die „normale Familie“ aus der angrenzenden Gemeinde antreffen.

Pressure: Das heißt, die Reichweite Eurer Musik doch sehr begrenzt. Passt das eurer Meinung nach einer Aussage des Jugendforschers Klaus Farin, der jüngst behauptete, dass es aktuell mehr Punkbands als jemals zuvor gäbe?

Manni: Das sind bestimmt viele junge Punkbands dabei, nur kennt die eben keiner.

Üni: Keine Ahnung, ob das stimmt. Wir selbst haben wirklich nicht so viele Kontakte zu jüngeren Punkbands.

Pressure: Aber ihr scheint noch gedanklich eng dem Punk nahe zu stehen, wie im Lied „Onkel Punk“ beschrieben wird. Wie erklärst du einem heute Dreizehnjährigen, was dich in seinem Alter an Punk begeistert hat und bis zum heutigen Tag noch fasziniert?

Üni: Der Text von „Onkel Punk“ ist quasi eine Hommage an meine jugendliche Vergangenheit. Im Großen und Ganzen stehe ich auch heute noch hinter den Werten, die in der Szene gelebt werden.

Pressure: Und die lauten?

Üni. Solidarität, aber natürlich ebenso gemeinsames Trinken. Am besten solidarisch-gemeinsames Trinken. (Lautes Lachen)

Hardy: Und zusammen eine gute Zeit verbringen. Und etwas gemeinsam auf die Beine stellen. Es gab in unserer Jugendzeit nicht viele Angebote in Wiesbaden für uns, also haben wir in einem ehemaligen Jugendzentrum Konzerte veranstaltet. Es spielten natürlich viele Bands aus Wiesbaden dort, aber auch „Kick Joneses“, „Walter Elf“ oder „Spermbirds“ aus Kaiserslautern. Es entstand dadurch u.a.die Freundschaft mit Jürgen Schattner, der später mit seinem Label „Rookie Records“ unsere Alben veröffentlichte.
Das ist für mich Punk, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen und etwas daraus zu machen. Wenn du mit etwas unzufrieden bist, dann unternimm etwas dagegen, damit es besser wird!

Üni: Ja, wir hatten damals „jugendliche“ Ziele und Träume, für die wir uns heute nicht schämen müssten.

Pressure: Ich schäme mich heute auch nicht für einen meiner Jugendträume, „Rancid“ einmal live zu sehen. Anscheinend war ich nicht der Einzige, der diesen Traum hatte, denn als vor Kurzem die Band im Schlachthof Wiesbaden spielte, waren die Karten binnen weniger Stunden ausverkauft.
Wie hast du das Konzert der Jugendhelden von einst, welche in den 90er Jahren mit „Out comes the wolves“ wie keine zweite Band Ska-Elemente mit Punkrock verschmolzen und damit einen musikalischen Meilenstein setzten, erlebt?

Üni: Es war ein schöner Abend, sogar Campino von den Hosen war da. Aber von vorne: Irgendwann bekam ich über Funk die Meldung „Promibesuch“ und der Fahrzeugtross „DTH“ („Die Toten Hosen“) aus Düsseldorf kündigte sich an. Campino probierte an dem Abend, sein Antlitz durch eine Mütze zu „verdecken“ , was ihm auf dem Weg zur Bühne allerdings wenig nützte. Ich fand die Aktion richtig sympathisch, wie er ohne jegliche Star-Allüren an diesem Abend in Erscheinung trat, um „Rancid“, die vor vielen Jahren als Vorgruppe der Hosen spielten, einen Besuch abzustatten.

Pressure: „Rancid“ und „Die Toten Hosen“- für viele gelten viele Songs beider Bands mittlerweile als zeitlose Klassiker, unabhängig, wie man zu den neueren Alben stehen mag. Apropos musikalische Klassiker: Meines Erachtens hat „Emily Rose“ durch seine eingängige Melodie und den Einsatz des Akkordeons das Zeug zum Klassiker. Wäre es für euch denkbar, als musikalisches Nebenprojekt, Shantys im Ska-Sound zu interpretieren bzw. zu covern?

Üni: Pläne dazu gibt es nicht, obwohl die irischen musikalischen Einflüsse bei “Emily Rose“ definitiv vorhanden sind. Die Geschichte zu dem Lied ist, dass die Nichte von Martha (bedient bei Frau Doktor die Orgel, Anmerkung Sveni)aus England stammt und Emily Rose heißt. Ich habe mich beim Schreiben ein bisschen bei Frank Turner bedient, der seinen Liedern so geniale Titel gibt, dass diese für einen zusätzlichen „Drive“ oder eine zusätzliche Dynamik sorgen. Und Emily Rose ging mir so sauber von der Zunge und ich entschloss mich, den Titel nach ihr und nicht nach Martha zu benennen. Das hat dann auch dazu geführt, dass ich mir beim Schreiben die Frage nach der Zukunft der jungen Menschen stellte. Das Lied entstand übrigens kurz nach dem Brexit und ist somit politischer, als man dies wohl vermutet.
Richtig gut kam der Song in der Hamburger Kneipe „Monkeys“ an, als die gesamte Hamburger Szene mitgrölte. Davon gibt es eine schöne Aufnahme. Mal schauen, ob wir diese veröffentlichen.

Pressure: Offenkundig politisch “liest“ sich auf „Onkel Punk“ das Lied „Zuhause süß“. Stellt ihr euch dem Dilemma des Abwägens zwischen einem ereignisreichen Leben, geprägt durch häufiges Reisen, dem Kennenlernen anderer Kulturen, dem Verbrauch von Ressourcen und auf der anderen Seite einem weniger ereignisreichen- dafür nachhaltigeren- Daseins? Habt ihr die goldene Mitte für euch gefunden?

Hardy: Das muss jeder für sich entscheiden.

Üni: Als „Frau Doktor“ haben wir nicht die Reichweite, als Vorbild wahrgenommen zu werden oder Ratschläge zu verteilen. Als Band haben wir uns noch nie die Frage gestellt, ob wir zu den Konzerten mit einem Auto weniger fahren. Ich arbeite im „Schlachthof Wiesbaden“ und da ist das Thema „Nachhaltigkeit“ ein großes Thema. Zur Wahrheit gehört aber auch, das Rock´n ´Roll eine riesige Emissionsschleuder ist. Einige der großen Künstler stellen sich und ihre Shows nach außen gerne als „grüner“ dar, als sie in Wirklichkeit sind. Meines Erachtens kann es niemals nachhaltig sein, wenn ein Künstler mit Crew aus den USA nach Deutschland fliegt. Da kann er noch so viel Bio-Obst vor dem Auftritt essen. Wenn man sich allein überlegt, wie viel Strom die Musikanlage- trotz LED- „frisst“, dann ist das schon Wahnsinn, wie man da noch von Nachhaltigkeit sprechen kann.
Privat fliege ich nicht in Urlaub, doch das ist meine persönliche Entscheidung.

Pressure: Zum Schluss ist es egal, ob politisch oder unpolitisch: Nennt mir die fünf besten Bands aller Zeiten:
Üni und Martha: Beatles, The Specials, Bach, die Aeronauten, Sex Pistols, AC/DC. Ohne Bach sind das fünf Bands, wobei es natürlich noch viele weitere fantastische Bands gibt.

Vielen Dank „Frau Doktor“ für das Interview und dir, lieber Benny W., für die Konzertfotos.

Das Interview führte Sven Dehoust für Pressure Magazine

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