Interview mit Geralf Pochop, Autor von „Untergrund war Strategie. Punk in der DDR“ über die Meinungsfreiheit im Wandel der Zeit
Interview mit Geralf Pochop, Autor von „Untergrund war Strategie. Punk in der DDR“ über die Meinungsfreiheit im Wandel der Zeit

Interview mit Geralf Pochop, Autor von „Untergrund war Strategie. Punk in der DDR“ über die Meinungsfreiheit im Wandel der Zeit

„Geralf Pochop (geb. 1964 in Halle) absolvierte eine Ausbildung zum Funkmechaniker. Mit 18 wurde er DDR-Hausbesetzer, schloss erste Kontakte zur Punkszene und engagierte sich in der unabhängigen DDR-Friedensbewegung. Wegen Tragens des Aufnähers ‚Schwerter zu Pflugscharen‘ geriet er Mitte der 80er Jahre ins Visier des Staatssicherheitsdienstes.“ […]

Im Oktober 1987 kam er zum zweiten Mal unter dem Vorwurf ‚öffentlicher Herabwürdigung, Verleumdung und Beleidigung des Staates, staatlicher Institutionen und ihrer Mitarbeiter‘ ins Gefängnis und wurde zu einer sechsmonatigen Haftstrafe verurteilt. Nach seiner Haftentlassung engagierte sich der Wehrdiensttotalverweigerer weiter als Mitorganisator von Punk-Konzerten und agierte als Mitautor und Verteiler der Untergrundzeitung „mOAning star“ (Quelle)

Aus: https://www.ddr-zeitzeuge.de/ddr-zeitzeugen-recherchieren/ddr-zeitzeuge/geralf-pochop-562.html

Wer ist deines Erachtens der größere Feind der Meinungsfreiheit, die staatliche Zensur oder eine von Freiheit „übersättigte“ Gesellschaft?

Das ist eine berechtigte Frage. Bis vor Kurzem hätte ich noch sofort mit „die staatliche Zensur“ geantwortet. Aber in den letzten Jahren ist in unserer von Freiheit „übersättigten“ Gesellschaft eine seltsame, eigenartige neue Art der Zensur entstanden. Vielleicht manchmal auch eine Art Selbstzensur. Diese ergibt sich daraus, dass bestimmte Themen immer mehr von irgendwelchen Rattenfängern übernommen werden und ich und viele meiner Freunde diese Themen gar nicht mehr ansprechen, um nicht in den Topf mit solchen Idioten geworfen zu werden.

Kann es eigentlich „ein Zuviel“ an Meinungsfreiheit geben oder anders gefragt: Gibt es für dich eine Grenze, an die sich das Recht auf freie Meinungsäußerung halten muss?

Auch da habe ich meine Meinung in den letzten Jahren etwas abgeändert. In der DDR war ja jede Art der Meinungsäußerung, die von der staatlichen Sichtweise abwich, unter Strafe verboten. Dazu gehörte selbst ein auffälliger Haarschnitt oder ein individueller Kleidungsstil. Ich erinnere gleich mal daran, dass jeder, der in der DDR nicht ins sozialistische Erscheinungsbild passte, mit bis zu 500 Mark Ordnungsgeld bestraft werden konnte. Und dass diese Strafe bei mehrmaliger Sichtung durch Staatsorgane auch mehrmals pro Tag möglich war. Dieser Paragraf wurde etwa 1983 erschaffen, um, neben vielen anderen Formen der Repressionen, gegen die kleine, aber feine, damals größtenteils noch unpolitische, DDR-Punkszene vorzugehen. Da ich in den 80ern in der DDR-Punkszene sozialisiert wurde, trafen auch mich die Repressionen in den extremsten Formen wie z.B. Verhaftungen, Entführungen, Stasi-U-Haft, Gefängnis, Isolationshaft etc.

Damals trat ich natürlich für die uneingeschränkte Meinungsfreiheit mit meinem Handeln und Dasein ein.

Geralf Pochop (Autor)

Heute bin ich zwar immer noch für Meinungsfreiheit, aber diese hat dort seine Grenze, wo die Meinungsfreiheit und die körperliche Unversehrtheit des anderen überschritten wird. Meinungsfreiheit heißt eben, das Recht zu haben, seine eigene Meinung sagen zu können und nicht in Anonymität Hetzparolen, Beleidigungen und Gewaltaufrufe zu starten oder Dinge ohne begründete Faktenlage als Wahrheit darzustellen und im Netz oder sonst wo zu verbreiten.

Interview mit Geralf Pochop, Autor von „Untergrund war Strategie. Punk in der DDR“ über die Meinungsfreiheit im Wandel der Zeit
Interview mit Geralf Pochop, Autor von „Untergrund war Strategie. Punk in der DDR“ über die Meinungsfreiheit im Wandel der Zeit

Letzten Endes ist die DDR, gegen die du offen rebelliert und deine Meinung frei geäußert hast, auch deshalb Geschichte, weil viele Menschen 1989 ähnlich, wie du gehandelt haben. Wäre eine friedliche Revolution im Zeitalter von Social Media einerseits und staatlicher, digital-gestützter Kontrollmöglichkeiten andererseits so überhaupt noch vorstellbar wie damals?

Das kann und will ich nicht beurteilen. Allerdings hat man beim sogenannten „Arabischen Frühling“ auch gesehen, dass Massen gerade auch durch Social Media mobilisiert werden können.

Das Internet, einstmals gepriesen als Ort aller Freiheiten, zensiert sich in totalitären Staaten selbst, um Marktanteile ausbauen zu können. Google und Co. leiten Daten oppositioneller Gruppen an autoritäre Regierungen weiter. Heißt das, dass oppositionelle Gruppen am besten in Zukunft so wie vor 30 Jahren konspirativ im Untergrund agieren sollten, um nicht zu früh in den Fokus staatlicher Aufmerksamkeit zu kommen?

Natürlich wäre das eine Möglichkeit. Nicht umsonst heißt das ja Untergrund. Und nicht umsonst heißt mein Buch „Untergrund war Strategie“. Mielke und Co haben uns ja damals mit repressivsten Maßnahmen in den Untergrund gezwungen. Wir mussten uns jeden Tag neu erfinden und so wurden aus anfänglichen Punk-Musik-Fans nach und nach aktive Regimegegner. Damals habe ich das aber noch nicht so gesehen. Wir wollten ja einfach nur unser Leben leben und so aussehen, wie wir es cool fanden und die Musik hören, die wir mochten.

Aber da alles, was mit Punk zu tun hatte, ja vom Chef der Staatssicherheit Erich Mielke Mitte 1983 in einem Befehl verboten wurde, waren wir automatisch Staatsfeinde. Unsere bloße Existenz. Staatsfeinde wider Willen. Das kann sich heutzutage keiner mehr vorstellen. Natürlich haben wir darauf reagiert. Und irgendwann, spätestens, wenn du aus der Haft oder dem Jugendwerkhof entlassen wurdest, warst du dann wieder der Staatsfeind, zu dem du vorher abgestempelt wurdest.

Ist es deiner Meinung nach schon Zensur oder eben marktkonforme Manipulation, wenn Suchmaschinen mit Algorithmen und Filtern arbeiten und bezahlte Homepages bei den Suchanfragen weit oben stehen? 

Das ist zwar nicht schön, aber ich werte das nicht unbedingt als eine Art Zensur, die ich in der DDR-Diktatur erlebt habe. Da wurde ja ohne Ausnahme alles zensiert. Deshalb war es für uns ja auch nur möglich, im Untergrund zu leben und zu agieren. Auch alle richtigen Punk-Konzerte fanden ja fast ausschließlich im Untergrund statt. In unserem Falle in Kirchen, welche uns einige mutige Pfarrer im Rahmen der offenen Arbeit zur Verfügung gestellt haben. Der Staat durfte dort nicht eingreifen. Also in den Kirchen. Davor schon. Das taten die auch massiv.

In westlichen Zivilisationen pochen alle im Internet auf ihr Recht auf freie Meinung in Chats. In diesen wird nicht selten durch Chat-Bots extreme Meinung gemacht und Fake News verbreitet. Welche Mittel stehen der liberalen Gesellschaft zur Verfügung, um sich, ohne das Instrument der Zensur zu nutzen, zur Wehr zu setzen?

Ja, Fake.News, Meinungsmache in Chat-Bots etc. sind eine neue Geisel der Menschheit. Ohne Zensur kann man eigentlich nur mit groß angelegten Aufklärungskampagnen dagegenhalten. Und immer wieder bedarf es des Rückblicks auf die Geschichte der beiden Diktaturen auf Boden Deutschlands in jüngster Zeit.

Welche Folgen hätte das beispielsweise für den (Politik-)Unterricht in der Schule?

Gerade das Thema DDR-Diktatur sollte viel präsenter sein. Einfach, damit die Kids verstehen, was damals passiert ist. Und wie es dazu kommen konnte, dass aus einem Land, das einmal der bessere Teil Deutschlands werden sollte, eine menschenverachtende Diktatur, ohne jegliche Art Meinungsfreiheit, gesteuert von alten Betonköpfen, mit Unterstützung der gefürchteten Staatssicherheit, werden konnte. Dass sogar gegen den Spruch, der in der DDR offiziell hochverehrten Rosa Luxemburg „Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden“, brutal vorgegangen wurde.

Ich selber bin viel an Schulen mit meiner Geschichte und meinem Buch als Zeitzeuge unterwegs und bin immer wieder verwundert, wie wenig die SchülerInnen über diese Diktatur wissen. Aber ich sehe auch, wie interessiert die SchülerInnen an diesem Thema sind. Dasselbe gilt natürlich auch für AJZs, Jugendclubs, Gedenkstätten, in denen ich mit meiner multimedialen Lesung „Untergrund war Strategie. Punk in der DDR: Zwischen Rebellion und Repression“ und meiner Ausstellung „Aus Grau wird Bunt“ zu Gast bin.

Ich denke, das Wissen darüber, wie es zu solchen Diktaturen kommen konnte und zu hören. was dort wirklich passiert ist, kann dazu beitragen, dass dieselben Fehler nicht wieder gemacht werden.

Mehr Informationen im ZEITZEUGENPROJEKT auf www.untergrund-war-strategie.de

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