Insomnia, das neunte Studioalbum von ALARMSIGNAL, ist seit dem 17. Januar über Aggressive Punk Produktionen erhältlich. Die Band, die seit 25 Jahren die Punk-Szene aufmischt, hat auf ihrem neuen Album nicht nur spannende Features, sondern auch jede Menge persönliche und tiefgründige Texte am Start.
Im Pressure Interview haben wir Sänger und Frontmann Steff sowie Gitarrist Bulli ordentlich in die Mangel genommen und sie über das neue Insomnia Album, die anstehende Tour und einige private Einblicke sowie lustige Anekdoten aus den wilden Anfangszeiten ausgequetscht.
Euer neues Album sticht vor allem durch einige spannende Features hervor. Bei Rest Your Eyes habt ihr Unterstützung von Sebastian Madsen. Hinter dem Song steckt zudem eine sehr bewegende Geschichte. Könnt ihr uns darüber mehr erzählen?
Steff: Die Geschichte zu Rest Your Eyes basiert auf einer wahren Begebenheit. Es geht um die Flucht des 15-jährigen Amar, der aus Syrien floh und sehbeeinträchtigt war. Seine Eltern hatten ihr gesamtes Erspartes aufgebracht, um ihren Kindern die Flucht zu ermöglichen. Amar und seine Schwester machten sich dann gemeinsam auf den Weg und während dieser langen Flucht sprach sie immer wieder diese beruhigende Worte zu ihm, auf Arabisch: „Rest Your Eyes“. Das hat mich tief bewegt und ist in diesen Song eingeflossen. Sebastian Madsen haben wir gewählt, weil der Song recht hoch gesungen wird. Wir kennen uns schon eine Weile, und bei diesem Song hat es einfach gepasst. (Anm. d. Redaktion: Hier geht es zum Musikvideo auf YouTube)
Ich muss sagen, ich bin auch ein großer Fan von den älteren Sachen von Madsen – die haben mich immer sehr abgeholt. Es war also ein Stück weit auch ein kleiner Wunschtraum, mit Sebastian etwas zu machen. Dazu kommt, dass er politisch sehr ähnlich tickt wie wir, und die Band steht auch klar für eine politisch korrekte Haltung. Das hat das Ganze zu einer super stimmigen Sache gemacht.
Bulli: Was bei unseren Features immer an erster Stelle steht, ist eben die menschliche Harmonie. Es muss zwischenmenschlich einfach passen, und das war bei Sebastian der Fall. Dass es dann auch musikalisch funktioniert hat, war dann das i-Tüpfelchen.
Ebenfalls spannend ist die Zusammenarbeit mit Sarah Lesch. Die würde ich jetzt im ersten Augenblick nicht so direkt mit euch in Verbindung bringen. Wie ist das entstanden?
Steff: Sarah unterstützt uns bei Kein Vaterland, und ja, das hätten vermutlich die wenigsten erwartet. Gerade weil sie musikalisch in einer ganz anderen Ecke unterwegs ist als wir. Aber was uns verbindet, ist die ähnliche politische Einstellung. Sie kommt aus der linken Leipziger Bubble und hat super konsequente Ansichten, die viele vielleicht gar nicht so auf dem Schirm haben. Tatsächlich haben wir uns bei einem unserer Konzerte kennengelernt – sie war im Publikum. Später haben wir sie dann einfach gefragt: „Hey, wie wär’s, wenn wir was zusammen machen?“ Ursprünglich hatten wir auch einen anderen Song für sie im Kopf, aber sie hat sich selbst für Kein Vaterland entschieden. Das war ihre Wahl, und wir fanden das großartig.
Bei D’accord hören wir Mel Marker von Shirley Holmes, die ja auch bald ein neues Album rausbringen. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?
Steff: Mel gehört tatsächlich zu meinen engsten Freunden. Und gerade bei einem Song wie D’accord, der sich um Freundschaft dreht, war es mir extrem wichtig, jemanden dabei zu haben, dem ich voll und ganz vertraue. Das ist einfach keine Nummer, die man mit irgendwem machen kann. Mel war da die perfekte Wahl, weil sie genau versteht, worum es in dem Song geht – und das merkt man auch in ihrer Performance.
Auf Deutsch mich nicht voll habt ihr Chris von KOTZREIZ mit dabei, und in Manifest hören wir Beckx von F*CKING ANGRY. War das direkt eure erste Wahl?
Steff: Ja, tatsächlich. Beide kennen wir aus unserer Bubble. Deutsch mich nicht voll ist so ein richtig rausgerotzter Deutschpunk-Song, und wir dachten uns: Chris mit seiner rotzigen Stimme – das harmoniert perfekt. Bei Manifest ging es uns darum, eine starke Ansage ans Patriarchat zu machen, und wir fanden, dass eine rotzige Frauenstimme das noch kraftvoller macht. Beckx hat genau diese dreckige, im besten Sinne gemeint, Stimme, die dem Song noch mehr Ausdruck und Power verleiht. Das haben wir also von Anfang an als passend empfunden.
Ein besonders emotionaler Song ist der Abschlusstrack Johanna. Steff, das ist ja für dich ein sehr persönlicher Song. Kannst du ein bisschen was dazu erzählen?
Steff: Johanna basiert wie auch Rest Your Eyes auf einer wahren Geschichte und geht auf meine Oma zurück, die auch Johanna hieß. Die Bank, auf der sie im Song sitzt, ist real, genauso wie die Geschichten, die sie dort erzählt hat. Diese Erinnerungen an vergangene Zeiten – speziell an die Schrecken und Erlebnisse während des Kriegs – sind keine Fiktion. Das war für mich sehr persönlich, und es war mir wichtig, diese Momente in einem Song festzuhalten.
Wenn man sich die Welt so anschaut, wie die Dinge laufen – sei es das Patriarchat oder das Sterben der letzten Zeitzeugen, wie im Song Johanna angesprochen – passt der Titel Insomnia doch perfekt. Sind das Themen, die euch persönlich auch den Schlaf rauben?
Steff: Absolut. Der Titel Insomnia ist kein Fantasieprodukt, sondern spiegelt die Realität wider. Es gibt einfach Themen, die uns nicht loslassen – sei es nachts, wenn wir nicht schlafen können, oder sogar wenn wir mitten in der Nacht aufwachen und uns diese Dinge beschäftigen. Oft finden wir den Schalter nicht, um abzuschalten. Deshalb haben wir beschlossen, unser Innerstes noch weiter nach außen zu kehren. Das Album ist für uns eine Art Selbsttherapie und wahrscheinlich das persönlichste Album, das wir je gemacht haben. Gleichzeitig möchten wir vielleicht auch anderen helfen, die mit ähnlichen Gedanken ringen.
Ihr geht ja bald mit dem neuen Album auf Tour – und ich freue mich schon riesig darauf, euch live zu sehen. Aber wie bereitet ihr euch auf so etwas vor? Gesunde Ernährung, Sport oder besonders viel Schlaf? So eine Tour kann ja schon richtig an die Substanz gehen.
Bulli: Proben ist definitiv das Wichtigste. Aber ich muss auch ehrlich sein: Ich hatte vor zwei Jahren einen Burnout. Das hat sich bei mir in Form von Schwindel geäußert, bis zu dem Punkt, dass ich teilweise nicht mehr stehen konnte. Es fühlte sich ständig an, als würde ich gleich ohnmächtig werden. Spielen war da schlichtweg nicht mehr möglich. Seitdem habe ich zwar wieder einige Konzerte gespielt, aber jetzt stehen die ersten Gigs der Tour vor der Tür, und ich achte darauf, fit zu sein. Ich gehe ins Fitnessstudio, trainiere und bereite mich körperlich und mental vor. Damals hatte ich kein Vertrauen mehr in meinen Körper. Und auch heute kommt das Gefühl in Stressphasen manchmal zurück. Deshalb ist es für mich wichtig, zu trainieren – nicht nur körperlich, sondern vor allem für meinen Kopf. Es gibt mir Sicherheit zu wissen, dass ich stabil stehen und spielen kann.
Das klingt wirklich hart. Ich kann das ein Stück weit nachvollziehen, weil ich vor einigen Jahren mit Panikattacken zu kämpfen hatte. Es ist ein seltsames Gefühl, wenn man weiß, dass es eigentlich „nur“ im Kopf stattfindet, aber es einen trotzdem komplett aus der Bahn wirft.
Bulli: Genau. Ich denke, es ist auch wichtig, offen über solche Themen zu sprechen. Ich wusste lange Zeit selbst nicht einmal, dass es ein Burnout war, das mich da so runtergezogen hat. Heute weiß ich das und kann besser damit umgehen, aber es ist ein Prozess. Ich finde immer noch heraus, wie ich damit langfristig klarkomme, aber ich bin auf einem guten Weg.
Danke, Bulli, für deine offenen Worte. Steff, wie sieht es bei dir aus? Hast du bestimmte Techniken, um deine Stimme zu schonen? Vielleicht so etwas wie nicht sprechen vor oder nach der Show?
Steff: Tatsächlich habe ich da in den letzten Jahren ein viel größeres Bewusstsein entwickelt. Früher war mir das komplett egal. Ich war meistens der Erste an der Bar – und der Letzte, der ging. Und zwischendurch war ich auch noch mal da. (Lacht) Am nächsten Tag war die Stimme dann oft weg, aber das war mir egal, weil: Punk halt. Heute sehe ich das ein bisschen anders. Wir spielen jetzt mit einem In-Ear-System, sodass wir uns selbst hören können. Früher hatten wir oft schlechten Sound und mussten gegen unsere Instrumente anschreien – das ist glücklicherweise vorbei. Inzwischen wärme ich meine Stimme vor der Show sogar auf.
Ich wollte mir auch so einen Blubber-Schlauch kaufen, mit dem man die Stimme trainiert in dem man ins Wasser blubbert, das soll richtig gut sein. Ansonsten mache ich viel Sport, aber das ist eher unabhängig von der Tour. Es hilft aber trotzdem, körperlich fit zu sein.
Ihr bringt jetzt euer neuntes Album raus. Wenn ihr so zurückblickt auf eure bisherigen Werke – Alben und Songs – gibt es da etwas, wo ihr heute denkt: „Wieso haben wir das damals gemacht?“
Bulli: Ich denke, das ist ein ganz natürlicher Prozess. Man findet immer das aktuelle Album am besten, weil es den Status quo widerspiegelt. Gleichzeitig entwickelt man sich weiter, und das gilt auch für die Musik. Die Zeiten ändern sich, und damit auch die Perspektive auf bestimmte Dinge – sei es die Sprache oder Themen, die man aufgreift. Vielleicht mag man rückblickend manches nicht mehr so wie damals, aber zu dem Zeitpunkt war es stimmig. Wichtig ist für uns, dass wir im Moment in den Spiegel schauen und sagen können: „Das war ehrlich und hat zu uns gepasst.“
Steff: Absolut, und dabei spielt der Wandel der Zeit natürlich eine große Rolle. Sprache verändert sich, genauso wie Menschen. Ein gutes Beispiel ist unser Song Brennende Barrikaden aus der “ersten Halbzeit“, wie ich es nenne. Damals haben wir in einer Passage gesungen: „Einem Volk, das aufschreit und verkündet: ‚Wir ham die Scheiße satt.‘“
Heute verwenden wir anstelle von „Volk“ das Wort „Gang“. Damals hatte „Volk“ keine negative Konnotation, heute schon. Ich könnte das heute auch gar nicht mehr so singen, da stellen sich mir die Nackenhaare auf. „Gang“ fühlt sich für uns passender und zeitgemäßer an.
Es ist wichtig, sich anzupassen und weiterzuentwickeln.
Wir prüfen natürlich alles, was sich ändert, aber die Welt dreht sich eben weiter.
Also gibt es nichts, wo ihr wirklich sagen würdet: „Mein Gott, was war denn da los?“
Steff: (lacht) Doch, es gibt eine kleine Geschichte, über die ich heute schon etwas schmunzeln muss. Ich schäme mich ein bisschen dafür, aber irgendwie feiern es die Leute trotzdem. Damals, Ende der 90er, Anfang der 2000er, war es irgendwie normal, dass jede Punkband einen Song über ihre Lieblingsbiersorte oder -marke gemacht hat. Ich hatte damals eine Jahreskarte für den FC St. Pauli und dachte, es sei der perfekte Moment, ein Lied über Astra Pilsner zu schreiben. Aber – ganz ehrlich – das Bier hat mir nie geschmeckt, es war einfach nur ein Kultding. Und trotzdem haben wir einen Song darüber gemacht.
Heute denke ich mir: „Wie bescheuert war das eigentlich?“ Aber damals erschien es uns total normal. Es war unser erstes Album und unser Produzent kam rein, es hat nur noch die Zigarre in der Hand gefehlt, und meinte: „Jungs, setzt euch hin, das wird groß!“ Wir, die kleinen Punker, dachten: „Wow, krass!“ Und wir haben den Song sogar an die Brauerei geschickt, aber… es ist nichts passiert. Freunde von uns haben das Gleiche mit Oettinger gemacht und wurden mit Merchandise überhäuft. Bei uns kam nichts. Aber das fanden wir nicht mal traurig – es war einfach eine lustige Erfahrung.
Eine lustige Anekdote zum Abschluss. Vielen Dank euch. Wir sehen uns auf der Tour!
Das Interview führte Mia Lada-Klein im Januar 2025
Hier sind die Konzerttermine von Alarmsignal – Tour 2025:
- 03.04.2025 – Schlachthof, Wiesbaden
- 04.04.2025 – Goldmarks, Stuttgart
- 05.04.2025 – Junk Yard, Dortmund
- 11.04.2025 – SO36, Berlin
- 12.04.2025 – Übel & Gefährlich, Hamburg
- 24.04.2025 – Strom, München
- 25.04.2025 – Z-Bau, Nürnberg
- 26.04.2025 – Conne Island, Leipzig