Autoren-Interview zum Buch "Als die Deutschen kamen" - DIe Geschichte zum Rock-O-Rama Musiklabel
Autoren-Interview zum Buch "Als die Deutschen kamen" - DIe Geschichte zum Rock-O-Rama Musiklabel

Rock-O-Rama gilt als das wohl kontroverseste deutsche Label, das die Nachfrage in einem ungewöhnlich skrupellosen Mix von Punk bis Rechtsrock bediente und dabei zahlreiche Bands über den Tisch gezogen hat. Der Musikjournalist, Schlagzeuger und Punk Björn Fischer hat sich mit der Geschichte des Labels befasst – Herausgekommen ist das 400-Seiten-Buch „Rock-O-Rama. Als die Deutschen kamen“. Der Untertitel des Buchs – „Die Deutschen kommen“ – bezieht sich auf einen Punk-Sampler, der 1982 auf Rock-O-Rama herauskam.

Pressure Magazine sprach mit Björn Fischer über die wilden Geschichten rund um „Rock-O-Rama“ (ROR) und den im Jahr 2005 verstorbenen Labelchef Herbert Egoldt.

Welches Motiv hattest du, ein Buch über ein Label zu schreiben, das seit beinahe 40 Jahren Tonträger von Rechtsrockbands vertreibt?

Björn Fischer: Primär meine eigene Jugendzeit in den frühen 80er Jahren, als ich als junger Punkrocker vom Dorf die Punk-Scheiben des Labels zusammen mit meinen Kumpels abgefeiert habe, also einige Jahre bevor Rock-O-Rama angefangen hat, mehrheitlich Rechtsrock-Tonträger zu veröffentlichen.

Vielen ist ROR lediglich durch Bands wie Böhse Onkelz oder Skrewdriver bekannt; doch Anfang bis Mitte der 80er Jahre erschienen dort primär derbere Punksachen aus Deutschland (Chaos Z, Vorkriegsphase oder Brutal Verschimmelt), England (The Skeptix, aber auch New Wave und Goth Rock Bands wie Saigon, They Must Be Russians und Release The Bats auf dem First-Floor-Unterlabel), Finnland (Riistetyt, Terveet Kädet, Bastards…) und sogar den USA (Our Neighbors Suck, aus dem JFA-Skatecore-Umfeld), die damals mehrheitlich schlichtweg als „Ultra Hardcore“ in den jede 2 Wochen erschienenen ROR-Vertriebslisten kategorisiert wurden.

Mein Buch handelt primär von dieser Frühzeit; in einem sehr umfangreichen Kapitel wird aber auch die restliche Labelgeschichte bis zur Gegenwart chronologisch abgearbeitet, damit die Gesamtbetrachtung nicht zur puren Nostalgie verklärt wird.

Was meinst du, warum es bisher noch kein Sachbuch, lediglich einige Reportagen in Fanzines etc., über ROR gab?

Björn Fischer: Auch damaligen Fanzine-Schreibern war zumeist nur ein kleiner Teil der gesamten Label-Geschichte bekannt, denn durch das Fehlen des Internets gab es lediglich Gerüchte aus Köln und Umgebung oder Aussagen von Bands, die sich von Rock-O-Rama betrogen gefühlt und dies öffentlich kundgetan haben. Mein Buch vereint hunderte Statements von Personen, die damals in irgend einer Art und Weise mit dem Label und dessen Besitzer persönlich zu tun hatten; und erst daraus ergibt sich ein umfassenderes Bild, wie es zustande kam, dass aus einem kleinen obskuren Punklabel der größte Rechtsrockvertrieb weltweit wurde.

Welche Bandanekdote hat dich bei deiner Recherche am meisten beeindruckt?

Björn Fischer: Skurril ist sicherlich der nächtliche Besuch der englischen Band The Insane Mitte der 80er Jahre beim Wohnhaus des Labelchefs in Brühl, nachdem diese auf einer Deutschlandtour erfahren hatten, dass eine Live-LP von ihnen auf Rock-O-Rama erscheinen sollte. Oder die Story, in der Egoldt in seinem Mercedes 600 SL etwa 10 Jahre später in Sachsen auftaucht und einer Band 10.000 DM in kleinen, gebrauchten Scheinen auf den Tisch legt. Auch interessant sind die unterschiedlichen Perspektiven der damals beteiligten Musiker von OHL, denn bei dieser Band sind ja ansonsten bisher lediglich Aussagen des Sängers Deutscher W. an die Öffentlichkeit gedrungen.

Ebenso die damalige Verbreitung der Punk-LPs über den Boots- / SPV-Vertrieb sowie der Finnland-Lizenzdeal mit Propaganda Records. Und schließlich natürlich die Aussage von Szene-Aussteiger Torsten Lemmer, der durch sein eigenes Label Funny Sounds in den 90er Jahren sehr eng mit Rock-O-Rama zusammengearbeitet hat und auch über den Verkauf der Firma über den Tod Egoldts hinaus einiges zu berichten hat.

Wie kam es damals zu den Kooperationen? Sind die Bands zumeist mit ihren Tapes auf ROR zugegangen oder war es umgekehrt, dass Egoldt aktiv den Kontakt zu den Musikern suchte?

Björn Fischer: Am Anfang waren es primär Bands aus dem Raum Köln / Leverkusen wie OHL, Fasaga (mit dem damaligen Spex-Redakteur Dirk Scheuring am Gesang), Der Fluch, Cotzbrocken und Stosstrupp, deren Mitglieder Stammkunden im Rock-O-Rama Plattenladen in der Kölner Weidengasse waren und Betreiber Egoldt dort auf ihre eigene Musik aufmerksam gemacht haben.

Bereits 1982 erschien auf ROR ein LP-Sampler namens „Die Deutschen Kommen“ mit diesen Bands, die dafür extra ins Studio geschickt wurden, der aber aufgrund seiner auf dem Cover präsenten „Soldatenoptik“ (hier stand ein Titelblatt vom Spiegel-Magazin Pate) schon damals nicht unumstritten war; also zu einer Zeit, als andere Labels wie Aggressive Rockproduktionen ebenfalls mit ersten Zusammenstellungen wie dem Soundtracks-zum-Untergang-Album und frischen Bands wie Slime und Canal Terror an den Start gingen. Etwas später schickten auch vermehrt auswärtige Combos ihr Demo-Tape an ROR und wurden schnurstracks zu Aufnahmen ins Studio am Dom in Köln eingeladen.

Im Gegensatz zu AGR-Bands wie Toxoplasma und Notdurft hatten diese jedoch nicht das Glück, einen so fetten Studiosound wie beim Berliner Music Lab durch Produzent Harris Johns zu erhalten, sondern bekamen in Köln einen eher schepperigen Klang verpasst, weil der Toningenieur sich in anderen Musikrichtungen wie Blasmusikproduktionen, südamerikanischer Folklore und Pop besser auskannte. Bei den späteren Rechtsrock-Bands lief der Erstkontakt ebenfalls hauptsächlich über schriftliche Bewerbungen ab, und es wurden sogar Demo-Tapes ohne Einwilligung der Bands einfach auf Vinyl oder CD gepresst.

Rock O Rama Buch Herbert Egoldt
© Bildquelle: Hirnkost Verlag / Björn Fischer

Ist Egoldt deines Erachtens einer, an dem man sich moralisch abarbeiten kann, der aber durch seine kommerzielle Arbeitsweise der Szene auch einen Spiegel vorhielt und ihr die „anarchistische“ Unschuld nahm?

Björn Fischer: In gewisser Weise schon; denn die damalige Label-Konkurrenz war ja auch ideologisch stärker im Punk verwurzelt und hat ihre Bands intensiver begleitet, sei es während der Studioaufnahmen oder auch bei der Vermittlung von Live-Auftritten. Rock-O-Rama-Bands wie OHL oder Cotzbrocken lastete dagegen das Stigma des eher konservativ eingestellten „CDU-Punk“ an; die passten irgendwie nicht ins links-kämpferische Bild von Slime und Konsorten. Im Zeitraum 1983-1984 brachte ROR dann eine große Anzahl an Hardcore-Punk-LPs auf den Markt, genau zum richtigen Zeitpunkt, denn die Szene lechzte nach „Schneller, Lauter, Härter“ und „Exoten-Punk“. Doch diese Phase war schnell vorbei, und aufgrund seiner intensiven musikalischen Kontakte nach England lotete Egoldt zügig den Verkaufswert von Bands wie Combat 84 und Skrewdriver aus und konnte sich diese für sein Label sichern, da er, im Gegensatz zu dortigen Labels, über das nötige Kapital verfügte. Mit Veröffentlichungen von Finnen-Krach machte er trotzdem noch eine Weile parallel weiter, da ihm von dort weiterhin Aufnahmen zur Verfügung standen.

Birgt die „ROR-Story“ demnach die bittere Erkenntnis, wonach selbst in der Jugendsubkultur Punk nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten gehandelt wird?

Björn Fischer: Punk wurde schon immer auch stark kommerziell gehandhabt: in den Staaten durch Ramones oder Blondie nebst Manager auf der Suche nach einem Major Deal; in England mit X-Ray Spex und Co. auf EMI, und selbst etwas später bei Sham 69, Cockney Rejects oder Vice Squad, wovon letztere ja vom kleinen Riot-City-Label auf EMI gewechselt haben; meines Wissens hätten die meisten dieser damaligen Bands dasselbe getan, wenn ihnen die Chance gegeben worden wäre. Crass und ihr kompromissloser DIY-Zusammenhang waren da eher die Ausnahme.

Auch in Deutschland ging es vielfach primär darum, bestmöglichste Umsätze zu erzielen; und als Punk Rock nicht mehr lief, wurden eben gewinnbringendere Sparten wie Metal oder New Wave bedient und die einstigen politischen Ideale niedriger gesetzt. Bei so-genannten Indie-Labels bekamen die Bands zudem auch oft miesere Verträge als bei größeren Firmen; und wie bei Rock-O-Rama gab es in der Regel keinerlei Beteiligung an Nachpressungen, die gerade im Bereich Deutschpunk oft später noch in größerer Stückzahl an Drogerieketten verscherbelt wurden. Herbert Egoldt hat da auch nur eine Marktlücke bedient; doch im Gegensatz zum Rest keine ideologischen Skrupel gehabt, eine wie den Rechtsrock zu bedienen.

Apropos Kommerz: Welches war deines Erachtens wohl die kommerziell erfolgreichste Veröffentlichung von Rock-O-Rama?

Björn Fischer: Die erste Onkelz-LP „Der Nette Mann“ durfte ja aus Indizierungsgründen nicht mehr offiziell nachpressen werden; doch da gab es etliche verborgene Wege, um weiter die Nachfrage zu bedienen. Auch andere Onkelz-Songs aus dieser Zeit landeten ohne Absprache mit der Band auf dem RAC-Sampler „No Surrender Vol. 2„, zusammen mit Bands wie Skrewdriver und Brutal Attack. Laut zahlreicher mir vorliegender Aussagen ist jedoch davon auszugehen, dass sich die Skrewdriver-Sachen noch um einiges häufiger verkauft haben, da damals keine Lizenzpressungen existierten und die Alben sich vor allem nach Öffnung der innerdeutschen Grenze als teilweise sogar selbst gebrannte CD-Versionen wie geschnitten Brot verkauft haben.

Wäre eine solche Label-Erfolgsgeschichte in unseren von Social Media beeinflussten Zeiten deiner Meinung nach überhaupt noch denkbar?

Björn Fischer: Eher nicht, denn allein durch Streaming und Downloads wäre eine Monopolstellung, wie Rock-O-Rama sie zeitweise in den 1990er Jahren besaß, undenkbar. Zudem hätte das Label durch unzählige Postings wahrscheinlich so einen schlechten Ruf, dass sich kaum eine Band mehr auf solch einen Deal einlassen würde.

Das Interview mit Björn Fischer führte Sven für Pressure Magazine im April 2022

HIER geht’s zur Buchkritik im Pressure Magazine

Übrigens: Zum Buch ist auch ein offizieller Begleit-Soundtrack erschienen, auf dem bisher unveröffentlichte Aufnahmen einiger Label-Bands aus den früh-80er-Jahren enthalten sind. Details zum Sampler „Als die Deutschen kamen“ gibt es auf Discogs.

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Wer sich weiter mit der Thematik befassen möchte, dem empfehlen wir die Website www.untergrund-war-strategie.de und ein damit verbundenes Video-Interview von Geralf Pochop, der als Zeitzeugen-Protagonist im Film „Stasi hört mit“ dem 3.Teil der ARD/SWR-Mini-Serie „Auswärtsspiel“ mitgewirkt hat.

Rock-O-Rama – mehr als ein stinkender Label-Mythos?
Rock-O-Rama – mehr als ein stinkender Label-Mythos?

Alle Bilder aus dem Rock-O-Rama Buch mit freundlicher Genehmigung von Björn Fischer

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